Tokyo - eine Biografie. Till Weber

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Название Tokyo - eine Biografie
Автор произведения Till Weber
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783945751701



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Rivalen Tokugawa Ieyasu geografisch von sich entfernen und ihn gleichzeitig auf Jahre hinaus mit Aufbau- und Entwicklungsarbeit beschäftigen. Hätte er gewusst, dass Ieyasu nach Hideyoshis Tod 1598 von seiner neuen Machtbasis Edo aus den Weg zum Alleinherrscher antreten und Hideyoshis Erben 1615 endgültig ausschalten würde, hätte er ihn wohl kaum 1590 als neuen Herrn dort einziehen lassen. Natürlich erkannte Ieyasu Edos strategischen Wert sofort. Er wählte den kleinen Ort mit seiner heruntergekommenen Burg statt des alten Kamakura oder Odawara als Hauptstadt, um völlig neu und in grandiosem Maßstab anfangen zu können. Sein bisheriges Leben hatte ihn vieles gelehrt, das er nun umsetzte.

      Genauso wenig wie bei Oda Nobunaga und Toyotomi Hideyoshi war in Ieyasus frühen Lebensjahren abzusehen gewesen, dass er einer der »Drei Reichseiniger« Japans werden und seiner Familie die Herrschaft auf 250 Jahre hinaus sichern würde. Zwar war Ieyasu von adliger Abkunft, seine Anfänge waren aber bescheiden. Das kleine Territorium seines Vaters drohte zwischen den Oda und den Imagawa aufgerieben zu werden, und der Hinwendung zu den Imagawa begegneten die Oda 1548 mit der Entführung des sechsjährigen Ieyasu, den sie mit der Exekution bedrohten, falls sein Vater nicht von den Imagawa zu den Oda wechselte. Dieser erwiderte, der Tod seines Sohns würde nur die Ernsthaftigkeit seines Pakts mit den Imagawa unterstreichen. Ieyasu kam drei Jahre später von den Oda los und verbrachte sein 9. bis 15. Lebensjahr als Geisel der Imagawa in deren Hauptstadt Sumpu, die ihm eine standesgemäße Erziehung angedeihen ließen. Tatsächlich schlug der junge Ieyasu von 1555 bis 1560 mehrere Schlachten für die Imagawa, bevor er nach deren Debakel bei Okehazama 1560 Verbündeter, nicht Vasall, des Siegers Oda Nobunaga wurde.

      Es verging kaum ein Jahr, das die beiden nicht auf dem Schlachtfeld sah, und im Schatten des Nobunaga wuchs auch die Macht des Juniorpartners Tokugawa Ieyasu. Für dessen eiserne Entschlossenheit, sich und sein Haus nach oben zu bringen und dort zu halten, spricht auch seine Entscheidung 1579, auf Oda Nobunagas Verlangen hin seine eigene, vielleicht zu Unrecht der Konspiration mit dem Feind bezichtigte Frau sowie seinen ersten Sohn Nobuyasu hinrichten zu lassen.

      Toyotomi Hideyoshi als neue Nummer eins ab 1582 zu respektieren, fiel Ieyasu allerdings deutlich schwerer und nach einem unentschiedenen Waffengang 1584, bei dem die kleinere Armee des Ieyasu der größeren des Hideyoshi erfolgreich getrotzt hatte, konzentrierte sich Ieyasu auf den Ausbau seiner eigenen Gebiete. Vielleicht war es den Jahren als Geisel in seiner Jugend zu verdanken, dass Ieyasu warten konnte. Die japanische historische Erinnerung konfrontiert die drei Reichseiniger gern mit der Frage »Was tun, wenn ein Vogel nicht singen will?« Der erste, Nobunaga, würde befehlen, den Vogel zu töten. Hideyoshi, der zweite, würde versuchen, den Vogel zum Singen zu überreden, während Ieyasu, der Dritte, einfach abwarten würde. Noch plastischer ist das Bild der drei, wie Nobunaga mühevoll Reis zur Herstellung der Süßigkeit mochi zu Brei schlägt, Hideyoshi ihn gründlich durchknetet und Ieyasu die fertige Süßigkeit schließlich genüsslich verspeist.

      1590 lieh Tokugawa Ieyasu dem inzwischen weiter erstarkten Hideyoshi seinen Arm während des Odawara-Feldzugs gegen die Hōjō und vollzog danach den Wechsel nach Edo. Zu Hideyoshis verschwenderischen und letztlich erfolglosen Feldzügen gegen Korea 1592 – 1598 steuerte Ieyasu kaum etwas bei, sondern trieb den Landesausbau im Osten zielstrebig voran. Als der alternde Potentat Hideyoshi 1598 verstarb, als sein Sohn gerade fünf Jahre alt war, wurde Tokugawa Ieyasu zum mächtigsten Mann im Fünferrat, der die Geschicke des Landes für das Kind lenken sollte. Keiner seiner Gegner glaubte, dass Ieyasu wirklich einen weiteren Toyotomi an der Macht sehen wollte, und sie hatten Recht. Die Spannungen entluden sich 1600 im Feldzug von Sekigahara, bei dem Ieyasus hauptsächlich aus dem Osten stammende Armee die im Namen der Toyotomi kämpfende West-Armee zerschlug.

       Tokugawa Ieyasu (1543 – 1616)

      Tokugawa Ieyasu ergriff im Herbst 1590 Besitz von Edo und begann den Ausbau zu seiner neuen Hauptstadt. Die Burg war in schlechtem Bauzustand und zu klein, es war eine komplette Neuplanung vonnöten. Genau wie bei der Hauptstadt Kyōto waren die geomantischen Voraussetzungen günstig. Wie erforderlich gab es im Osten einen Fluss, im Süden die See, im Westen eine große Straße (die Tōkaidō) sowie im Norden Berge. Das geomantisch bedeutende Problem der spirituellen Sicherung der gefährlichen Nordostecke lösten Ieyasus Nachfolger durch den Bau des Kan’ei-ji-Tempels auf dem Hügel von Ueno (s. Die großen Tempel von Edo – Tenkai, S. 78). Zwar gab es in der Bucht von Edo keine Möglichkeit einen großen Hafen zu erbauen, aber die zahlreichen in sie mündenden Flüsse und Kanäle erlaubten es, an ihnen entlang Anlege- und Umschlagplätze sowie reihenweise Lagerhäuser zu errichten. Die Flüsse von den nördlichen Bergen sicherten die Trinkwasserversorgung, auf der weiten Musashi-Ebene konnten die zur Versorgung von Edo nötigen Lebensmittel erzeugt werden. Verfeinerte Produkte, vor allem Sake, sowie Baumaterialien konnten per Schiff aus dem Westen, besonders aus Ōsaka, herangebracht werden. Ieyasu ernannte zügig Verantwortliche für den Bau und die Bauaufsicht, ließ alles vermessen und die Arbeiten am Kanalsystem von Edo beginnen. Zuerst wurde der Dōsanbori-Kanal zwischen dem Hirakawa-Fluss und dem Haupttor der Burg, dem Ōte-mon, angelegt. Für eine leistungsfähige Trinkwasserversorgung sorgten der Tameike-Teich und die Wasserwerke von Kanda Jōsui. Gleichzeitig entstanden Straßen, Brücken und weitere Kanäle, wobei die Infrastruktur von Anfang an auf Wachstum ausgelegt war. So wurden für herbeiströmende bürgerliche Zuwanderer große Blocks von gut 120 × 120 Metern mit zweistöckigen Häusern nach dem Vorbild von Kyōto angelegt. Die Straßen waren bis zu 18,2 Meter breit, was schon damals zu Diskussionen im Handel führte, ob die große Breite nicht eher vom Shoppen abhalten, als es fördern würde.

      Ieyasu war in seinen Entscheidungen von zwei gegensätzlichen Prinzipien geprägt: Einerseits hatte er stets pragmatisch und flexibel agiert und sich rechtzeitig Neuem geöffnet. Dies war in den Turbulenzen des 16. Jhs. notwendig gewesen, um seinem Haus das Überleben zu sichern. In den Jahren ab 1600 stand Tokugawa Ieyasu dann als der mächtigste der Fürsten Japans ganz oben, 1603 wurde er Shōgun und damit der offiziell vom (machtlosen) Kaiser mit der Führung des Landes Beauftragte. Es ging nun nicht mehr darum, die Macht zu erringen, sondern sie zu sichern. Dies tat er mit konservativen Mitteln, um gesellschaftliche Umstürze und den schnellen Aufstieg potenzieller Rivalen zu verhindern. Von nun an sollte jeder in der Gesellschaft seinen Platz kennen und dort verbleiben. Die Teilung der damaligen Gesellschaft in Adel (Samurai), Bauern, Bürgerliche (Kaufleute und Handwerker) sowie Geistliche (Buddhisten und Shintō-Priester) spiegelte sich deutlich in der Zuweisung von Siedlungsbereichen in der Stadt Edo wider. Ieyasus alte Gefolgsleute errichteten ihre Anwesen an strategisch wichtigen Stellen, wie vor dem Haupttor der Burg oder an Flussufern. Andere Samurai ließen sich im Norden und Westen nieder, wo es hügeliger war. Bis heute hat sich die grobe Unterteilung von Edo/Tōkyō in die Bereiche »Yamanote« und »Shitamachi«, erhalten.

      Yamanote bezeichnet die etwas erhöht liegenden Viertel vorwiegend im Westen, während sich die »Untere Stadt«, das bürgerliche Shitamachi, im Osten zur Bucht hin erstreckt. Beide sind durch eine Nord-Süd-Linie etwa von Ueno bis Meguro abgegrenzt, aber wegen des hügeligen Terrains gab es von Anfang an auch kleinere Shitamachi-Viertel mitten im Yamanote-Gebiet. Die bürgerlichen Viertel von Shitamachi entstanden im zentralen und südöstlichen Stadtgebiet, bevorzugt an Brücken, Kanälen und an der Bucht. Das zentrale Viertel Honchō lag östlich der Tokiwa-Brücke und differenzierte sich schnell nach Funktionen, etwa in Blöcke für die Holzversorger, andere für die Menschen im Wassertransport-Gewerbe und auch in Märkte. Die Bürgerlichen errichteten an den vier Seiten ihrer Wohnblocks ihre Stadthäuser (machiya), die typischerweise sowohl dem Wohnen als auch dem Erzeugen und Verkaufen von Waren dienten. Auf der Innenseite der Blocks standen Nebengebäude und geschützte Lagerhäuser, ganz in der Mitte des Blocks dann ein kommunaler Bereich mit Latrinen und einem Müllsammelplatz. Tempel und Schreine bekamen oft Areale zugewiesen, die an Hauptstraßen lagen, also gut zu erreichen waren. Diese Areale waren teilweise so groß, dass auch nach der Bebauung Freiflächen übrig blieben, welche die Funktionen zentraler Plätze in europäischen Städten übernehmen konnten, also zum Handel, zu Versammlungen und nicht zuletzt als Rückzugsraum bei Naturkatastrophen dienten. Tagsüber gab es relativ freie Bewegungsmöglichkeiten, nachts aber wurden die Aus- und Zugänge zu den Bürgervierteln geschlossen.

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