Jeden Abend Captain's Dinner. Brigitte Karin Becker

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Название Jeden Abend Captain's Dinner
Автор произведения Brigitte Karin Becker
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783937881171



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herum, lassen sich von ebenfalls führerlosen Kränen mit einem Container beladen und sausen zum Schiff. Dort bildet sich ein kleiner Stau, denn in den Kränen, mit denen das Schiff beladen wird, braucht man noch einen Menschen. Auf dem Schiff muss exakt gestapelt werden.

      Am dritten Tag sollen wir Rotterdam endlich verlassen. Beim Frühstück sitzt der Muffkopf in seiner Ecke, löffelt sein Schokomüsli und murmelt etwas von Wetterbericht und Windstärke sechs, schielt dabei zu mir.

      »Mehr nicht? Auf der Antares hatten wir sieben, und ich fand es sogar angenehm. Da hat man wenigstens gemerkt, dass man auf einem Schiff ist! Meine Bücher sind vom Regal gerutscht, und der Fernet ist auf dem Boden herum gerollt.«

      Der Muffkopf grinst hämisch und ergänzt: »Von der Seite.«

      Sch …, das könnte unangenehm werden. Aber das geht den Muffkopf nichts an.

      Wesentlich später als angekündigt erscheint endlich ein kauender Lotse auf der Brücke, und wir legen ab. Der Muffkopf lässt ihn mit der automatischen Steuerung allein und kommt in die Nock. Mal wieder lehnt er sich neben mich an die Reling und mal wieder viel zu nah. Wie immer schweigend. Ich frage ihn irgendetwas zu irgendeinem Schiff, an dem wir vorbeifahren, und er gibt bereitwillig, fast freundlich, Auskunft.

      Die längste Seestrecke liegt vor uns. Erst morgen, gegen Abend, werden wir in Göteborg sein. Dazwischen liegt die Nordsee, und die zeigt sich von keiner guten Seite: Es ist trüb, kalt und klamm. Das Schiff holpert durch die Wellen, der Wind pfeift. Trotzdem soll es heute Abend an Deck ein Barbecue geben.

      Die Unterhaltung beim Mittagessen handelt von Seekrankheit. Alle haben ihre Erfahrungen damit gemacht, und jeder hat sein eigenes Mittel dagegen: Hinlegen, auf den Horizont schauen – der unter den Bedingungen, unter denen man seekrank wird, meist nicht zu sehen ist –, eine Scheibe Vollkornbrot so lange kauen, bis ein ekelhafter Brei entstanden ist, ein Stück Speck an einer Schnur erst schlucken und dann wieder … Einer schildert sehr anschaulich, wie er mal nach Luv … hat. Jetzt weiß ich endlich und für immer, wo Lee ist, und wo Luv: Luv ist da, wo man besser nicht hin … sollte: »Da hat man’s dann im Gesicht.«

      Und dann gibt es noch ein Pflaster, das man sich hinter das Ohr klebt. Bei einem Passagier hat das Halluzinationen ausgelöst. Mit wirrem Blick kam er auf die Brücke gestürzt und deutete mit bebender Hand hinaus: »Das Wasser kommt! Das Wasser kommt!«

      Er packte den Kapitän am Arm und zerrte ihn zum Steuerstand: »Das Wasser kommt!«

      Als der Kapitän versuchte, ihn zu beruhigen, fing der Passagier an zu schreien und um sich zu schlagen. Es brauchte zwei Mann, um ihn zu bändigen und in seine Kammer zu bringen.

      An Deck ist alles für das Barbecue gerichtet. Berge von Bratwürsten, Steaks und Schnitzeln, Hühnerschenkeln, ganzen Fischen und Fischfilets türmen sich neben dem aus einem alten Ölfass zusammengebauten Grill. Auf der anderen Seite stehen Weißbrot, verschiedene Salate und Saucen sowie mehrere Bierkästen. Der Bootsmann betätigt sich als Grillmeister. Der Koch bedeckt den provisorischen Tisch mit Küchenhandtüchern und gießt anschließend Wasser darüber. Macht man das nicht deshalb, damit bei Seegang nichts ins Rutschen kommt?

      Der Muffkopf streift um den Grill herum und hat sich schon mal ein Jever-Bier genommen. Er fragt mich, ob ich seekrank sei, ich lasse diese Frage unbeantwortet. Dann bietet er mir hämisch ein Bier an. Und wenn ich die ganze Flasche Fernet auf einmal trinke: Den Gefallen, mit einer matten Geste das Bier abzulehnen, tue ich ihm nicht!

      Wir verteilen uns um den Tisch. Ich erwische einen Platz zwischen dem Chief und dem kleinen Seebären. Jemand schiebt mir einen Teller und Besteck hin, der Koch kommt mit einer Platte Gegrilltem und häuft meinen Teller voll. Das Essen schmeckt! Und das Bier auch.

      Um die Essensreste los zu werden, geht man an die Reling und schabt sie vom Teller, der Wind und die Möwen kümmern sich dann darum. Und auch sonst fliegt allerhand über Bord: Kronkorken, Bierflaschen, Kippen, Zigarettenschachteln. Der kleine Seebär tut so etwas nicht, er hat ordentlich einen Kronkorken vor sich liegen, in dem er seine Zigarettenkippen sammelt. Später holt er eine leere Tabakdose und entsorgt darin seinen Abfall.

      Kaum ist aufgegessen, kommt die Wodka-Flasche auf den Tisch. Wodka mag ich nicht, ich hole meinen Fernet. Ein dicklicher Philippiner betrachtet neugierig die Flasche:

      »German Red Wine?«

      Er möchte, trotz eindringlicher Warnung, einen Schluck probieren. Und bereut es schon, als er an seinem Glas nur riecht. Er zieht ein Gesicht, als sei Spiritus darin, trinkt es aber tapfer aus. Und wer ein echter Seemann ist, der verlangt noch einen zweiten!

      Nur der Chief mag Fernet, wir trinken zusammen und unterhalten uns gegen den Maschinenlärm anschreiend. Er erzählt von seiner Madame, der solariumsgegerbten Frau, die am ersten Tag mit in der Messe saß. Sie hat ihn auf vielen seiner Reisen begleitet, ist mit ihm schon auf allen Ozeanen gewesen und war noch nie in ihrem Leben seekrank. Bei einem Orkan wollte sie schwimmen und hat sich beschwert, dass kein Wasser im Pool war.

      Eine Zeit lang betrieb er nebenbei eine Eckkneipe in Bremerhaven. Seine Gäste waren vor allem Seeleute und Hafenarbeiter, raue Gesellen. Manche konnten ihre Zeche nicht bezahlen, andere, nach vielen Monaten auf See das erste Mal wieder an Land, warfen Lokalrunden und verprassten an einem einzigen Abend einen Großteil ihrer Heuer. Und manche suchten Streit. Die hat der Chief am Kragen gepackt und hinausgeworfen.

      Wenn er auf See war, hat seine Madame das Lokal geführt. Donnerstags, am Seemanns-Sonntag, gab es leckere Frikadellen, von ihr persönlich zubereitet. Und einmal hat er seiner Madame zuliebe versucht, ganz an Land zu bleiben. Die Kneipe brachte nicht genug ein, und er nahm eine Arbeit in einer Werft an. Das hat er nicht lange durchgehalten: »Jeden Tag um sieben aufstehen!«

      »Aber hier: mal früh um fünf aufstehen, dann nachts um zwei?« Das stört ihn nicht: »Dann verlängere ich einfach die Mittagspause, oder ich schlafe irgendwann zwischendurch.«

      Der Pegel der Fernet-Flasche sinkt, es wird acht Uhr, die Kapitänswache beginnt. Der Muffkopf lungert bei seinem Wodka und macht keine Anstalten, sich an seinen Arbeitsplatz zu begeben. Um zwanzig nach acht kippt er schnell noch ein paar Wodka und trollt sich auf die Brücke. Kurz darauf ist er schon wieder da, schickt den Kadetten nach oben und trinkt den Wodka aus. Danach hält er sich notgedrungen an den Fernet. Der Kadett kommt: »Ein Schiff! Auf Gegenkurs!«

      Der Muffkopf interessiert sich aber mehr für den Fernet, den er inzwischen an seinen Platz gestellt hat.

      Der kleine Seebär, der auf Wache war, kommt wieder, mit dem Arm voll Bierflaschen. Der Chief zieht sich zurück. Ich gehe an die Reling und schaue in das Kielwasser. Dann ist mal wieder jemand in meinem Territorium. Diesmal fängt er ein Gespräch an: »Zwei Lotsen, und trotzdem …«

      Ich weiß sofort, was er meint: den Unfall der Antares. Deswegen ist er also ständig um mich herum geschnürt. Ein sehr passendes Thema für eine romantische Plauderei an der Reling, während man – führerlos? – mit sechzehn Knoten durch die Nordsee rauscht. Er gibt mir Anweisungen, wie ich mich gefälligst zu verhalten habe, vor allem: »Nie etwas sagen! Da darf man nie etwas sagen!«

      Jetzt würde ich am liebsten nichts sagen. Aber ich sage etwas. Ich sage alles.

      Dass, kaum war ich zu Hause, ein Brief aus Büttenpapier kam, von einer Anwaltskanzlei, die mich um einen Unfallbericht bat. Dass ich den Bericht schrieb, so genau wie möglich, weil ich glaubte, er könne nützlich sein. Dass zwei Wasserschutzpolizisten aus Hamburg anreisten und mich stundenlang befragten, und mir auch sagten, dass die Kanzlei meinen Bericht nur wollte, um mich notfalls bei einer Gerichtsverhandlung in Widersprüche verwickeln zu können. Dass noch ein Brief aus Büttenpapier kam, in dem die Kanzlei um einen Termin für ein Gespräch anfragte, und dass ich diesen Brief unbeantwortet in den Müll warf.

      Und jetzt soll der Muffkopf mich endlich in Ruhe lassen!

      Er lässt mich in Ruhe. Für den Rest des Abends und den Rest der Reise.

      Kurz vor Mitternacht löst sich die Runde auf. Der Muffkopf, viel Fernet ist nicht mehr da, verzieht