Jeden Abend Captain's Dinner. Brigitte Karin Becker

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Название Jeden Abend Captain's Dinner
Автор произведения Brigitte Karin Becker
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783937881171



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ist draußen eine kleine Bank, von der aus man ins Kielwasser schauen kann. Im Ruderhaus ist es ähnlich wie auf der Antares. Es riecht nach kaltem Rauch, und überall stehen schwere rote Aschenbecher: im Steuerstand zwischen dem Radar und der elektronischen Seekarte, in der Funkecke neben dem Faxgerät. Hinten ist die Kartenecke mit einem großen Tisch mit vielen flachen Schubladen, in denen die Seekarten verstaut sind. Ein Aschenbecher steht auf dem Tisch zwischen dem Logbuch, ein paar Textmarkern und einem Häufchen selbst zurechtgeschnittener Notizzettel. Ein anderer neben dem Computer in der Ecke, und ein ganzer Stapel bei der Kaffeemaschine. Die Tassen hängen an Haken über dem Ausguss, manche sind angeschlagen, alle sind verschieden.

      Die Offiziersmesse ist winzig: eine kleine Anrichte in der Ecke, ein Tisch mit einer mit schlammfarbenem Kunstleder bezogenen Eckbank, auf die sich gerade fünf Leute drängen können. Schmuddelige Platzsets, klebrige Flaschen mit Ketchup und Maggi. Ein abgegriffenes Schiffsbild an der Wand aus Mahagoni-Imitat. Auf der Bank sitzt der Chief: Breit, schütteres, blondes Haar und blonder Kinnbart, verträumter Blick. Neben ihm sitzt eine solariumsgegerbte, mit schwerem Goldschmuck behängte Frau. Sie ziert sich und tut, als sei sie fehl am Platz. Schimpft über das Schiff: Zu klein, zu eng, zu schäbig. Dann schaut sie mich mitleidig an und sagt gönnerhaft, ich solle mal mit einem ›richtigen‹ Schiff fahren. Was meint sie damit? Toronto Star? Die hatte einen Aufzug, breite Treppenhäuser und riesige Messen. Ein ganzes Deck mit eigener Pantry und Lounge mit Video und Bibliothek war für die Passagiere reserviert. In der Offiziersmesse hatten die Passagiere einen eigenen Tisch, weiß eingedeckt, und wurden vom Steward bedient. Aber vom Schiffsbetrieb hat man kaum etwas mitbekommen. Und die Seeleute, die sind unter sich geblieben. Sie redet unbeirrt weiter von Schwimmbädern, Saunen und Massagen, gestikuliert und klimpert dabei mit ihren Armbändern, streut ab und zu den Namen eines exotischen Hafens ein.

      Eine Klingel rasselt, eiliges Getrappel auf den Decks. Der Chief verschwindet in den Maschinenraum. Kurz darauf ein hohles Geräusch, dann gleichmäßiges Stampfen. Die Maschine läuft. Das Schiff vibriert, auf den Tellern klappert das Besteck. Wir legen ab. Wenige Minuten später ist alles wieder vorbei. Wir sind ein paar Hundert Meter am Kai entlang gefahren und haben wieder festgemacht. In Bremerhaven gibt es mehrere Hafengesellschaften, und jede hat ihre eigene Strecke an der langen Stromkaje. Zwei Stunden später rasselt die Klingel wieder, und wir verlassen Bremerhaven.

      Am nächsten Tag sind wir in Felixstowe, einem heruntergekommenen Seebad an der englischen Ostküste. Um die neuen Sicherheitsbestimmungen kümmert sich hier wohl niemand, man verlässt den Hafen durch eine Lücke im Zaun. Draußen eine endlos erscheinende, eintönige Straße mit Reihenhäusern. Alle aus rotem Backstein, alle mit einem Dach aus schwarzen Ziegeln, alle mit einem ummauerten Vorgarten ohne Pflanzen. Kein Mensch lässt sich blicken, nicht einmal eine Katze streift durch die kargen Gärten. Dann eine Art Promenade. Auf einer Seite Spielhallen und Ramschgeschäfte, auf der anderen der Strand. Schmal, schmuddelig mit ein paar Badehäuschen, deren Farbe man nur noch erahnen kann. Kaum eins davon benutzt. Im groben Sand leere Flaschen, Plastiktüten und Papierfetzen. Vom Wasser weht der ölige Geruch des nahen Hafens. Ein gepflegtes Pub oder eine Strandbar sucht man hier vergebens.

      Ich schlüpfe bald wieder durch die Lücke im Zaun und gehe auf mein Schiff. Auf der Brücke sind der Muffkopf und der kleine Seebär. Sie trinken Bier und bieten mir auch eins an. Und hier, inmitten der Technik stehend mit der Flasche in der Hand, ist es viel gemütlicher als zwischen den abgewetzten Orientteppichen in der Bar des ›Dolphin Hotel‹, meiner Noteinkehr an Land. Die Gesellschaft ist auch netter. Auch der Muffkopf. Er freut sich, weil ich seine Eindrücke von Felixstowe bestätigen kann, und der kleine Seebär freut sich, weil er hier grundsätzlich auf einen Landgang verzichtet.

      Wir fahren auf Rotterdam zu. Mit gleichmäßig stampfender Maschine pflügt sich die Spica durch die Nordsee. Plötzlich fährt ein Beben durch das Schiff, das Stampfen hört auf, beginnt wieder in einem anderen Rhythmus: Volle Kraft zurück! Vollbremsung! Eine Jever-Bierflasche fliegt von der Brücke, dann wird der Anker hinab gelassen. Nur ein paar Minuten später wird er wieder aufgeholt, und wir fahren – volle Kraft voraus – weiter.

      Der Muffkopf ist wieder mürrisch. Beim Mittagessen lungert er in seiner Ecke wie eine fette Drohne und murmelt vor sich hin. Er isst kaum etwas und verzieht sich bald. Plötzlich wieder das Beben und der andere Maschinenrhythmus. Der Chief schreckt auf und stürzt in den Maschinenraum. Die zweite Vollbremsung. Im Logbuch steht der Grund für die schlechte Laune des Muffkopfs: Ankern. Zehn Minuten später: Sofort weiterfahren. Und zwanzig Minuten später: Jetzt doch wieder ankern.

      Stundenlang dümpeln wir am Anker, bis ein Kaugummi kauender Lotse grußlos auf der Brücke erscheint. Wir dürfen endlich in den Hafen einlaufen. Der Lotse schreitet die Brücke auf und ab, gesprächig ist er nicht, und viel zu tun hat er auch nicht. Die Automatik steuert, der Lotse kaut, der Muffkopf kommt in die Nock. Er lehnt sich neben mich an die Reling und besetzt dabei einen Großteil meines Territoriums. Schweigend. Wenn er wenigstens sprechen würde. Das aber tut er nicht. Wenn er mir wenigstens sagen würde, dass ich weggehen soll. Das aber tut er nicht. Ich weiche nicht und schweige auch.

      An einem heruntergekommenen Wartekai machen wir fest. Ein Schuppen, ein Bretterstapel, am anderen Ufer eine Raffinerie. Geladen wird hier nicht. Ungewohnte Stille. Keine quietschenden Rollen, keine sirrenden Stahlseile, kein schrilles Klingeln, wenn eine Containerbrücke verschoben wird. Nur von Ferne, vom anderen Ufer, das Hallen des Stapelns von Stahl auf Stahl.

      Das Ende eines warmen Sommertags, mit einem Bier im Liegestuhl an Deck. Der kleine Seebär kommt vorbei und gesellt sich auf eine Zigarette dazu. Der Chief kommt, trinkt ein Bier mit und bleibt. Er lehnt an der Reling und schaut still, wie die Sonne hinter der Raffinerie verschwindet. Es wird dunkel, die ersten Sterne erscheinen. Ab und zu streift uns der Lichtstrahl eines Leuchtfeuers. Der Chief bleibt an Deck und schaut nach den Lichtern der vorbeifahrenden Schiffe. Grün-weiß die, die kommen, rot-weiß die, die fahren. Nach Hamburg, nach Singapur, nach Valparaiso und Papeete. Ab und zu sagt er etwas. Zu dem Sonnenuntergang, den Sternbildern, zu Häfen bei Nacht.

      Irgendwann zwischen Mitternacht und Morgen wieder die Klingel und das Getrappel, kurz darauf wird die Maschine angeworfen. Bald ist alles wieder ruhig, und am Morgen liegen wir an der gegenüberliegenden Seite des Hafenbeckens. Der Kapitän, der Chief, ein Offizier und die Matrosen. Sie alle wurden mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen, weil die Spica plötzlich an dem Kai gegenüber festmachen sollte. Geladen wird erst gegen Mittag.

      Eine gestückelte Hafenrundfahrt. Zwei Tage und zwei Nächte lang vagabundieren wir durch den Rotterdamer Hafen. Wir fahren von Kai zu Kai, warten, laden ein paar Container ab, ein paar auf. An den verschiedenen Liegeplätzen passiert wenig. Die philippinischen Matrosen klopfen Rost und malen, der Kadett muss an der Gangway herumlungern und sie gegen unbefugte Eindringlinge verteidigen.

      Besonders schnell laden sie hier nicht. Eine viertel Stunde lang hängt ein Container zwischen Kai und Schiff, und als er endlich an Bord ist, hängt der leere Greifer zehn Minuten lang allein in der Luft. Obwohl schon neue Container angeliefert sind. Ich protokolliere Ladegeschwindigkeiten:

      16.41: Ein Fässchen in einem Gestell,

      16.46: Eine Plattform auf der Maschinenteile festgezurrt sind, über zwei Minuten zum Zielen,

      16.50: Ein richtiger Container, orangefarben,

      16.51: Schon! Ein himmelblauer, Hanjin steht in großen Buchstaben an seinen Seiten – gut, dass das ›n‹ nicht fehlt: Einen ohne ›n‹, einen ›Hanji‹ hatte die Antares bei dem Unfall verloren,

      16.53: Ein Käfig mit Hafenarbeitern von Bord?

      16.55: Der Käfig mit den Arbeitern doch an Bord! Sie schreiten gemächlich auf den Containern entlang und verteilen Twistlocks,

      17.03: Käfig wieder weg.

      Und jetzt: Nach der ersten Berührung mit der Führungsschiene fast fünf Minuten, um den Container ordnungsgemäß abzustellen. Dann geschieht geraume Zeit lang überhaupt nichts. Und das im größten und einem der modernsten Häfen Europas. Neun Container in einer Stunde laden sie hier, in Hamburg waren es dreimal so viele. Langsamer haben sie nicht einmal in dem kleinen verschlafenen Hafen