Название | Der Versteckspieler |
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Автор произведения | Herbert Günther |
Жанр | Биографии и Мемуары |
Серия | |
Издательство | Биографии и Мемуары |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783866741324 |
Im Sommer dann sind sie längst Freunde und nicht nur der alte Tanne hat das zu spüren bekommen. Dem Müller sein Erich und Pastors Neffe, die gehören zusammen, denen spitzt der Schalk aus den Augen, die sticht der Hafer, und die Bauern von Ebergötzen wundern sich, dass der Pastor Kleine, der sie doch beide privat unterrichtet, nicht öfter mal eingreift. Aber die richtige Kirchenfrömmigkeit ist des Pastors Sache ja auch nicht, der gibt sich noch mit ganz anderen Sachen ab; die Bienen sind sein Ein und Alles, und mit Halleluja und Gottesfurcht hat er nicht viel am Hut.
»Komm«, sagt Erich an einem heißen Hochsommertag. »Wir gehen baden.«
Draußen vorm Dorf, im Hacketal, da wo die Straße von Waake und Göttingen herkommt, fließt der Bach durch sumpfige Wiesen und ist von Sträuchern und Weiden gesäumt. Sie finden eine flache morastige Stelle am Ufer, werfen ihre Kleider ins Gras und springen ins Wasser. Es reicht ihnen bis zu den Knien. Ein-, zweimal tauchen sie unter, dann bespritzen sie sich gegenseitig mit lautem Gejohl.
Außer Atem staksen sie ans Ufer zurück. Angenehm kühl quillt der Schlamm zwischen den Zehen hindurch. Wilhelm bleibt stehen und sieht an sich hinunter. Bis über die Fußknöchel steckt er im Schlamm.
»Man müsste sich mal ganz einbacken«, sagt Wilhelm. »Von oben bis unten. Wie man dann aussieht?«
Erich ist sofort Feuer und Flamme. Sie legen sich nebeneinander und räkeln sich im Morast. Dann stehen sie auf und betrachten die Abdrücke ihrer Körper im Schlamm. Eben noch waren sie da selber, jetzt sind da Figuren, denen man Namen geben sollte.
»Peter und Paul«, sagt Wilhelm.
Erich grinst.
Gegenseitig bekleistern sie sich die Rückenpartien, die Vorderfront besorgt jeder selber. Die Gesichter zuletzt. Dann liegen sie reglos in der Sonne und warten darauf, dass ihre neue Schutzschicht trocken und hart wird.
»So müsste man mal durchs Dorf gehen«, sagt Erich. »Keiner würde uns erkennen.«
»Wir wären Peter und Paul«, nickt Wilhelm.
Wagen würde er es nicht. Manche Sachen durfte man sich eben nur vorstellen. Aber das waren immer die besten.
Mücken schwirren durch die Luft, im schattigen Wald zwitschern die Vögel. Sonst ist alles friedlich und still. Nur einmal meint Wilhelm aus den Augenwinkeln zu sehen, wie hinter den Sträuchern am jenseitigen Ufer des Bachs etwas davonhuscht, und sofort durchfährt ihn ein heißer, freudiger Schreck. Hannchen Lovis, denkt er, das blondlockige Mädchen aus der Papiermühle ein paar hundert Meter den Bach hinauf. Sie haben sie schon ein paar Mal beim Forellenfangen hier in der Gegend getroffen. Hannchen hat gelacht über ihre Einfälle und freundlich mit ihnen geredet, besonders mit Wilhelm, so schien es ihm. Als würden sie sich lange schon kennen. Dabei ist sie viel älter als er, 18 wohl schon, aber das macht ihm nichts aus. Über sich selbst verwundert stellt er fest, dass es ihm nicht unangenehm wäre, hätte Hannchen ihn so gesehen. Aber nie, niemals würde er darüber sprechen. Auch nicht mit Erich. Selbst mit ihm kann er längst nicht über alles reden, was ihm so durch den Kopf geht. Er rührt sich nicht vom Fleck, schielt nur noch einmal zu den Sträuchern hinüber, kann aber nichts weiter entdecken. Dann schließt er die Augen und spinnt sich in Träume ein, von denen Erich nichts ahnt: Eine Feuersbrunst bricht aus, und Wilhelm rettet Hannchen vor dem sicheren Tod. Selbst bezahlt er dafür mit seinem Leben, er liegt vor ihren Füßen, und Hannchen weint und weint und weint … — Nein, das ist ihm für heute zu tragisch. Lieber die andere Art: Im Traum kann er fliegen. Hoch und weit hinaus, von einem Baumwipfel zum anderen, wohin er nur will. Und Hannchen steht da mit offenem Mund und ist starr vor Bewunderung … — Ja, das ist gut für diesen heiteren Tag. Wilhelm liegt in der Sonne, träumt sich weit weg, und als er das Gesicht zum Lächeln verzieht, merkt er, der Lehmpanzer ist hart.
Ein anderes Mal sind sie unterwegs, um die ausgelegten Vogelfallen zu kontrollieren. Erich ist ein Meister im Herstellen von Fallen. Mit großem Geschick hat er das Geflecht von Pferdehaaren an ausreichend starken Ästen befestigt und mit Vogelbeeren beködert. Er hat Sprenkelkästen gebaut mit krumm gespannten Weidenruten als Schließfedern.
Sie haben Erfolg. In einem Drohnengeflecht hat sich eine junge Schwarzdrossel verheddert. Als Erich sie in den selbst gebauten Käfig setzt, pickt sie ihm die Hand blutig und schlägt mit den Flügeln zuckend gegen den Draht.
»Na warte, du Biest!«, schimpft Erich und saugt sich das Blut vom Handrücken. »Das werden wir dir abgewöhnen!«
Nach zwei Tagen sitzt der Vogel mit eingezogenem Kopf reglos in der Ecke des Käfigs und verschmäht alle Körner.
»Na also. Jetzt bist du gezähmt. Ab morgen werden wir dich was lehren. Es soll Drosseln geben, die können richtig reden.«
Wilhelm ist nicht so wohl bei der Sache. Aber vor Erich will er nicht als Muttersöhnchen erscheinen und schlägt vor, dem Vogel die Deklinationen beizubringen, die sie gerade beim Onkel Kleine durchgenommen haben.
»Und wenn du nicht spurst«, droht Erich dem Vogel, »dann kommst du zum Lehrer Wichmann in die Volksschule, da kannst du schön was erleben!«
Aber am nächsten Tag ist der Vogel tot und sie werfen ihn auf den Misthaufen hinter der Mühle.
Manchmal sind sie im Gasthaus zur Post. Im Hinterzimmer steht ein Klavier, und Wilhelm kann mit dem, was er mehr schlecht als recht zusammenklimpert, sogar Bewunderung finden bei den Dienstmägden und auch bei Heinrich Brümmer, dem Wirt, dem die pechschwarzen Haare aus Ärmel und Kragen quellen. Überall hat der Mensch Haare. Mit ledernen Klapppantoffeln und mit beständig wiederholter Klage, er sei zu gut für diese Welt, schlurft Heinrich Brümmer durch die Räume seiner Wirtschaft, angekündigt von kräftigen Schnupftabakexplosionen.
Wenn Wilhelm Klavier spielt, wird es Erich schnell langweilig. Er schleicht davon, inspiziert Gaststube und Kegelbahn, sieht nach den Hunden und Katzen draußen im Hof oder beguckt sich Heinrich Brümmers Trost und Stolz, die Blumenbeete im Garten, und überlegt, wie man die selbst angepriesene Geduld des Gastwirts auf eine Probe stellen könnte.
Währenddessen sitzt Wilhelm im Hinterzimmer und blättert in Büchern und Zeitschriften, die er auf dem Klavier gefunden hat. Viel versteht er nicht von dem, was er da liest, aber den aufbegehrenden Ton der Schriften spürt er sehr wohl heraus. Gott — ist das am Ende nur eine Erfindung der Menschen? Was gibt es denn, wenn es Gott nicht gibt?
In solche Gedanken verstrickt, zieht er die Haustür hinter sich zu und steigt die Stufen der Steintreppe hinab.
Auf dem Hof steht Brümmer mit Erich und vor ihnen der junge Jagdhund Hasso, den der Wirt vor vierzehn Tagen vom Förster Bornebusch in Hattorf gekauft hat.
»Platz! Mach Platz!«, brüllt der Gastwirt schon sichtlich erregt. Der Hund glotzt zu ihm hinauf und rührt sich nicht.
»Er versteht eben nur Platt!«, lacht Erich voll Schadenfreude.
Das bringt den schwarzhaarigen Wirt noch mehr in Rage.
»Mach Platz, du Mistvieh!«, brüllt er das Tier an und tritt ihm auf die Pfoten. Der Hund jault schmerzvoll auf, zieht den Schwanz ein und versucht wegzulaufen.
»He, Meister Brümmer!«, ruft Wilhelm da. »Ich denke, Ihr seid zu gut für diese Welt?«
Der Wirt fährt herum. Mit zwei, drei Sätzen ist er bei Wilhelm und platsch, schlägt er ihm auf die Wange-
»Du naseweiser Rotzbengel, du!«
Wilhelm fasst sich an die brennende Backe, dreht sich um, läuft vom Hof und nimmt sich vor, ihn niemals wieder zu betreten. Aber dann ist Erich neben ihm, bewundert seinen Mut und sagt: »Nächstes Mal bist du schneller als der in seinen Latschen.«
In vierzehn Tagen ist alles vergessen. Wilhelm sitzt wieder auf dem Hocker hinter dem Klavier, liest »Die