Название | Brennpunkt Ukraine |
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Автор произведения | Christian Wehrschütz |
Жанр | Социальная психология |
Серия | |
Издательство | Социальная психология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783990403389 |
Abgesehen davon: Angesichts der Unterschiede, welches andere System würde fair sein? Welches andere System wird die Einheit schaffen? Aber ich habe keinen der führenden EU- oder US-Unterhändler gesehen, der in der Tat diese Prinzipien befürwortet, und ich verstehe nicht, warum. Jetzt kann es sein, dass Dinge leise geschehen, über die ich nichts weiß. Ich will also kein Urteil fällen, aber wenn man sagt, wie es umgesetzt werden könnte, scheint es mir, dass diese Grundprinzipien, die die Russen vorgebracht haben, wenn sie wirklich durchgeführt würden, einen Rahmen bieten könnten, den Russland akzeptieren würde. Und wenn das stimmt, dann sollten Außenstehende wirklich Druck auf die Ukrainer ausüben, einen Weg zu finden, dies zu erreichen.
Selbst wenn dieser Konflikt nächste Woche stoppen würde, haben wir enorme Probleme vor uns – die Abrüstung von verschiedenen militärischen Gruppen, Wiederaufbau und Sozialwirtschaft, die Rückkehr der Flüchtlinge. Wer könnte dies organisieren und in welcher Weise? Könnte die OECD eine solche Rolle spielen, weil jemand eine Art neutraler Beobachter sein muss?
Sie haben recht. Nun, ich weiß nicht – es gibt einen UN-Ausschuss für Flüchtlinge, aber dieser wird natürlich vollständig von Syrien, Irak, Palästina in Anspruch genommen. Es gibt schon so große Probleme in der Welt, vor allem im Nahen Osten … Aber ich würde eine aktivere Rolle der OECD begrüßen, weil Russland ein Teil davon ist. Und ich denke im Allgemeinen, dass es sinnvoll wäre, wenn alle Seiten eine Vermittlung annehmen würden. Vielleicht ist es besser, wenn diese Organisation, und nicht die EU, einen Großteil der Verhandlungen führt. Wenn Außenstehende nur die eine Seite oder die andere unterstützen, spaltet man weiterhin die Ukraine. Die Ukrainer müssen irgendwie einen Weg finden, sich auf eine Weise wieder zusammenzutun, die akzeptabel ist.
Wenn man die Situation vor acht oder neun Monaten betrachtete, hatte ich den Eindruck, dass Janukowitsch die Vereinbarung mit der Europäischen Union unterzeichnen wollte. In dieser Zeit gab es eine hohe Ignoranz auf Seiten der Ukraine, der Vereinigten Staaten und des IWF. War die Ukrainekrise nicht auch ein Zeichen für eine große Katastrophe der EU-Außenpolitik? Für ihre Politiker und für die USA, aber vor allem für die EU? Hätte man diese Krise nicht verhindern können, wenn die EU der ukrainischen Regierung angeboten hätte, was sie nun anbietet?
Mir sind nicht alle diplomatischen Details, insbesondere das, was Moskau nicht gesagt wurde, bekannt genug, um dies zu beurteilen. Alle Seiten haben Fehler gemacht, indem sie zuließen, dass die Krise zu einem Ost-West-Konflikt geworden ist und dies zur Teilung der Ukraine geführt hat. Auf dieser Basis gibt es, realistisch gesehen, keine gemeinsame Lösung.
Vielleicht wurden ja große Anstrengungen unternommen, um die Russen zufriedenzustellen, und die Russen waren dennoch nicht zufrieden, ich weiß es nicht. Die Ukraine muss erst einmal intern eine Einigung bei diesen Fragen finden, die die meisten Ukrainer in Ost und West unterstützen können. Und dann müssen sie zumindest Duldung von Russland bekommen. Es scheint mir, dass es diplomatische Wege gibt, durch die dies in der Vergangenheit hätte erarbeitet werden können. Immer dann, wenn die Dinge total zusammenbrechen, wird es viel schwieriger.
Die Mechanismen sind immer noch da. Lawrow und Kerry treffen sich offenbar noch, der Mechanismus für die Beratung ist da, zweifellos treffen sich die westlichen Führer noch – auch mit Putin und auch mit den Ukrainern. Wir haben die Kommunikation nicht völlig abgeschnitten. Ich denke schon, dass die echte Verhandlung ruhig verlaufen muss und nicht auf einer öffentlichen Plattform stattfinden soll, weil die Reaktionen auf die Innenpolitik in der Öffentlichkeit häufig nicht zu einer Einigung verholfen haben. Gefragt ist nun die stille Diplomatie. Sie muss die Russen mit einschließen, aber das Entscheidende ist, was die Ukrainer bereit sind, unter sich zu entscheiden. Das, was Russland fordert, sollte etwas sein, was die Ukrainer auch einhalten können. Und wenn der Westen, die USA und die EU, als Bedingung für ihre Hilfe diese interne Klärung von der Ukraine als Voraussetzung fordern, könnte das ebenfalls hilfreich sein. Aber nach dem, was ich an öffentlichen Äußerungen sehe, ist die Krise immer noch zu sehr als ein Kampf darüber einzuordnen, welche Seite die Ukraine für sich gewinnen wird. Keine der beiden Seiten wird jedoch gewinnen. Die Ukraine wird verlieren, wenn das weiterhin so sein sollte.
DIESER MAIDAN WAR EINE REVOLUTION
Gespräch mit Leonid Krawtschuk
LEONID KRAWTSCHUK (*1932) war von 1991 bis 1994 der erste Präsident der Ukraine nach der Unabhängigkeit von der UdSSR. Im Anschluss war er bis 2006 Abgeordneter des ukrainischen Parlaments.
CHRISTIAN WEHRSCHÜTZ: Herr Präsident, Ende 1991 ist die Ukraine nach 300 Jahren wieder zu einem unabhängigen Staat geworden. Die Bevölkerungszahl betrug damals 52 Millionen Einwohner, und jetzt sind es circa 45 Millionen. 23 Jahre nach der Unabhängigkeit hat die Ukraine große staatliche, soziale Probleme – und jetzt erlebt die Bevölkerung die größte Krise seit der Unabhängigkeit. Warum ist das so? Warum ist es der Ukraine in diesen Jahren nicht gelungen, ein stabiler Staat zu werden?
LEONID KRAWTSCHUK: Da diese Frage sehr umfassend und, ich würde sagen, sogar global ist, kann man keine eindeutige Antwort auf sie geben. Es gibt viele Gründe – interne und externe.
Ein interner Grund ist, dass nach siebzig Jahren der Herrschaft durch die kommunistische Ideologie und die Kommunistische Partei in der Ukraine eine Kategorie von Menschen entstanden ist, die sich gegenüber der Gesellschaft, gegenüber dem Volk, gegenüber dem Land und gegenüber der Geschichte nicht verantwortlich fühlten und es nach wie vor nicht tun – solche Menschen gibt es bis heute. Sie sind sich keiner Verantwortung bewusst. Die politische Elite, die diesen ganzen Prozess der Entwicklung eines neuen Staates, eines neuen Lebens, einer neuen Philosophie, der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Freiheit hätte anführen sollen – sie war nicht bloß nicht dazu bereit, sondern lehnte das auch noch ab, weil sie immer noch die kommunistischen Ideen in sich trägt. Wir haben jetzt zwei Parteien: die Partei der Regionen und die Kommunisten. Eigentlich haben sie mit den Idealen, die die unabhängige Ukraine noch in den 1990er-Jahren ins Leben gerufen hatte, nichts gemein. Das heißt, dass die internen Probleme dermaßen kompliziert sind … Es gibt auch interne Wirtschaftsprobleme: Die Ukraine war eine Region, die auf Schwermaschinenbau spezialisiert war. 33 % aller Waffen der Sowjetunion wurden hier, in der Ukraine, hergestellt. 33 % – das ist ein Drittel. Das waren Hunderte von Betrieben, Tausende von Werkhallen, Millionen von Arbeitern. Sie innerhalb von kürzester Zeit in eine andere Branche umzustrukturieren, war sehr schwierig. Ein dritter Grund, der wirtschaftlich eine Rolle spielt: Die Ukraine hatte keine Energieträger und hat sie bis heute nicht. Das hat zur Folge, dass man viel Geld an den Hauptlieferanten von Energieträgern zahlen muss – an Russland. Dies sind interne Gründe.
Es gibt auch externe Gründe, etwa den ständigen Druck auf die Ukraine durch Russland mit unterschiedlichen Methoden – wirtschaftlichen, politischen und jetzt auch noch militärischen. Heute können wir nämlich offen sagen, dass Russland nicht nur Agenten und Terroristen in die Ukraine schickt, sondern es beliefert diese auch mit Waffen und kooperiert mit ihnen. Im Grunde haben wir im Osten einen Krieg nach der Annexion der Krim, die absolut rechtswidrig war und von der Welt nicht anerkannt worden ist. Und es ist nicht nur Russland. Europa hat die Ukraine immer nur durch das Prisma der russischen Interessen betrachtet – und tut das bis heute. Ich habe mich natürlich mit vielen führenden westeuropäischen Politikern getroffen. Jedes Mal haben sie das Gespräch mit mir