Aus, Äpfel, Amen (2) Ria, de Kloa 1948 bis 1951. Mia May-Esch

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Название Aus, Äpfel, Amen (2) Ria, de Kloa 1948 bis 1951
Автор произведения Mia May-Esch
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783960083573



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nicht mehr überwinden. Hier in der gefährlichen Geisterbahn kommt diese Phobie wieder besonders stark durch.

      Vor uns hört man schon die gellenden Schreie der verlorenen Geisterbahnfahrer, die gerade von Hexen, Geistern, Tod und Teufeln aus den Sitzen gerissen werden. Wahrscheinlich werden die nie mehr auf der Erdoberfläche auftauchen. Das meint Beate, aber ich weiß es besser! Als jetzt auch noch diese furchtbaren Gestalten auf uns zugreifen, schreit Beate noch lauter. Ich überstehe die Fahrt gut und möchte gerne nochmals fahren, um meinen Mut zu zeigen.

      „Na, na, des langt scho“, meint Tante.

      Wir marschieren weiter über das Volksfest, schauen uns alles an und möchten dies und wollen das. „Da bräucht ich ja an Geldscheißer und den hob i net“, meint Tante. Ja, dann lass mas halt steh!

      Aber vom Riesenrad bin ich ganz fasziniert, ich will gar nicht weitergehen. Tante meint, da stünden so viele Leute an, das könnten wir nicht mitmachen. Aber ich schaue so voller Sehnsucht zu den schön bemalten Gondeln, die ganz nach oben in den Himmel schweben und sich dann wieder langsam auf die Erde senken. Da gibt Tante nach. Sie setzt uns auf Holztreppen, wo wir auf alle Fälle sitzen bleiben müssen, bis sie wiederkommt. So kleine Kinder sind wir doch wirklich nicht mehr, aber wir folgen.

      Es dauert, dauert und dauert, die Schlange vor der Kasse schiebt sich nur ganz langsam vorwärts. Endlich, nach einer Ewigkeit kommt meine so liebe Tante mit den Fahrkarten in der Hand zurück. Ach, so eine brave Tante hab nur ich! Erwartungsvoll eilen wir mit ihr auf den Eingang zu. Da dauert es wieder, bis wir einsteigen können. Tante kann schon gar nicht mehr stehen.

      Endlich! Wir zeigen unsere Karten vor, die werden eingerissen, wir dürfen hinein und in einer der wunderschönen Gondeln Platz nehmen. Tante sitzt auf der einen, Beate und ich auf der anderen Seite. Die Gondel schaukelt leicht hin und her. Oh, wie schön ist das! Ich fühle mich prima!

      Da setzt sich die Gondel in Bewegung und es geht aufwärts! Aber oh, oh, das kitzelt ganz unangenehm in meinem Bauch! Dieses Gefühl greift nach meinem Magen. Die Gondel bleibt mit einem Ruck stehen. Mir wird übel! Unter uns steigen Leute ein. Wieder ein Ruck und es geht weiter aufwärts. Wieder dieses blöde Gefühl in meinem Bauch! Mein Magen dreht sich um! Stück um Stück steigt die Gondel nach oben. Ich fühle mich immer schlechter. Ich will mir nichts anmerken lassen und reiße mich zusammen. Ich bekomme keine Luft mehr!

      Tante und Beate unterhalten sich. Ich sage schon gar nichts mehr, sondern lehne mich zurück und bete, dass die Gondel nicht mehr weiter nach oben fährt, sondern Kurs auf den festen Boden nimmt.

      Mein Gebet wird nicht erhört! Ganz im Gegenteil! Die Gondel schaukelt wieder ein Stück runter und dann wieder rauf! Der kalte Schweiß steht mir auf der Stirn und ich klammere mich an den Sitz.

      Tante wirft endlich einen Blick auf mich. „Was hast denn? Ist dir schlecht?“

      „Ja, a bisserl … I glaub, ich muass brechen“, sag ich leise.

      „Ja, was solln wir denn iatz macha?“, schnauzt Tante.

      Oh je, sie wird grantig!

      „I mog (will) raus“, meine ich kleinlaut.

      Beate stellt sich nun auch noch gegen mich und gibt ihren Senf dazu: „I mog oba net raus!“

      Ich fange zu weinen an. Es würgt und hebt mich. „I wui raus!“, fordere ich mit letzter Kraft. Da gibt Tante dem Aufpasser unten ein Zeichen. Die Gondel fährt langsam zurück. Endlich, endlich sind wir unten.

      Tante packt uns an den Händen und zieht uns mehr oder weniger heraus. Beate protestiert: „I bleib do, i konn a alloa fahrn!“

      Aber bei der Tante ist es vorbei. Sie ist narrert (wütend), und das wie! „Da stell ich mich a volle Stund lang o, zoih (zahle) an Haufn Geld, weil sie unbedingt do fahrn wui, und dann wuis raus! Des langt mir jetzt! Iatz geh ma hoam. Denkt ja net, dass ich mit eich nochmals aufs Volksfest geh! Nia und nimmer!“

       Und das End vom Lied? Tante ist total stinkert, Beate weint, mir ist immer noch schlecht und ich habe ein schlechtes Gewissen.

       Was man alles essen kann!

      In Lenting kommen immer neue Flüchtlinge, eigentlich Vertriebene, an. Damit dringen aber auch viele neue Dinge in mein Leben vor. Ich kann viele für mich interessante Erfahrungen sammeln! Da gibt es Sachen zum Essen, von denen ich vorher nie etwas gehört habe: Hutzelbrühe, Dillsoße, Hefeknödel, Sauerampfersalat, Maiskuchen, Krautsuppe und, und … Da sind Dinge dabei, die mir sehr gut schmecken. Dazu gehören die Zwetschgenknödel und der Mohnkuchen. Leider probiert Mama solche Dinge nie aus.

      Als der Herr Dietz der Mama erzählt, dass er einen Salat oder eine Suppe aus Milleschockn (Löwenzahn) isst, da sagt Mama gar nichts mehr. Einmal treffen wir ihn, als er nicht nur Milleschockn, sondern auch Brennnesseln brockt.

      „Haben Sie jetzt Hasen oder Ziewerl?“, fragt ihn Mama.

      „Nein, daraus macht meine Frau einen Brennnesselsalat oder Brennnesselsuppe. Das ist sehr gesund. Sie müssen das mal probieren.“

      Da verdreht Mama nur noch die Augen, packt mich an der Hand und wendet sich zum Gehen. „Brennnessel und Milleschockn essen! Geh, geh ma, Hosenfuadda brauch ma wirkle net. Da solln ma uns nacha ah no as Mai verbrenna! Na, na, na, do hert sich doch da Gmüshandel auf! (Komm, gehen wir, Hasenfutter brauchen wir wirklich nicht. Da sollen wir uns auch noch den Mund verbrennen. Nein, nein, da hört sich doch der Gemüsehandel auf.)

       So notig san ma doch net.“

       Die Währungsreform

      Das Leben ist immer noch schwer. Überall herrscht Not. Zwar stirbt man im Dorf nicht gerade an Hunger, aber manchmal wissen die Familien wirklich nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Es ist nichts zu kaufen da! Beim Reischl in Lenting gibt es außer Brot nichts. In der Stadt sind die Schaufenster leer! Niemand hat was anzubieten. Die Geschäftsleute haben nichts mehr auf Lager. „Sie können ruhig nachschauen. Bei uns finden Sie kein Stäubchen mehr. Alle Vorräte, die wir hatten, sind schon längst veräußert.“ Natürlich bestehen wir nicht darauf, die Lager zu besichtigen. Es gibt keine Schuhe, keine Stoffe, keine Kohlen, keine Tafeln, keine Hefte, keine Stifte, keine Lebensmittel, keine Schokolade, einfach nichts! Nichts, nichts und nochmals nichts! Nichts bedeutet überhaupt nichts! Einfach Nullkommanichts!

      Mama hat unten am Bach von einem Bauern ein kleines Gartenstück zur Pacht genommen. Papa hat von den Stammhamern Salat- und Tomatenpflanzerl erhalten. Die letzten Bohnenkerne steckt sie in die Erde und zieht Stangenbohnen heran. Auch Gurken und Gelbe Rüben sollen geerntet werden. Also, wenn man keine Beziehungen hat, dann ist man einfach „hergschenkt“.

      Geld ist nichts mehr wert. Es heißt, wir würden neues Geld bekommen, und zwar schon in den nächsten Tagen.

      Die Wuni Zenta kommt zu mir her. Sie muss nach Kösching in die Apotheke. Ich soll mit ihr gehen. Sie meint, sie habe genug Geld, dass wir auch noch ein Eis essen können. Mit der Aussicht auf ein Eis bin ich natürlich dabei.

      Nach der Apotheke eilen wir zum Ampferl, wo es das Eis gibt. Wir stehen im Hof, Zenta verlangt am offenen Verkaufsfenster zweimal Eis. Wir bekommen es auch, aber die Zenta muss zwanzig Reichsmark dafür zahlen. Das Eis fällt ihr fast aus der Hand. „Ja, warum kost des so vui?“

      „Weil morgen des Geld nimmer gilt.“

      Trotzdem lassen wir uns das Eis gut schmecken.

      Am nächsten Tag heißt es wirklich: Währungsreform, Kopfgeld und Deutsche Mark, DM genannt. Das Geld wird von den Familienvorständen abgeholt. Bei uns übernimmt Tante diese Aufgabe. Sie ist sich der Bedeutung voll bewusst und ist ganz nervös. Voller Eifer schwingt sie sich auf ihr Fahrrad, fährt den Pfarrberg hinunter der DM entgegen. Es pressiert ihr, denn es könnte ja sein, dass das Geld ausgeht und sie keines mehr bekommt. Da kommt sie mit dem Vorderrad auf dem steinigen