Die zweite Reise. Jannis B. Ihrig

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Название Die zweite Reise
Автор произведения Jannis B. Ihrig
Жанр Историческая фантастика
Серия
Издательство Историческая фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783957446695



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Nando. „Ich dachte aber immer, dass wäre eine Übertreibung, weil Eure Seelenmagie so stark ist.“

      Kalus lachte leicht amüsiert und klärte dann auf: „Nein, es stimmt wortwörtlich. Wir, die Angehörigen des Hauses der Seelen, werden mit zwei Seelen geboren. Durch ein spezielles Training sind wir dann in der Lage, die Kraft unserer zweiten Seele im Kampf einzusetzen. Das war die grüne Energie, die du gesehen hast, Schüler Nando.“

      Nando war beeindruckt und verstand endgültig: „Eine zweite Seele, die als Kraftreserve dient. Und sie kann sich in Ihrem Körper, weil sie da heimisch ist, auch wieder regenerieren, hält also ewig.“

      „Du hast es erfasst“, lobte Kalus Nando, der noch eine Frage hatte: „Aber zwei Seelen in einem Kopf … Ist das nicht problematisch?“

      Kalus nickte: „Ja, das könnte es zumindest werden. Deshalb führt jeder meines Hauses dieses besondere Training durch. Hierbei lernen wir, wie wir eine Seele zur Hauptseele, dem Dominus, und die andere zur untergeordneten Seele, dem Servus, bestimmen. Dieses Herr-Diener-Prinzip ist notwendig und wird deshalb schon im Kindesalter geübt, da sich sonst die Seelen untereinander bekämpfen würden. Eine gravierend gespaltene Persönlichkeit wäre das Endergebnis.“

      „Sehr faszinierend“, sagte Nando, der schon die nächste Frage stellen wollte.

      Jedoch kam ihm jemand zuvor. Ein Raptor in einer pechschwarzen Robe eilte ins Gasthaus und ging auf Kalus zu, sobald er diesen erblickte. „Meister Kalus, der Dämonenlord will Sie sehen“, sagte er nach einer knappen Verbeugung.

      Totenstille. Alle Gäste hatten mit dem Essen aufgehört und starrten den Raptor an. Selten wollte der Dämonenlord jemanden persönlich sehen. Kalus stand auf, zückte einen Beutel voller Silbermünzen und drücke Kalusurus diesen in die Hand mit den Worten: „Genieß das Essen, mein Sohn, und bezahl dann unsere Zeche.“

      „Ja, Vater“, sagte dieser knapp. Der Sohn nahm den Geldbeutel entgegen und sah dem Vater hinterher.

      Als Kalus das Wirthaus verlassen hatte, setzte der normale Ablauf wieder ein und alle widmeten sich erneut ihrem Essen. Kalusurus, der sich fragte, was der Dämonenlord von seinem Vater wollte, begann ein neues Gespräch mit Stagar und Nando. Er war jedoch nicht sehr konzentriert, weshalb er oft gar nicht zuhörte. Zu sehr ärgerte er sich darüber, dass er nun die Zeit nicht mit seinem Vater ohne das übliche Meister-Schüler-Gehabe verbringen konnte. Denn was auch immer der Dämonenlord wollte: Es würde dauern, bis sein Vater es getan hatte. Und so lange wäre er nicht zu Hause. Wie immer.

      Kalus eilte durch die Gassen und Straßen von Gula, während er sich fortlaufend fragte, was der Dämonenlord von ihm wollte. Denn für Glückwünsche allein rief der Dämonenlord niemanden zu sich. Vermutlich handelte es sich eher um einen besonderen Auftrag, der Kalus eine Weile unterwegs sein lassen würde. Der Gedanke missfiel ihm, denn er wusste, dass er zu wenig Zeit mit seinem Sohn verbrachte, und jetzt würde es noch weniger werden. So wie immer. Entweder war er unterwegs oder er musste, wenn er einmal Zeit hatte, seinen Sohn trainieren.

      Kalus bereute es ein bisschen, dass er der Meister seines Sohnes war. Denn um der Verpflichtung nachzukommen, seinen Schüler zu einem guten Schwertkämpfer zu machen, musste er seine wenige freie Zeit für das Training verwenden. Da blieb nicht viel Zeit übrig, um einfach Vater und Sohn zu sein. Denn auch wenn Kalusurus in einem Alter war, in dem er sich eigentlich langsam von seinen Eltern unabhängig machte, wünschte Kalus, er könnte ein besserer Vater sein, der immer für seinen Sohn da wäre. Denn das war er auch in der Vergangenheit nicht gewesen.

      Nach mehreren Minuten Eile erreichte Kalus den Platz der Nacht, eine große Fläche, gepflastert mit Obsidiansteinen. Der Platz lag direkt vor der gewaltigen Zitadelle der Finsternis, welche auf einer Erhöhung im Mittelpunkt der Stadt thronte. Jeder Besucher, der aus den Tunneln, die in die Höhle von Gula führten, trat und die Stadt erblickte, erkannte sofort, dass die Zitadelle der Finsternis das Herz des Reiches war. Und obwohl die Stadt selbst mit ihren Gebäuden aus grauem Granit schon unheimlich wirkte, wurde sie von der Zitadelle, erbaut aus nachtschwarzem Granit, noch übertroffen. Die Zitadelle stellte eine Hochburg der Finsternis dar, unbezwingbar und furchteinflößend. Sie übertraf in der Größe selbst die Akademie des Lichts von Erlin. Vermutlich war die Zitadelle das größte Gebäude von ganz Locondia. Und wahrscheinlich galt das auch für das Tor aus schwarzem Holz, durch das man vom Platz aus in den Thronsaal gelangte. Es war zehn Meter hoch und fünfzehn Meter breit, sodass selbst Riesen wie die Zyklopen die Zitadelle betreten konnten.

      Als nun Kalus auf dieses Tor zuging, öffnete es sich von selbst und offenbarte einen Gang, der nur spärlich von wenigen Fackeln ausgeleuchtet wurde. Jedoch hätte das Licht trotzdem ausgereicht, um die Wandbilder, die wichtige Ereignisse der Dämonengeschichte, unter anderem die Vereinigung, darstellten, betrachten zu können. Kalus hatte dafür aber keine Zeit, sondern eilte durch den Gang. Der Dämonenlord hasste es, zu warten, daran konnte sich Kalus gut erinnern, auch wenn seine letzte Audienz schon Jahre zurücklag.

      Endlich war der Felusianer im Thronsaal angekommen, der noch weniger beleuchtet war als der Gang. Man konnte nur innerhalb des Eingangsbereiches etwas erkennen. Der hintere Teil, wo vermutlich der Thron stand, lag in ewiger Dunkelheit. Kalus hatte noch nie den Dämonenlord zu Gesicht bekommen und auch noch nie von jemandem gehört, dem dies gewährt worden war.

      Der Felusianer blieb im beleuchteten Bereich stehen und wartete. Weiter durfte er nicht und das wollte er auch nicht. Denn er hatte angsteinflößende Gerüchte über diese Dunkelheit gehört, auch wenn es natürlich schwer zu sagen war, ob sie der Wahrheit entsprachen. Angeblich soll einmal ein anderer Felusianer so tollkühn oder auch so dumm gewesen sein, in die Dunkelheit hineinzutreten. Man hatte nie wieder etwas von ihm gehört. Die meisten dachten, er wurde voller Zorn vom Dämonenlord erschlagen, weil er es gewagt hatte, diese Regel zu brechen. Andere meinten, dass der Verschwundene von den Schoßtierchen des Dämonenlords, die man in der Dunkelheit still ruhend neben dem Thron vermutete, gefressen wurde. Und noch andere glaubten, der Dämonenlord würde ihn mit Magie am Leben erhalten, damit dieser in alle Ewigkeit durch die Dunkelheit des Thronsaals irren musste, unfähig, das Licht des Eingangsbereiches zu sehen. Und das alles nur, um den Dämonenlord zu unterhalten.

      Was aber auch immer davon stimmen mochte – Kalus wollte es nicht herausfinden. Zu groß war seine Ehrfurcht vor dem Dämonenlord, dessen Dasein für den gemeinen Dämon so unbegreiflich war wie das der Finsternis selbst. Nur eine kleine misstrauische Stimme in Kalus’ Kopf fragte sich, was der Dämonenlord zu verbergen hatte und weshalb er sich nicht zeigte. Doch sie verstummte schnell, erdrückt von der Angst.

      Dafür aber meldete sich eine neugierige Stimme in seinem Kopf: ‚Lebt hier eigentlich noch jemand oder etwas anderes als der Dämonenlord?‘ Es gab niemanden, den er hätte fragen können. Die Zitadelle wurde nicht von den Soldaten bewacht und der Thronsaal war bislang der einzige Raum der Zitadelle, der überhaupt von irgendjemandem betreten worden war. ‚Was verbirgt sich in den restlichen Räumlichkeiten?‘, fragte sich Kalus, wie schon so oft. Und wie immer fand er keine Antwort und vermutete, dass es für ewig so bleiben würde.

      Endlich wurden Kalus’ Grübeleien von einer Stimme mit der Stärke eines Orkans unterbrochen: „Kalus! Ich habe folgenden Auftrag für dich!“

      Wie immer fasste sich der Dämonenlord, der im Verborgenen blieb, kurz und verzichtete auf eine begrüßende Einleitung, auf unnötige Erläuterungen und persönliche Kommentare. Er sprach so mit jedem Dämon, den er zu sich rief, sodass man fast meinen könnte, dass er seine Untertanen gering schätzte. Kalus fühlte sich wie ein Ding behandelt, vor allem, weil der Dämonenlord keine Titel nannte, jede Form des Respektes missen ließ und auch keine Worte des Lobes aussprach, wenn man von einem Auftrag zurückkam. Der Meisterschwertkämpfer schien für den Dämonenlord nichts anderes zu sein als eine leblose Figur auf einem Spielbrett, die man mit ein paar Worten loshüpfen ließ. Dies alles sagte Kalus natürlich nicht laut, dazu war seine Ergebenheit zu groß. Sicher hätte er es auch nicht überlebt. Trotzdem ärgerte ihn diese offensichtliche Arroganz. Irgendwie ironisch: Ein arroganter Felusianer ärgerte sich über Arroganz. Während diese Verärgerung in ihm brodelte, ließ Kalus sich äußerlich nichts anmerken und lauschte den Worten des Dämonenlords, denn dieser