Lieber guter Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an. Susanne Rüster

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Название Lieber guter Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an
Автор произведения Susanne Rüster
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783937881812



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zu verziehen. „Ich finde es auch wundervoll, deine glockenklare Engelsstimme zu hören.“ Er musterte die Leiche. „Todesursache?“

      Obmüller zog das Laken zurück und Berger konnte einen Blick auf das Opfer werfen. Den Hals der jungen Frau zierten dunkle Hämatome.

      Obmüller deutete auf die Perlenkette, die neben der Frau im Schnee lag.

      „Sie wurde erwürgt, wahrscheinlich mit ihrer eigenen Kette. Man muss zugeben, exzellent verarbeitet, jede schlechtere wäre wohl bei derart viel Zug gerissen.“

      „Sie wird sich wohl kaum zu der Qualitätsware gratulieren, schätze ich“, murmelte Berger und hockte sich neben die Leiche. Die junge Frau war höchstens 20 Jahre alt. Irritierend hob sich das Tiefrot der geschminkten Lippen gegen das kalkweiße Gesicht ab. Die dunkel verschatteten Augen blickten ins Leere. Das schwarze Seidenkleid war, wie die Strümpfe, zerrissen. Es musste einen heftigen Kampf gegeben haben. Berger spürte ein Zucken in seinem Kopf wie ein Blitz. Er wandte sich ab und atmete tief durch. Seit einiger Zeit verkraftete er es nicht mehr gut, an Tatorten zu sein. Immer öfter wurde er die Bilder im Kopf nicht mehr los. Bilder von erwürgten, erdolchten, geschändeten Frauenkörpern, die wie Puppen dalagen und erst nachts in seinen Träumen wieder zum Leben erwachten. Dann hallten ihre Schreie durch das Dunkel und jeder Schatten wurde zu einem kichernden, sich davon stehlenden Täter, dem niemand Herr werden konnte.

      Wie aus weiter Ferne hörte er die Worte seines Kollegen Karl Lichtenberg. „Genau das Gleiche wie im letzten Jahr und im Jahr davor. Immer an Weihnachten, immer junge Frauen, immer erdrosselt mit der eigenen Perlenkette. Wenn das die Presse erfährt, geht es rund!“

      Theodor Berger spürte eine heftige Übelkeit in sich aufsteigen und klammerte sich haltsuchend an einen Baumstamm.

      „Berger?“ Obmüller packte den Kommissar am Arm. „Alles in Ordnung?“

      Berger fuhr sich über die kaltschweißige Stirn, schluckte einige Male und nickte dann. „Ja, es ist nichts. Ich muss mir den Magen verdorben haben. Christstollen, Weihnachtspunsch, du kennst das sicher. Einfach zu viel.“

      Obmüller nickte schweigend, doch seine Miene zeigte deutlich, dass er seinem Kollegen kein Wort glaubte.

      „Bringt mir doch bitte den Bericht später ins Büro.“ Leicht taumelnd, aber unter den kritischen Blicken der Kollegen, mit immer fester werdenden Schritten, machte Berger sich auf den Weg zurück zur U-Bahnstation Potsdamer Platz. Er musste ins Präsidium. Es wartete jede Menge Arbeit auf ihn.

      *

      „Das ist jetzt nicht dein Ernst!“ Martas ansonsten wohlklingende Stimme wurde so schrill, dass Berger sich beeilte, den Telefonhörer ein Stück von seinem Ohr wegzuhalten.

      „Schatz, es tut mir leid, was soll ich tun, ich …“

      „Es ist Weihnachten!“

      „Ich weiß.“

      „Das dritte Weihnachten in Folge, an dem du arbeitest!“

      „Ja, ich weiß.“

      „Dann weißt du ja vielleicht auch, wie ich das den Kindern erklären soll? Sie haben sich auf den Abend gefreut. Der Baum ist geschmückt, die Gans im Ofen, und jetzt rufst du an und sagst einfach so, dass es heute wieder nicht geht?“

      Theodor Berger zuckte hilflos mit den Achseln und seufzte. „Ich weiß.“

      Einen Moment lang war nur das Atmen am anderen Ende der Leitung zu hören. Dann ein Klacken und die Leitung war unterbrochen.

      „Marta?“ Noch während Berger den Namen seiner Frau aussprach, wusste er, dass es vergeblich war. „Marta? Marta bitte!“ Sie hatte aufgelegt.

      Wie in Zeitlupe ließ Kommissar Berger den Telefonhörer auf die Gabel zurücksinken. Na wunderbar. Es gab eine unbekannte Leiche ohne Papiere, einen Triebtäter, der jedes Jahr wieder an Weihnachten zuschlug und ihnen so das Leben zur Hölle machte - und nun obendrein noch einen Familienkrieg. Berger wusste, dass Marta sich so schnell nicht wieder beruhigen würde.

      „Kauf ihr doch ’ne hübsche Perlenkette“, sagte Lichtenberg, als dieser etwas später den Bericht vorbeibrachte und von dem häuslichen Dilemma erfuhr. Berger zog eine Augenbraue hoch. „Sehr witzig, Lichtenberg, wirklich.“

      Lichtenberg zuckte ungerührt mit den Schultern und widmete sich dann der Auswertung des Berichtes.

      „Tatsächlich, alles wie im letzten Jahr. Unbekannte junge Frau, gut gekleidet, offensichtlich nicht unvermögend, erdrosselt nach einem Theaterbesuch.“

      Berger runzelte die Stirn, lehnte sich im Stuhl zurück und überkreuzte die Arme. „Die letzte Ermordete war zuvor auch im Theater? Sind Sie sicher?“

      Lichtenberg zog einige Bilder und ausführliche Berichte aus einem braunen Papierumschlag. „Ganz sicher. Hier ist der Fall vom letzten Jahr und hier“, er schob einen weiteren Umschlag zu Berger hinüber, „der von Weihnachten 1921. Wenn man sich die Fotografien ansieht, könnte man wirklich meinen, es handele sich immer um die gleiche Frau. Und alle waren vor dem Mord im Theater.“ Lichtenberg schüttelte den Kopf. „Verrückt, vollkommen verrückt.“

      Berger betrachtete die Bilder der drei jungen Frauen, die sich tatsächlich stark ähnelten. Dunkler Bubikopf, gepflegtes Äußeres, teure Kleidung, Perlenkette. Perlenkette … Bergers Blick wanderte zu den immer gleichen Hämatomen am Hals der Frauen. Dann schob er mit einer raschen Bewegung die Fotos von sich weg und griff stattdessen nach dem Theaterticket. „War schon jemand im Theater und hat gefragt, ob die Frau dort gesehen wurde?“

      Lichtenberg schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein Chef. Wir könnten jetzt sofort jemanden losschicken. Aber vielleicht möchten Sie das in diesem Jahr gern selbst übernehmen?“

      Theodor Berger runzelte missmutig die Stirn. „Wieso sollte ich das tun wollen? Kann das nicht einer von euch machen? Ging doch in den letzten Jahren auch. Ich bin nicht wild darauf, bei der Kälte draußen herumzustiefeln.“

      Lichtenberg kreuzte die Arme vor der Brust. „Na ja, es ist das Wintergartentheater. Bei der Gelegenheit könnten Sie doch vielleicht Karten für die Silvestervorstellung besorgen und Ihre Frau überraschen? Ich denke, das dürfte sie gnädig stimmen. Die Vorstellung soll grandios sein.“

      Über Bergers Gesicht glitt ein ungläubiges Staunen, dann schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. „Lichtenberg, Sie sind mit Gold nicht aufzuwiegen! Warum bin ich da nicht selbst drauf gekommen? Das wird den Haussegen retten, ganz sicher.“ Er raffte Hut und Mantel zusammen, nickte seinem breit grinsenden Kollegen noch einmal zu und eilte aus dem Büro.

      Schon als Berger das Wintergarten-Varieté betrat, beschlich ihn ein seltsames Gefühl. Mehrmals drehte er sich um, weil er sich beobachtet fühlte. Doch da war niemand. Das Foyer lag leer und ruhig im Halbdunkel. Es irritierte ihn, wie gut er trotz der schlechten Beleuchtung seinen Weg fand, denn er war noch nie hier gewesen. Seit Jahren lag Marta ihm in den Ohren, dass sie gern mit ihm zusammen in eine Vorstellung gehen wollte, doch Theater waren nichts für Berger. Bisher hatte er sich erfolgreich gedrückt. Doch nun, angesichts der bedrängenden Sachlage, würde er wohl um die Silvestervorstellung tatsächlich nicht mehr herumkommen.

      Zielstrebig durchschritt er die Halle und fand problemlos das kleine Kartenhäuschen, in dem eine gelangweilte junge Frau sich die Fingernägel feilte.

      „Kann ick Ihnen helfen?“ Sie sah Berger nicht einmal an.

      „Ja, wertes Fräulein, das können Sie tatsächlich! Ich brauche Karten für die Silvestervorstellung. Zwei, bitte.“

      Das Mädchen sah auf und ein erfreutes Lächeln huschte über ihr blasses Gesicht. „Herr Mantey! Wie schön, Sie so bald schon bei uns wiederzusehen! Immer noch geschäftlich in der Stadt, ja?“

      Theodor Berger zuckte zusammen. „Wie bitte?“

      Das Lächeln des Mädchens wurde breiter. „Sie müssen sich nicht genieren. Ich verrate niemandem, dass