Schwarzes Gold. Dominique Manotti

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Название Schwarzes Gold
Автор произведения Dominique Manotti
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783867549820



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      Emily betritt den großen Salon, drei Geiger stimmen ihre Instrumente. Sie werden ein paar traditionelle Festweisen spielen, die Gäste bilden kleine Gruppen, die Gespräche sind lebhaft. Sie durchquert den Raum, alle Blicke wenden sich ihr zu, sie nimmt davon keine Notiz, nähert sich einem jungen Mann in Militäruniform, der mit verschlossener Miene allein in einer Ecke sitzt. Sie umarmt ihn, zieht ihn hinaus auf die Terrasse.

      »David, mach nicht so ein finsteres Gesicht. Sieh dir diesen Ausblick an, diese Stadt.«

      »Du hast es geschafft, du bist in New York, genau das, was du wolltest, bist du glücklich?«

      »Glücklich, ich weiß nicht. Mein Ehemann wirkt ein bisschen wie ein Handelvertreter.«

      »Er ist Handelsvertreter.«

      »Aber ich bin in dieser Stadt, da, wo ich hinwollte. Hier pulsiert das Leben. Spürst du es nicht?«

      Schweigen.

      »Ich bin Joburg entronnen, dem Stillstand. Ich bin am Mittelpunkt der Welt. Mein Leben beginnt hier, jetzt.«

      »Hart für mich, das zu hören. Ich dachte, wir hätten in der Welt da drüben einige schöne Jahre miteinander verbracht.«

      »Wir waren Kinder, lieber Cousin. Sprechen wir über dich, erzähl. Warum hast du dich entschlossen, Soldat zu werden? Nichts hat dich dazu verpflichtet.«

      »Um mein Leben zu beginnen. Für dich ist es New York, für mich die Armee.«

      Das Arbeitszimmer ist nüchtern, dunkles Holz und dunkles Leder, ohne jedes Dekor. Nat Weinstein hat es sich in einem großen Sessel bequem gemacht und trinkt Whisky. Er ist so alt wie das Jahrhundert, hat die Statur eines kleinen Stiers, untersetzt und draufgängerisch, und einen kaum gezähmten weißen Haarkranz. Als Jos und Michael den Raum betreten, hebt er sein Glas.

      »Ich trinke auf das Gelingen dieser Ehe und auf das Glück der Eheleute.«

      Jos und Michael schenken sich ein und stoßen an.

      »Michael, unterhalten wir uns ein bisschen, ehe wir zum Geschäftlichen kommen. Ich kenne Sie kaum. Emily und Sie kennen sich überhaupt nicht. Ich habe Ihnen die Hand meiner Enkeltochter gegeben, weil mein Freund Jos sich für Sie verbürgt hat«, Michael verbeugt sich leicht in Jos’ Richtung, »und weil Jos und ich gemeinsam in einen langfristigen Geschäftskreislauf einsteigen. Ich liebe Emily von Herzen. Ich könnte es nicht ertragen, wenn Sie sie unglücklich machen.«

      »Seien Sie versichert, dass das nicht meine Absicht ist.«

      »Ich habe einige Erfahrung auf dem Gebiet. Glauben Sie mir, gute Absichten reichen nicht aus.«

      »Ich verpflichte mich, alles mir Mögliche zu tun, um Emily glücklich zu machen.«

      Weinstein zögert kurz, fährt dann fort: »Gut, sprechen wir übers Geschäft. Wir, Jos und ich, haben die finanziellen Modalitäten des Zusammenschlusses von Co Trade und Südafrikanischer Minengesellschaft abschließend geklärt. Die Sache ist geritzt. Reden wir jetzt darüber, was bei mir zu Hause, in Südafrika, und auf meinem gesamten Kontinent passiert. Afrika verändert sich grundlegend, davon bin ich überzeugt. Viele meiner Mitbürger sehen es nicht, aber ich, ich spüre es bis in die Knochen. Der Wandel wird sich mit Gewalt vollziehen, viel Gewalt, und unter chaotischen Umständen. Ich benötige die Unterstützung eines sehr guten Logistikers, der mir hilft, meine Kommunikationsnetze in Afrika so gut wie möglich zu festigen, und einen exzellenten Trader, der mir Handelswege eröffnet, über die mein Unternehmen im Ausland Fuß fassen und vielleicht eines Tages Afrika den Rücken kehren kann, was nicht mein Wunsch ist. Aber sollte mein Land unglücklicherweise in einem Blutbad untergehen, will ich, dass meine Firma überlebt. Jos hat mir versichert, dass Sie der geeignete Mann sind. Stimmt das?«

      Michael nimmt sich Zeit zum Nachdenken, lächelt dann. »Ich bin ein Abenteurer, und Jos weiß das. Ja, ich denke, ich bin der Mann, den Sie brauchen.«

      »Nat, Michael ist mein geistiger Erbe bei Co Trade. Damit ist alles gesagt.«

      Die drei Männer trinken.

      »Auf die Zukunft!«

1

      An einem Sonntagmorgen im März 1973 steigt Commissaire Théodore Daquin am Bahnhof Saint-Charles mit zwei großen Koffern und sehr wenig Erfahrung aus dem Zug. Siebenundzwanzig Jahre alt, glänzendes Studium, Politologie, Jura-Examen, Polizeihochschule, die er als einer der Jahrgangsbesten abgeschlossen hat, dann ein Jahr im Sicherheitsdienst der französischen Botschaft in Beirut, sehr weit weg von den Straßen Marseilles. Er durchquert die Bahnhofshalle, tritt hinaus auf den Vorplatz und bleibt geblendet stehen. Vor ihm führt eine monumentale Treppe hinab in die sonnendurchflutete Stadt, mündet in eine schnurgerade, von Bäumen gesäumte breite Straße, ein spektakulärer Blick. Auf dem ersten Absatz der Treppe eine Café-Bar, Tische, Stühle. Daquin nimmt Platz, bestellt einen Espresso. Er hat die kräftige Statur eines Rugby-Spielers, spielt übrigens auch sporadisch auf der Position des Dritte-Reihe-Stürmers, ein breites, kantiges Gesicht ohne Unebenheiten, braune Augen und braune Haare, insgesamt eher ein Allerweltsgesicht, aber eine starke Präsenz, sobald Leben in ihn kommt. Er streckt die Beine aus, schließt die Augen, nimmt die frische Sonnenwärme eines Märzmorgens in sich auf. Schöner Empfang, gute Gefühle. Der Espresso kommt, lauwarm und mittelmäßig, daran muss man sich wohl gewöhnen. Marseille, Kopfsprung in eine unbekannte Stadt, seine erste Anstellung, seine ersten Verantwortlichkeiten, Lust, die Partie mit vollem Einsatz zu spielen, zu begeistern, zu überzeugen, zu gewinnen.

      Taxi. Daquin nennt eine Adresse: 80 Quai du Port, die Wohnung gehört einem Studienfreund namens Porticcio, ein Marseiller, in seine Heimatstadt zurückgekehrt, um seinen Beruf als Anwalt auszuüben, er überlässt sie ihm für die Dauer seines Praktikums in New York.

      »Du hältst sie während meiner Abwesenheit in Ordnung, damit hast du ein Jahr, um zu sehen, ob du dich in Marseille akklimatisierst. Ich will nicht pessimistisch sein, aber das ist keine ausgemachte Sache. Wart’s ab.«

      Das Taxi hält am Vieux-Port, ein großes, sehr belebtes Hafenbecken, überall Boote, Fischerboote, Segeljollen, kleine Frachtkähne in lärmendem Durcheinander, mitten in der Stadt. Nach außen begrenzen das Becken zwei mittelalterlich anmutende Wehrtürme, aufgefrischt durch Vauban. Daquin sucht das Meer und kann es nirgends sehen. Er dreht sich um. Seine Wohnung befindet sich in diesem langgezogenen Gebäude aus schönem Sandstein, strikt moderne Architektur, gepflegte Fassade, er ist begeistert.

      Er steigt hoch in die dritte Etage. Er stellt seinen Koffer im Dunkeln ab, öffnet die Stores, vor ihm eine nach Süden gelegene Loggia, sonnenüberflutet, zu seinen Füßen der Vieux-Port mit seiner Geräuschkulisse, die Quais wie Perlenschnüre aus Terrassen, Bars, Restaurants, Nachtclubs, dahinter die Hügel von Marseille, die Wallfahrtskirche Notre-Dame de la Garde und ein riesiger Himmel. Ein Anblick, an dem man sich bestimmt nicht sattsieht, eine Szenerie, die tatsächlich das Aroma von Glück haben könnte. Er wendet sich um: Das Wohnzimmer, in gebrochenem Weiß gestrichen, helles Parkett, ist sehr schlicht eingerichtet mit einem großen Bauerntisch aus dunklem Holz, flankiert von zwei Bänken. In der Salonecke Sessel und Sofa aus weichem Leder, ein Couchtisch aus gebürstetem Stahl. In einem Bücherschrank ein paar Bücher, ein Hifi-Turm, stapelweise Schallplatten und Kassetten. In der kleinen, übertrieben ausgestatteten Küche registriert Daquin das Vorhandensein zweier Kochbücher. Das Bad gefliest mit Émaux de Briare-Mosaiken in Grau- und Blautönen. Im Schlafzimmer eine Schrankwand mit Schiebetüren und ein riesiges, einladendes Bett. Daquin lächelt, Erinnerung an gewisse Kneipentouren mit Porticcio, mehr oder weniger kontrollierte Entgleisungen während ihrer Studienzeit, unmittelbar nach ’68. Eine Sexszene, für die komplette Dauer einer besonders langweiligen Vorlesung zu zweit in die Projektionskabine eines Unihörsaals gepfercht, und der Filmvorführer sah ihnen zu und setzte mit einer Hand seine Arbeit fort, während er sich mit der anderen einen runterholte. Er meint bis heute zu spüren, wie sich die Eisenteile des Projektors in seinen Rücken bohren. Der Aufenthalt