Rebekkas Tagebuch. Eckart zur Nieden

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Название Rebekkas Tagebuch
Автор произведения Eckart zur Nieden
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783865067050



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lächerlich wirkte. Nach dem heftigen Wortwechsel drehte sich der Dicke um und stapfte wütend davon.

      Später berichtete uns Elisabeth, was geschehen war. Sie stieg die Leiter hinauf, aber nicht ganz. Nur ihr Oberkörper lugte durch die geöffnete Klappe. Der Mann, erzählte sie, war der Ortsgruppenleiter der Partei. Er wollte, dass Ludwig eine Hakenkreuzfahne vorn an der Straße aufhängt. Er erwartete einen Gauleiter – oder wie die sich nennen – für morgen zu einem Besuch. Der sollte würdig empfangen werden. Da Borns Haus direkt an der Hauptstraße steht, sollten sie sich an dem Fahnenschmuck beteiligen und damit ihre Begeisterung über den neuen Geist ausdrücken. Diese Begeisterung war aber bei Ludwig nicht vorhanden, eher das Gegenteil. Er weigerte sich. Er habe keine Fahne, sagte er dem Nazi. Das brachte ihm den Ärger dieses Mannes ein.

       Elisabeth meinte: „Hoffentlich bewirkt das nicht, dass er uns nun mit mehr Sorgfalt beobachten lässt. Es wird erzählt, dass die Gestapo manche Leute drängt, andere zu bespitzeln. Nachbarn, Geschäftspartner, sogar Verwandte.“

       „Könnt ihr euren Nachbarn trauen?“, fragte Aaron.

       „Nun ... “ Elisabeth wiegte den Kopf. „Ich sage ihnen nichts Schlechtes nach. Wir haben eigentlich nach beiden Seiten und gegenüber ein gutes Nachbarschaftsverhältnis. Aber wer weiß schon, wie Menschen reagieren, wenn sie unter Druck gesetzt werden und persönliche Nachteile befürchten müssen. Eine kleine Beobachtung, aufgebauscht oder sogar erfunden, ist ein einfaches Mittel, sich für irgendeinen kleinen Ärger zu rächen, oder zumindest, um sich bei den Machthabern beliebt zu machen.“

       „Es wäre leichter, wenn euer Hof weiter draußen läge. Aber er liegt nun mal mitten im Ort. Und mit der offenen Seite zur Straße, sodass jeder, der vorbeikommt, hineinsehen kann.“

       Elisabeth nickte. Nach einer Weile fuhr sie fort: „Der Ortsgruppenleiter scheint gut über unsere Familie informiert zu sein. Er erwähnte unseren Sohn.“

       Ich sagte: „Es spricht doch für euch, dass euer Sohn an der Front kämpft.“

       „Ja, eigentlich schon. Aber es kann ihm auch schaden, wenn wir gegen das Regime sind. Ein Nazifeind wirft sofort einen Schatten auf die ganze Familie.“

       „Wie denkt denn Harald darüber? Wir haben ihn ja in Wuppertal selten gesehen und uns nie – soweit ich mich erinnere – über Politik unterhalten.“

       Elisabeth antwortete nicht. Sie sah unter sich. Dabei musste ihr wohl der Gedanke gekommen sein, wie sie vom Thema ablenken könnte. „Ach, ich wollte ja noch die Tenne kehren.“ Sie stieg zwei Sprossen nach unten. Das Ablenkungsmanöver war aber so offensichtlich, dass es ihr selber auffiel. Sie zögerte einige Augenblicke und stieg dann wieder drei Sprossen hinauf.

       „Leider ... “, sagte sie leise und sah uns dabei nicht an, „leider denkt Harald in diesen Dingen nicht wie wir. Er ... er ist mit dem gegenwärtigen Regime durchaus einverstanden.“

       Aaron wollte ihr wohl ein wenig aus der Verlegenheit helfen, bereute sicher auch, die Frage gestellt zu haben. „Nun ja, wenn er Offizier ist ... Dazu gehört ja auch Gehorsam. Mehr noch: eine unbedingte Identifikation mit der Sache, für die man kämpft.“

       „Das allein ist es nicht.“ Ich konnte sehen, wie schwer es Elisabeth fiel, das zu sagen. „Er geht ganz in dieser Ideologie auf.“

       „Ist er denn auch ... “ Aaron hatte unüberlegt angefangen zu sprechen. Aber er biss sich auf die Lippen und vollendete die Frage nicht.

       Elisabeth wusste allerdings, was er fragen wollte. „Ich weiß nicht, ob man ihn als Antisemit bezeichnen kann. Ich fürchte, weit entfernt davon ist er nicht.“

       Eine Weile war es still. Jeder hing seinen Gedanken nach.

       Dann meinte ich, etwas Tröstliches sagen zu müssen. „Du musst dir deswegen keine Vorwürfe machen, Elisabeth. Erziehung kann in diesen Dingen nicht viel bewirken. Schon gar nicht, wenn ein Sohn seine Einstellung erst als Erwachsener gefunden hat. Da ist der Einfluss der Eltern gleich null.“

       Elisabeth nickte. „Nett, dass du das sagst. Aber was mich belastet, sind nicht eventuelle Erziehungsfehler. Ich bin betrübt, dass er so denkt, egal, wie er dazu gekommen ist. Es ist nicht im Sinne Gottes.“

       Weder Aaron noch ich wussten etwas dazu zu sagen, obwohl wir sie gern getröstet hätten. Elisabeth sah unsere Verlegenheit und meinte: „Belastet ihr euch nicht damit! Gott wird uns, Ludwig und mir, die Kraft geben, damit fertig zu werden, wenn wir es nicht ändern können.“

       Sie stieg noch zwei Stufen höher und setzte sich auf den Rand der Öffnung. „Natürlich ist es fast unmöglich für alte Eltern, an der Einstellung eines erwachsenen Sohnes etwas zu ändern. Besonders wenn diese Einstellung fanatisch ist und von der Mehrheit der Menschen seiner Umgebung gestützt wird. Ich dachte nur, als Kind und Jugendlicher in unserem Haus hätte er durch den Umgang mit der Bibel und christusgläubigen Eltern gefestigt sein müssen. So gefestigt, dass diese antigöttliche Ideologie bei ihm keinen Nährboden hätte finden können. Aber das war ein Irrtum.“

       Nachdem wir alle drei wieder einige Zeit geschwiegen hatten, sah Elisabeth plötzlich auf. „Oh – entschuldigt! Ich habe euch mit meinen Sorgen belastet, dabei sind doch eure Sorgen viel größer! Reden wir nicht mehr davon!“

       „Aber Elisabeth!“, sagte ich. „Wir wären wirklich sehr egoistisch, wenn wir die Sorgen der Menschen nicht mittragen wollten, die unsere größeren Sorgen mittragen! Die unsere Sorge zu ihrer eigenen machen! Und das ganz praktisch. Wir danken dir für den Vertrauensbeweis, dass du uns an deinem Kummer teilhaben lässt.“

       Ich rückte ein wenig näher und legte die Hand auf ihre Schulter. Sie lächelte mich dünn an.

       „Ihr müsst aber keine Angst haben“, sagte sie dann. „Wenn Harald Fronturlaub hat, besucht er Frau und Kind in Wuppertal. Hierher kommt er nicht. Unser Verhältnis ist viel zu ... wie soll ich sagen? ... angespannt, als dass er von den wenigen Tagen Urlaub noch einige bei seinen total altmodisch denkenden Eltern verbringen würde.“

       „Das klingt bitter“, stellte Aaron leise fest.

       „Ich weiß, bitter soll man nicht werden. Aber, offen gesagt: Ich fürchte, innerlich haben wir unseren Sohn verloren, auch wenn er natürlich unser Sohn bleibt. Und wenn unsre Liebe ihm weiter gilt.“

      Ich sagte: „Wohl wissend, dass es kein Trost ist, sage ich es trotzdem: Wenn ihr auch euren Sohn innerlich verloren habt, mit uns habt ihr Freunde gewonnen. Freunde, die euch allerdings nichts nützen, eher belasten. Und wenn es stimmt, was Ludwig neulich sagte, dass Gott irgendwann einmal fragen wird, wo ihr Bedürftigen geholfen habt, dann zeigt auf uns.“

       Aaron tadelte mich: „Ach, Rebekka! Es stimmt zwar, dass wir dankbare Freunde sein wollen, aber du kannst uns doch nicht mit ihrem Sohn vergleichen!“

       Ehe ich antworten konnte, meinte Elisabeth: „Lass nur, Aaron! Ich weiß, wie Rebekka es meint. Und ich danke ihr dafür. So – jetzt muss ich mich aber um die Hühner kümmern. Und um die Schweine. Und ich meine nicht die Nazis.“

       Sie lächelte uns an, während sie rückwärts die Leiter hinunterstieg.

      Ein schmutziger kleiner LKW fuhr auf den Hof, und ein Mann in ölverschmiertem blauem Arbeitsanzug stieg aus. Zielstrebig ging er auf die Tenne zu, in der Harald Born seinen Oldtimer stehen hatte.

      Stefanie sah ihn durchs Fenster und kam auf den Hof. „Guten Morgen. Kann ich Ihnen helfen?“

      „Ich bin angemeldet“, sagte der Fremde.