Mara und der Feuerbringer. Tommy Krappweis

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Название Mara und der Feuerbringer
Автор произведения Tommy Krappweis
Жанр Детская фантастика
Серия
Издательство Детская фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783964260406



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Zweige haben sich gleichzeitig wundgebrüllt, und nach einer geschlagenen Stunde hat deine Mutter endlich reagiert. Es scheint, als wäre sie nicht gerade die beste Zuhörerin, wenn du verstehst, was ich meine!«

      Mara verstand so was von dermaßen gut, dass sie genau deswegen darüber kein Wort verlieren wollte. Trotzdem hakte sie noch einmal nach: »Du willst mir gerade erklären, die anderen Zweige haben meine Mutter … angeschrien, dass sie einen Kopfstand machen soll, weil du auf dem Boden lagst und in ihre Haare wolltest?«

      »Ganz genau.« Der Zweig klang belustigt. »Aber keine Sorge, deine Mama denkt natürlich, dass es ganz allein ihre Idee war, und vermutlich ist sie sogar stolz darauf. Hat auf jeden Fall für Aufmerksamkeit gesorgt unter deinen Freundinnen, oder?«

      »Kann man so sagen«, murmelte Mara. »Und das sind nicht meine Freundinnen, sondern die von meiner Mutter.«

      »Gut, dann wäre das geklärt«, sagte der Zweig in geschäftigem Tonfall und fuhr ebenso zielstrebig fort: »Du bemerkst, ich versuche all deine ersten Fragen möglichst schnell zu beantworten, damit wir bald zum Wesentlichen kommen können. Und somit nehme ich an, dass du dich als Nächstes fragst, warum Pflanzen überhaupt sprechen. Antwort: Pflanzen sprechen nicht. Pflanzen denken. Stell dir einfach vor, wir könnten so laut denken, dass du es in deinem Kopf hören kannst. So, als würdest du in einem See stehen und die Wellen spüren, weil jemand irgendwo weiter weg einen Stein ins Wasser geworfen hat. Du hörst nicht das Platschen, aber du spürst die Wellen, verstehst du?«

      Mara nickte stumm. Was hätte sie auch sonst tun sollen?

      »Fein. Weiter«, sagte der Zweig und wirkte zunehmend in Eile. »Jetzt ist deine nächste Frage natürlich, ob Bäume auch sprechen können, und die Antwort ist ebenso natürlich: Ja! Nur sprechen die Bäume so verdammt langsam, dass man davon nicht mehr mitkriegt als eine Art Brummeln. Der Baum, von dem ich stamme, zum Beispiel, der hat vor 34 Jahren angefangen, dem Baum rechts von ihm zum 200-jährigen Geburtstag zu gratulieren. Aber wenn er dann endlich mit der Gratulation fertig ist, kann er gleich wieder von vorne anfangen, weil es dann Zeit ist fürs 450-jährige Jubiläum.«

      Mara hatte ein Gesicht aufgesetzt, das man bestenfalls als überforderte Verwirrtheit bezeichnen konnte.

      »Und mach ja nicht den Fehler, einen Baum unterbrechen zu wollen!«, sagte der Zweig gerade. »Denn dann dauert es noch länger – weil er zwischendrin noch drum bittet, ihn doch höflicherweise erst mal ausreden zu lassen, bevor er dann genau da weitermacht, wo man ihn unterbrochen hat. Diesen Fehler machst du genau ein einziges Mal!« Der Zweig kicherte und Mara konnte nicht anders, sie musste auch grinsen. »Na ja, irgendwann hat man sich gewöhnt an das dauernde Gebrumme der Bäume, ich hör’s schon gar nicht mehr. Manchmal denk ich mir, es wäre fast angenehmer, ein Mensch zu sein, weil ihr euch das alles nicht mit anhören müsst. Was uns, und hier bitte die elegante Überleitung beachten, zurück zu dir bringt, Mara … vorausgesetzt, du bist jetzt ein bisschen entspannter?«

      Aha, das war also der Grund gewesen für den Smalltalk über die Baumsprache!, dachte Mara und fand, dass das den Zweig irgendwie sympathisch machte. Doch bevor sie darüber nachgrübeln konnte, dass sie gerade einen Zweig als sympathisch bezeichnet hatte, sprach dieser weiter und zog das Tempo wieder an: »Also, du bist nicht verrückt und ich bin auch kein Traum oder so was Ähnliches. Du hörst mich, und du verstehst mich, und es gibt nicht mehr viele Menschen von deiner Sorte. Ehrlich gesagt, sieht es ganz danach aus, als wärst du die Letzte, die das kann. War wohl irgendwann bei euch nicht mehr so populär, mit Pflanzen zu sprechen.«

      »Aber das verstehe ich nicht!« Mara konnte nicht anders, sie musste den Zweig unterbrechen. »Ich meine, ich verstehe eigentlich das meiste nicht von dem, was du sagst, aber das verstehe ich erst recht nicht! Heute saßen diese ganzen Schreckschrauben aus dem Kurs von der Flatterfrau vor euch, und ihr habt kein Wort gesagt, obwohl die drei Stunden lang drum gebettelt haben!«

      Können Zweige grinsen? Wenn ja, dann tat ihr Zweig das jetzt.

      »Du meinst, einmal abgesehen davon, dass Menschen wie diese meistens nur sich selbst hören, und das in voller Lautstärke? Nein, Mara, wir Pflanzen sprechen nur zu euch Menschen, wenn wir etwas mitzuteilen haben. Das war schon immer so. Und ich muss mich jetzt trotz Wasserglas mal ein bisschen beeilen, denn man hat mir eine Menge aufgetragen, was ich dir erzählen muss.«

      Doch Mara unterbrach ihn schon wieder: »Wer? Wer hat dir das aufgetragen? Und warum erzählt er mir das nicht einfach selbst?«

      Der Zweig klang jetzt zum ersten Mal etwas unsicher: »Das weiß ich nicht. Ich kann dir nur sagen, dass uns allen heute Morgen bei Sonnenaufgang plötzlich klar war, was wir zu tun hatten und was ich zu sagen habe.«

      Der Zweig schwieg einen Moment, als würde er nachdenken.

      »Komisch eigentlich, ich könnte schwören, dass ich mir gestern über kaum mehr Gedanken gemacht habe als über ein paar Blattläuse«, sagte er. »Aber was soll’s, es ist, wie es ist, und wer auch immer wollte, dass ich dir was ausrichte, soll nicht von mir enttäuscht werden. Also, jetzt pass auf, denn nun geht es um dich: Mara, du bist eine Spákona

      Mara starrte den Zweig verständnislos an. »Was bin ich?«, fragte sie, und der Zweig wiederholte das Wort noch einmal sehr langsam und überdeutlich: »Spá-ko-na. Eine Spákona

      Der Zweig hielt kurz inne.

      »Du weißt nicht zufällig, was das bedeutet?«, fragte er, aber Maras Gesichtsausdruck machte eine Antwort überflüssig. Der Zweig seufzte. »Tja, dann sind wir schon zwei. Aber so hat man mir das aufgetragen. Du bist eine Spákona! Was immer es ist – du bist es. Herzlichen Glückwunsch. Oder Beileid. Oder beides. In jedem Fall bitte merken: Spákona

      »Äh … ich … ich schreib’s mir auf«, stammelte Mara und schrieb das Wort ebenso gewissenhaft wie verwirrt mit Bleistift auf die vollgekritzelte Unterlage auf ihrem Schreibtisch. Dabei bemerkte sie, dass sie über das a einen kleinen Strich gemacht hatte, obwohl sie dieses ungewöhnliche Detail niemals so aus den Worten des Zweigs hätte heraushören können. Trotzdem hatte sie das seltsame Strichlein ebenso unbewusst mitgeschrieben, wie sie auch einen Punkt über ein i gesetzt hätte.

      Dann sah sie wieder den Zweig an, und zwar mit dem Blick eines vier Meter großen, leuchtend rot blinkenden Fragezeichens, das jeden Moment in den schillerndsten Farben platzen und das gesamte Zimmer verwüsten würde, wenn nicht sofort irgendjemand erklärte, wer oder was eine Spákona war!!!

      Falls der Zweig Maras fragenden Blick bemerkte, ließ er sich zumindest nichts anmerken. Stattdessen räusperte er sich geräuschvoll, um weiterzusprechen.

      Mara ignorierte den Gedanken, dass der richtige Platz für Leute, die Zweige räuspern hörten, die Irrenanstalt war. Wenn dieses Gespräch zu nichts führte, konnte sie ja immer noch ihren Plan mit dem Langhaarschneider in die Tat umsetzen. Larissa würde ihr ja nicht weglaufen. Vorerst.

      »Kommen wir jetzt zu dem wichtigsten Teil meiner Botschaft«, sprach der Zweig und Mara bemerkte, dass seine Stimme plötzlich einen sorgenvollen Unterton bekam. »Bitte leg deine Finger auf meine Blätter.«

      Kurz dachte Mara darüber nach, was Larissa wohl sagen würde, wenn sie sie dabei erwischte, wie sie Händchen hielt mit einem Zweig. Doch da berührten ihre Finger auch schon seine Blätter, und etwas in Mara explodierte …

       Kapitel 3

      Später würde Mara einmal beschreiben, dass sich dieses erste Mal anfühlte, als wäre in ihrem Kopf ein Ballon geplatzt. Ein Ballon, den man nicht mit Luft, sondern mit Eindrücken aufgepumpt hatte: laut, verwirrend und vor allem sehr schmerzhaft!

      Bilder, Gefühle und Geräusche prasselten so heftig auf Maras Bewusstsein ein, als wollten sie eine Schlacht um die Vorherrschaft in ihrem Gehirn gewinnen! Doch