Название | Phantombesuch |
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Автор произведения | Gaby Peer |
Жанр | Современная зарубежная литература |
Серия | |
Издательство | Современная зарубежная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961450800 |
„Sie wird wach“, sagte eine Stimme. Eine vertraute Stimme. Das hörte sich sehr nach Julia an. Was um Himmels willen hatte Julia mit ihrem Zustand zu tun?
„Elena?“ Eine Hand legte sich auf ihre Stirn und Elena dachte, das müsse King Kongs Hand sein – wie schwer war die denn? Also, ich brauche jetzt klare Verhältnisse, beschloss Elena tapfer. Sie gab sich einen großen Ruck und schaffte es, unter massiver Anstrengung die Augen zu öffnen. Tatsächlich, da stand Julia. Aber warum hatte sie ein tränenüberströmtes Gesicht? Julia war normalerweise keine Heulsuse. Ganz im Gegenteil, sie war sehr hart im Nehmen. Wie oft hatte sie früher die Jungs damit beeindruckt. Julia war eine ganz Coole.
„Elena? Wie fühlst du dich?“
„Ich hoffe, die Sause war es wert, dass ich mich so fühle, wie ich mich fühle“, scherzte Elena.
„Sie ist von der Spritze noch ganz benebelt“, sagte eine fremde Stimme hinter ihr.
Elena versuchte den Kopf zu drehen, um nachzusehen, wer so einen Mist redete. Spritze? Was für eine Spritze denn? Sie schaute sich langsam um – fast im Zeitlupentempo drehte sie ihren Kopf in alle Richtungen. Dabei musste sie deutliche Einschränkungen in Kauf nehmen, denn ihr Vorhaben, sich Klarheit zu verschaffen, war sehr schmerzhaft. Ja, das war ihr Wohnzimmer und sie lag auf dem Sofa, auf dem sie gestern Abend mit Manuel … Manuel, da war doch etwas. Was war mit Manuel? Sie strengte sich sehr an, um einen klaren Gedanken fassen zu können, aber es wollte ihr nicht gelingen. Wo waren die Kinder? Was war hier los?
„Spritze?“, fragte sie leise. Mehr schaffte sie nicht zu sagen.
„Elena, es ist etwas Schreckliches passiert. Du bist zusammengebrochen, weil – weil Manuel verunglückt ist. Er ist tödlich verunglückt, Elena.“
Mühsam versuchte sie, das Gesagte in ihrem Kopf ankommen zu lassen und einzusortieren. Es fühlte sich an, als ob ihr Kopf in Watte gepackt wäre. Sie hatte es gehört, sie hatte es verstanden – aber die Worte lösten nichts in ihr aus. Sie konnte deren Inhalt nicht realisieren. Tot, Manuel war tot. Das hatte Julia gerade eben gesagt. Sie schloss die Augen wieder, weil sie nicht mehr imstande war, diese noch länger geöffnet zu halten.
„Lassen wir sie noch ein bisschen schlafen. Gönnen wir ihr noch eine kleine Pause“, sagte die fremde Stimme.
Elena strengte sich sehr an, nicht wieder einzuschlafen. Manuel tot, Manuel tot, hämmerte es in ihrem Kopf. Schließlich gab sie dem Drang nach und schlief mit dem Gedanken ein, dass Manuel, wenn sie aufwachte, bestimmt wieder bei ihr sein würde.
Elena erwachte erneut, aber Manuel war dennoch nicht bei ihr. Ihre Schwester war aber immer noch da. Sie hielt ihre Hand und war wohl vor Erschöpfung eingeschlafen. Es dauerte eine ganze Weile, bis Elena wirklich munter war und einigermaßen klar denken konnte. Aber was ihr dabei einfiel, war eine Katastrophe und durfte nicht wahr sein. Mehr und mehr drang die Wahrheit in ihr Bewusstsein. Sie wollte Julia nicht wecken, sie wollte nicht reden müssen – es war totenstill im Zimmer. Bei dem Wort „totenstill“ konnte Elena sich nicht mehr beherrschen und es brachen alle Dämme auf einmal. Elena schluchzte, zitterte und ließ den Tränen freien Lauf. Erschrocken fuhr Julia aus ihrer Schlafposition hoch, sammelte sich aber sofort und nahm Elena fest in den Arm. Sie sagte nichts. Sie wusste genau, dass es keine Worte gab, die Elena den Schmerz hätten nehmen oder auch nur lindern können.
„Die Kinder sind bei Irina und Max“, flüsterte Julia. Dann drückte sie Elena nur noch wortlos an sich und spürte selbst einen unbeschreiblichen Schmerz in der Brust.
„Es war zu perfekt, einfach zu perfekt“, presste Elena unter großer Mühe hervor. Das war der einzige Satz, den sie an diesem Abend sprach.
Keine der beiden hätte am nächsten Tag sagen können, wie sie die Nacht überlebt hatten. Irgendwann war sie zu Ende. Es herrschte die ganze Zeit absolute Stille. Außer ihren Atemgeräuschen und immer neuen Wein- und Schluchzattacken war nichts zu hören. So war es gut, stellte Elena am nächsten Morgen fest, als immer mehr Menschen sich in ihrem Haus versammelten. Alle wollten ihr beistehen. Alle hatten Fragen, die sie nicht beantworten konnte. Ihre Eltern, ihre Freundinnen, Manuels Freunde, Kollegen aus der Klinik, ja sogar Nachbarn wollten helfen. Die Nachricht von Manuels Tod hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Alle waren fassungslos, hilflos und tief betroffen. Die einen gingen gleich wieder, andere blieben länger und es kamen immer neue Menschen dazu. Elena fühlte sich, als ob sie in einem Käfig oder Schaufenster sitzen würde und eine besondere Attraktion sei. Verstohlen richteten sich die Blicke auf sie, bis sie es nicht mehr aushielt. Sie stand einfach auf und ging aus dem Haus. Julia rannte ihr hinterher. „Wohin gehst du, Elena?“
„Ich will zu meinen Kindern. Ich fahr zu Irina und Max.“
„Ich fahre dich.“
„Ja, das wäre gut.“
Irina öffnete die Tür – auch sie hatte ganz verweinte Augen. Ihr schlichtes „Es tut mir leid“ und „Ich bin jederzeit für dich da“ taten Elena gut. Keine große Reden und leeren Versprechungen, dass es schon wieder gut werden und der Schmerz sicher bald nachlassen würde. Nur einfache, ehrlich gemeinte Worte und eine herzliche Umarmung. Das reichte völlig aus.
„Lois und Selina sind oben bei Leon im Zimmer. Ich habe ihnen noch nichts gesagt, aber wenn du mich dabeihaben möchtest, stehe ich dir gerne zur Seite.“
„Kann ich sie im Wohnzimmer sprechen und ihr beide haltet euch bitte in der Küche bereit für den Fall, dass ich es nicht packe?“
„Ja, so machen wir es. Ich hole die beiden.“
Elena war nicht in der Lage, richtig zu denken. Zu fühlen, erlaubte sie sich nicht, denn sie wollte – musste für ihre beiden Kinder stark sein. Ihr war nur zu klar, dass sie das nicht mehr sein konnte, wenn sie es nicht schaffte, ihre Gefühle zu unterdrücken. Sie registrierte aber trotzdem, wie gut ihr Julias und Irinas Art, mit dieser Situation umzugehen, tat. Schlicht und einfach, keine großen Worte, kein „Oh, du Arme“ oder „Die armen Kinder“. Sie schauten ihr beide in die Augen, wenn sie mit ihr redeten, ansonsten waren sie einfach nur da – still, aber da.
Selina und Lois stürmten freudig auf sie zu und drückten sie. „Warum hast du uns von der Überraschung nichts erzählt? Es war so toll und hat echt Spaß gemacht. Wir haben so viel gespielt – Samira hat immer so tolle Ideen. Ich möchte auch eine große Schwester, Mami“, schnatterte Selina.
„Selina, Lois, ich muss euch etwas sagen.“
Erst jetzt schauten die beiden ihre Mama richtig an und man konnte an ihren erschrockenen Gesichtszügen erkennen, dass sie bemerkt hatten, dass mit ihrer Mami etwas nicht stimmte. Jetzt hatte Elena die volle Aufmerksamkeit ihrer Kinder.
„Es ist etwas sehr Schlimmes passiert. Ich werde euch sehr, sehr wehtun mit dem, was ich euch jetzt sagen muss.“
Beide sahen sie mit großen, ängstlichen Augen an. Keiner der beiden sagte einen Ton und keiner bewegte sich – keinen einzigen Millimeter.
„Euer Papa ist …“
Selinas Augen füllten sich bereits mit Tränen. Sie war schon immer ein sehr sensibles Kind gewesen, aber dass sie mit ihren sechs Jahren so schnell eine Tragödie erspürte, war bemerkenswert. Sie fixierte ihre Mama mit einem verzweifelten, aber auch wissenden Blick. Selina nickte Elena leicht zu, als ob sie ihr Mut zum Reden machen wollte.
„Papa ist verunglückt. Er hat nicht … Er ist …“
„… verletzt“, sagte Lois. „Ist er von einem Krankenwagen abgeholt worden? So richtig mit Blaulicht? Besuchen wir ihn gleich?“
Zusammenreißen, reiß dich zusammen, Elena! „Nein, Lois, Papa durfte nicht in einem Krankenwagen mitfahren. Papa ist nicht im Krankenhaus. Papa ist im Himmel. Die Engelchen haben ihn zu sich geholt, mein Schatz.“
Selina