Seniorenknast - wir kommen!. Christa Mühl

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Название Seniorenknast - wir kommen!
Автор произведения Christa Mühl
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783960081517



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Wagen mit dem mickrigen Einkauf stehen und geht lächelnd zur Lottoannahmestelle, die sich am Ausgang des Supermarktes befindet. Dort greift sie zu einem Kugelschreiber. Die Dame am Stand hat gerade nichts zu tun und schiebt ihr beim Anblick des Zehners gelangweilt einen Lottoschein hin.

      Mira schaut sie an und schüttelt ärgerlich den Kopf. „Nee, danke! Da kann ick doch mein Jeld gleich wegschmeißen.“

      Die Frau nickt. „Ich hab auch noch nie was gewonnen …“ Mira nickt zurück. Na bitte! Sie bemerkt das lila Brillengestell der Lottotante und registriert es als Zeichen, schreibt auf ihren Einkaufszettel unter Klopapier und Kräuterbitter: Hallorenkugeln, 2 Picco, SUPERillu, Katzenfutter.

      Rechnet im Flüsterton die Preise zusammen und ist zufrieden: Da bleibt sogar noch etwas übrig.

      Sie schiebt der Dame den Kugelschreiber wieder zu und haucht: „Schicke Brille!“ Die Frau lächelt geschmeichelt und flüstert ihr noch den Namen einer bekannten großen Optikerkette hinterher. Aber Mira geht nun flott zu ihrem Gitterwagen zurück.

      Unglücklicher Weise kommt sie an einem Regal mit Saisonpflanzen vorbei. Alpenveilchen im Angebot! Diese grässlichen Dinger kann sie nicht ausstehen. Aber zwischen denen in Altrosa, Rot und Weiß steht ein einziges in Violett. Es scheint ihr förmlich zuzuwinken. Da kann sie nicht widerstehen.

      Viele Münzen bleiben für das Kleingeldsäckchen nicht übrig.

      Jetzt ist sie trotzdem ganz gut gelaunt und quartiert auf dem Parkplatz die erworbenen Schätze liebevoll aus dem Einkaufswagen in den Kofferraum ihres klapprigen Autos. Alles wird ordentlich in einen lila Korb gestellt. Klappe zu. Einkaufswagen zurück. Eine alte D-Mark, die sie als Chip immer dabei hat, klickt aus dem Schlitz. Die steckt sie mit sehnsuchtsvollem, traurigen, tiefen Seufzer ins Seitenfach der Autoschlüsseltasche.

      Dann geht sie zu ihrem Gefährt, das sie liebevoll Ruckelchen nennt. Etwas beschämt fällt ihr ein, dass sie den lila Korb Anfang des Jahres mitgehen ließ. Sie hätte ihn schon gern gekauft – aber der türkische Gemüsehändler erklärte ihr umständlich, dass das nicht möglich wäre.

      Noch nie in ihrem Leben hatte sie was geklaut. Schüchtern fragte sie, ob sie den Korb wenigstens bis zu ihrem Auto mitnehmen könnte, um das Gemüse umzulagern. Der Mann nickte ihr lächelnd zu. Sie knallte den Korb samt Tomaten, Knoblauch und Frühlingszwiebeln in den Kofferraum und bretterte davon. Sie fürchtete, dass ihr sofort scharenweise türkische Gemüselieferwagen folgen würden. Deshalb übersah sie eine Polizeistreife, die sich am Straßenrand um eine Prügelei zwischen Schulkindern kümmerte. Nach einer Vollbremsung konnte sie in letzter Minute Schlimmeres verhindern, fing sich aber an einem Straßengeländer, das sie übersehen hatte, eine winzige Beule ein. Und wurde auch noch sofort zu 10 Euro Bußgeld verdonnert.

      Damals war sie noch nicht so klamm, was die Kohle betraf. Schnell drückte sie dem grinsenden Jungbullen einen Schein in die Hand und fuhr davon.

      Sie achtete dann auf alle Vorschriften, wobei sie zu erkennen glaubte, dass ihr sämtliche Dönerbudenbesitzer rechts und links am Straßenrand vorwurfsvoll bis grimmig nachschauten.

      Ruhe fand sie erst nach einigen Tagen. Und erst Wochen später stellte sie den lila Korb, den sie hinter alten Umzugskisten in ihrem Keller versteckt hatte, zurück in den Kofferraum. Sie findet ihn wunderschön und tätigt keinen auch noch so kleinen Einkauf ohne ihn.

      Nun setzt sie sich also zufrieden in ihr Auto, lässt den Motor an, es ruckelt – die beiden Piccolo im Korb scheppern aneinander. Das Geräusch gefällt ihr. Dann steigt sie noch einmal aus, nimmt eine der kleinen Sektflaschen aus dem Korb und steckt sie in ihren lila Notfallbeutel, den sie im Handschuhfach deponiert hat. Fröhlich fährt sie heim.

      Sie legt alles für den nächsten Tag zurecht. Endlich zufrieden, setzt sie sich vor den Fernseher und sieht – wie immer von Montag bis Freitag – die neueste Folge ihrer Lieblings-Telenovela. Keine besonders gute Folge, wie sie schon nach wenigen Minuten feststellt. Die Leute reden, wie kein Mensch im wirklichen Leben redet, sind nicht besonders attraktiv gekleidet. Und die Handlung ist öde.

      Es handelt sich eigentlich um gar keine Handlung. So dauert es nicht lange, da schläft Mira ein – was wirklich selten bei dieser Gelegenheit vorkommt.

      Als sie aufwacht, ärgert sie sich. Die Sendung ist vorbei – und sie hat keine Ahnung, was ihr alles entgangen ist. Vielleicht ging die Geschichte ja doch endlich irgendwie weiter. Zum Glück gibt es aber in der Nacht eine Wiederholung.

      Schon lächelt sie wieder: Die Woche hat gut begonnen.

      Und morgen ist Dienstag!

      Der Reporter Gisbert Fuchs kommt ärgerlich aus dem Fernsehstudio.

      Vor der Tür stehen etliche Schauspieler und Mitarbeiter und rauchen.

      Er schnappt Gesprächsfetzen auf, die seine Stimmung nicht bessern.

      „Der sollte sich mal auf Alzheimer testen lassen – er merkt sich doch keine zwei zusammenhängende Sätze!“

      „Na und? Ist sowieso alles Scheiße, was da im Text steht!“

      „Wird Zeit, dass sie mal jüngere Regisseure nehmen – die uralten Knacker wissen alles besser und tun so, als machen sie hier Kunst …“ Gisbert geht schnell zu seinem Auto. Der Nachmittag „hinter den Kulissen“ war nicht nur desillusionierend, sondern auch total nervend. Da schien eine Horde von Schwachmaaten, wie es sein Techniker ausdrücken würde, am Werk zu sein. Um Kameras und Regiepult wuselten aufgestylte junge Leute, die sich wichtig machten, einer den anderen übertrumpfend. Es handelte sich um die Berufsgruppe, die hier am häufigsten anzutreffen war: Praktikanten.

      Der Regisseur, ein uralter Knacker von Anfang fünfzig, gab sich redliche Mühe.

      Aber die Schauspieler waren widerborstig. Besonders eine Dame Anfang 30, die prinzipiell alles beschissen fand, was hier ablief. Ihr Kostüm und ihr Make-up wollten so gar nicht zu ihrer Rolle passen – auch ihre rustikale Privatsprache nicht, obwohl sie eine Bäuerin spielte. Sie zog eine elegante Jacke aus und knallte sie auf den Boden.

      „Ich ziehe dieses verfickte Teil nicht an! Das habe ich schon dreimal gesagt.“

      Gisbert stand abseits mit offenem Mund.

      Die Dame zerrte nun an ihrem üppigen Dekolté herum. Der Aufnahmeleiter brüllte: „Ruhe!“

      Endlich ging die Probe weiter. Also: Eine Bäuerin sollte in einem Mordfall als Zeugin vernommen werden. Aber die Darstellerin verhedderte sich dreimal in einem kurzen Satz und schrie hysterisch: „So spricht doch kein normaler Mensch!“ Und an den Regisseur gewandt, der Gisbert nun ziemlich leid tat: „Hast du schon mal einen Oberbullen mit Fliege gesehen?!“

      Der Angesprochene bat den Aufnahmeleiter, die Kostümbildnerin zu holen. Der schickte einen Praktikanten. Inzwischen nutzte man die Zeit wieder zur Probe – was aber eher einem Talkshowgebrülle im Wahlkampf ähnelte. Die Assistentin des Regisseurs, ebenfalls mit Ende dreißig schon jenseits von gut und böse, wie er zwei junge Schauspieler tuscheln hörte, mühte sich redlich um eine Art Ordnung. Als die Kostümbildnerin erschien, brach ein großer Streit los – es ging zunächst um das Kostüm der „Bäuerin“.

      „Heutzutage schminkt sich eine Bäuerin. Sie läuft auch nicht mit Strickstrümpfen und Kittelschürze rum. Und mit so einer Spießerjacke vom Ramschdiscounter schon gar nicht!“ keifte die Darstellerin. „Aber mit Haihiiels“, bemerkte grinsend ein Beleuchter.

      Lautes Gelächter. Danach ging es voller Häme und Feindseligkeit zu. Die Probe wurde noch mehrfach unterbrochen. Der Regisseur bat alle, sich zu beruhigen – das Pensum müsse heute ohne Überstunden geschafft werden. Kurze Kaffeepause.

      Es gelang Gisbert nicht, irgendwen zu einem Interview zu bewegen – vor allem, als bekannt wurde, dass er von einem Provinzsender kam. Ein älterer Tontechniker hatte Mitleid mit ihm und erklärte, er sollte doch einen Erlebnisbericht senden. Der Mann hatte eine leichte Fahne und in seinen Augen flackerte Angst.

      „Hier