Nichts ist verjährt. Horst Bosetzky

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Название Nichts ist verjährt
Автор произведения Horst Bosetzky
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783955520717



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nicht Hausarbeit», erklärte ihm Schwellnuss. «Was gibt es denn Neues?»

      «Eher was Altes …», druckste Grauen.

      «Wie?» Nun war es an Schwellnuss, nicht folgen zu können.

      «In Schmöckwitz ist etwas Schreckliches passiert.»

      «Was!? Sind die beiden jungen Leute beim Buddeln auf eine Bombe gestoßen und …?»

      «Eine Bombe schon, aber keine, wie Sie denken. Machen wir es kurz: An der Außenwand Ihres Hauses ist eine Leiche gefunden worden, das heißt ein Skelett, und es sieht ganz nach Mord aus.»

      «Na, wunderbar!», rief Schwellnuss. «Das steigert ja den Wert der Immobilie ungemein, vor allem wenn die Tat auch noch im Haus geschehen ist.»

      «Das weiß die Kripo noch nicht, man wird sich aber bald bei Ihnen melden.»

      Schwellnuss variierte seine Ausrufe. «Wie schön!»

      Günther Grauen wurde langsam ungehalten. «Was kann ich denn dafür?»

      «Nichts, aber … Die weiteren Pläne für Schmöckwitz können wir ja dann besprechen, wenn Sie mich mal im Knast besuchen.»

      Als er wieder aufgelegt hatte, stürzte Schwellnuss ins Bad, wo Ulrike in einem irgendwie indisch anmutenden Kräutersud lag und auf eine wohltuende Wirkung für Leib und Seele hoffte. Nichts liebte sie mehr als diese exotischen Düfte und die göttliche Stille ringsum.

      «Ist das alles eine Scheiße!», schrie Schwellnuss.

      «Bitte», bat Ulrike ganz sanft, «nimm dich bitte etwas zurück, Siegfried.»

      «Na, ist doch wahr! Da kämpfe ich nun fünfzehn Jahre, um endlich an dieses Haus zu kommen, und nun stellt sich heraus, dass da drin jemand ermordet worden ist! Die Leiche liegt im Garten, die haben sie vorhin gefunden.»

      «Ich fürchte, es liegt ein Fluch auf diesem Haus. Ob es wirklich gut ist, dort einzuziehen?»

      Schwellnuss knallte die Badezimmertür hinter sich zu.

      «Ich kann jeden verstehen, der ab und zu mal einen kleinen Mord begeht!»

      Die Spezialisten hatten sich inzwischen die Leiche vom Imkerweg genauer angesehen und Mannhardt ihre ersten Erkenntnisse mitgeteilt. Er fasste die Nachricht mit eigenen Worten für Schönbier zusammen.

      «Die erste Inaugenscheinnahme lässt die Annahme zu, dass wir es mit einer Frau zu tun haben. Das Skelett ist vergleichsweise grazil, die Muskelansatzpunkte sind geringer ausgeprägt als bei einem Mann, das Becken typisch. Alles muss aber noch mit den entsprechenden Tabellenwerten verglichen werden. Ein vorläufiges Messen der Röhrenknochen lässt auf eine Körpergröße von 1,65 bis 1,70 Meter schließen. Eine genau Altersschätzung der Person ist noch nicht möglich, aber der Schmelzabschliff der Zähne, die Randzackenbildungen an den Wirbelkörpern und die Verknöcherung des knorpeligen Kehlkopfgerüstes lassen eine erste Schätzung zu: um die zwanzig Jahre herum, vielleicht auch etwas älter. Zur Todesursache können noch keine Angaben gemacht werden. In Anbetracht der Bodenbeschaffenheit, des Pflanzenwuchses, der Verwitterung der Knochen und der Zerstörung der Kleidungsstücke kann eine erste Liegezeitschätzung vorgenommen werden: dreißig Jahre plus/minus fünf. DNA-Material konnte sichergestellt werden. Ebenso Reste der Bekleidung. Der skelettierte Schädel ist so gut erhalten, dass eine Gesichtsrekonstruktion über Computersuperpositionen gute Ergebnisse bringen müsste.»

      «Das ist ja eine ganze Menge», sagte Schönbier.

      «Dreißig Jahre plus/minus fünf», murmelte Mannhardt. «Dann läge der Tatzeitraum zwischen 1962 und 1972.»

      «1972 und 1982», verbesserte ihn Schönbier. «2007 weniger dreißig ist 1977.»

      «Ja, klar. Ohne Taschenrechner bin ich leider hilflos. 1977 …» Mannhardt überlegte. «Die DDR in ihrer Blüte und schon durch den antifaschistischen Schutzwall vom Westen getrennt. Wie soll es da in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft einen Mord gegeben haben?»

      Yaiza Teetzmann, gerade hereingekommen, hatte die Antwort: «Als ob der Sozialismus die Menschen besser machte.» Sie schloss die Tür hinter sich. «Das ist nicht von mir, sondern stammt von einem Leipziger Schriftsteller: Steffen Mohr. Der hat es in einem Heft unserer Blaulicht- Reihe geschrieben, die Zensur hat es übersehen – und meine Schwester hat es in einem Aufsatz zitiert. Mann, gab das ein Theater bei uns zu Hause in Marzahn!»

      «Was würde denn über den Schmöckwitzer Leichenfund im Neuen Deutschland stehen, wenn die DDR bei der deutschen Wiedervereinigung gesiegt hätte und Egon Krenz Bundeskanzler wäre?», fragte sich Mannhardt. «Wahrscheinlich: Antifaschistische Widerstandskämpferin in den letzten Kriegstagen von der SS ermordet und an einer Hauswand verscharrt.»

      Yaiza Teetzmann schüttelte den Kopf. «Das hätten unsere Leute wegen der über dreißig Jahre Unterschied nicht mitgemacht. Eher hätte man versucht, die Sache einem Westler in die Schuhe zu schieben, rüber konnten ja die meisten von euch.»

      «Hoffentlich habe ich für die Jahre 1972 bis 1982 ein lückenloses Alibi», sagte Mannhardt.

      «Warten wir ab, bis wir Genaueres wissen», sagte Schönbier. Wenn ihn etwas anödete, dann waren es Dialoge wie der zwischen den beiden Kollegen. Alles zu unpräzise. Was zählte, waren allein die Fakten. Fakten, Fakten, Fakten. Das hatte er aus der Werbung, nicht aus dem Focus.

      «Wann können wir denn selber mal unter die Lupe nehmen, was bei der Toten alles so gefunden wurde?», fragte Mannhardt.

      Yaiza Teetzmann zuckte mit den Schultern. «Morgen oder übermorgen. Aber fahrt doch zu diesem Schwellnuss, und fragt den.»

      «Wer ist Schwellnuss?», fragte Mannhardt.

      «Der Eigentümer des Grundstückes. Wenn der nicht den Auftrag gegeben hätte, das Haus zu sanieren, dann wäre die Sache nie ans Licht gekommen.»

      «Wenn er den Auftrag dazu gegeben hat, kann er selber schwerlich der Täter sein», merkte Schönbier an.

      Yaiza Teetzmann grinste. «Er kommt jedenfalls aus West-Berlin.»

      Mannhardt und Schönbier fuhren mit der U9 nach Friedenau, da sie wussten, wie nervig es war, dort nach einem Parkplatz zu suchen. Vom Zoologischen Garten bis zum Friedrich-Wilhelm-Platz brauchten sie gerade einmal acht Minuten. Sie standen so dicht nebeneinander, dass es schwer war, nur zu schweigen. Mannhardt erinnerte sich an eine alte Weisheit seiner Mutter: «Durch Reden kommt eine Unterhaltung zustande.» Also redete er.

      «Trifft ein Psychologe den anderen und sagt: ‹Dir geht es gut – und wie geht es mir?›»

      Als sie ausgestiegen waren, brauchten sie eine Weile, um sich zu orientieren. Die Gegend um den Friedrich-Wilhelm-Platz war ein wenig unübersichtlich, und prompt erwischten sie den Ausgang auf der falschen Seite. Dort war keine Schwalbacher Straße.

      «Fragen wir mal jemanden», sagte Schönbier. Mannhardt wehrte ab. «Das geht gegen meine Ehre als Kriminalbeamter. Steigen wir noch mal in die U-Bahn runter und sehen auf dem Stadtplan nach.»

      «Nicht mit mir!», erklärte Schönbier.

      Da keiner nachgeben wollte, blieb ihnen nur das Prinzip trial and error, und so zogen sie eine halbe Stunde lang immer weitere Kreise um den Friedrich-Wilhelm-Platz, bis sie die Schwalbacher Straße gefunden hatten.

      Danach konnte Mannhardt nicht mehr ernsthaft bestreiten, dass Psychologen und Psychiater in dieser seiner Gesellschaft unerlässlich waren.

      Als Professor Dr. Siegfried Schwellnuss ihnen die Haustür öffnete, drohte Mannhardts Impulskontrolle zu versagen, und er hätte um ein Haar laut losgelacht, denn der Mann sah so sehr nach einer Parodie seines Berufsstandes aus, dass man glauben konnte, in eine Comedy-Serie geraten zu sein. Ein bisschen Ähnlichkeit hatte er mit Albert Einstein, ein bisschen mit Sigmund Freud und ein bisschen mit dem letzten Neandertaler.

      «Ah, die Herren von der sehr verehrten Kriminalpolizei!», rief er. «Treten Sie bitte ein, aber möglichst nicht meine Tür, wie es Ihre Kollegen vom Sondereinsatzkommando