Wo aber der Wein fehlt, stirbt der Reiz des Lebens. Группа авторов

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Название Wo aber der Wein fehlt, stirbt der Reiz des Lebens
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Жанр Историческая литература
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Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783945751589



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Judäern neue Strategien des religiösen und ethnischen Überlebens erforderte. Insofern kann der babylonische König als Prototyp des hybris-geleiteten Fremdherrschers dienen, an dessen Hof nun einerseits die möglichen Fallen für observante Juden, wie unreine Speisen oder Bilderverehrung, andererseits die Überlegenheit Gottes typisierend aufgearbeitet werden können.

      Die vielfache Erwähnung seines Namens und die farbigen Hofgeschichten um seine Person haben dafür gesorgt, dass Nebukadnezar bzw. dessen biblisches Bild ein Fortleben führte, das auf sehr unterschiedliche Weise bis in die Gegenwart reicht.

      Nabouchodonosor: Die Moderne

      Ikonographisch erscheint Nebukadnezar in der bildenden Kunst, besonders der christlichen Malerei und dem Barock, als vom Wahnsinn geschlagenes Wesen, das verwahrlost, nackt und bärtig auf allen vieren durch die Wüste kriecht. Die bekannteste Ausformung dieses Motivs findet sich in einer Darstellung des 1757 geborenen englischen Poeten und Künstlers William Blake, die den Wahnsinn des Königs, wie er im Buch Daniel beschrieben wird, zeigt (Abb. 4).

      Abb. 4: William Blake, Nebuchadnezzar.

      Als Vorlage bediente sich Blake wahrscheinlich Albrecht Dürers um 1496 entstandenen Kupferstichs »Die Buße des heiligen Chrysostomos«. Dies ist vom Thema her insofern auch zutreffend, als dass sich der biblische Nebukadnezar nach seinem Wahnsinn, der ihn auch in die Einsiedelei treibt, nun bußfertig und geläutert zeigt.

      Eine sicherlich noch populärere Rezeption Nebukadnezars findet sich in Giuseppe Verdis 1842 uraufgeführter Oper Nabucco. Auch hier kommt der König am Ende durch die Barmherzigkeit Gottes wieder zur Vernunft und entlässt die Judäer aus der babylonischen Gefangenschaft. Versucht man etwas über die Hintergründe der Entstehung von Nabucco herauszufinden, so stellt man fest: Giuseppe Verdi schwieg sich nicht nur aus. Wie Klaus Ley es formulierte, könnte es scheinen, der Komponist litt in dieser Hinsicht an kompletter Amnesie. Nur im sog. racconto autobiografico von 1789 nimmt er dazu mit der Attitüde eines Inspirierten Stellung: Sein Genie sei erwacht, so berichtet er, bei der Lektüre des Verses »Va pensiero sull‘ali dorate«, der ihm in Temistocle Soleras Libretto ins Auge gesprungen sei (Klaus Ley, Latentes Agitieren: »Nabucco« 1816 – 1842, Heidelberg 2010, S. 1). Davon ist freilich kein Wort zu glauben. Ebenfalls als ins Mythische ragend ist die Auslegung zu werten, nach der das Werk einer politischen Intention folge. Dieser Interpretation zufolge wurde und wird z. T. noch heute der Gefangenenchor zur Ikone des Risorgimento stilisiert: Die unterdrückten Hebräer stehen für das italienische Volk des 19. Jhs., welches die Einigung seines Reiches anstrebte. Hierbei handelt es sich jedoch nachweislich um eine Überhöhung der Verdi-Biographen, die den damals noch jungen Komponisten visionär die italiensche Einheit beschwören ließen.

      Bis in die Mitte des 19. Jhs. hinein konnte sich die frühmoderne Rezeption des babylonischen Herrschers Nebukadnezar nur zeitlich weit entfernter Dokumente ohne Kenntnis von Primärquellen bedienen. Denn bis in diese Zeit hinein war noch nichts über das alte Mesopotamien bekannt. Erst als im Jahre 1848 der Brite Austen Henry Layard die ersten Exponate aus Mesopotamien in das British Museum brachte, bekam man in Europa eine Vorstellung von Assyrien und Babylonien. Von nun an standen nicht allein die legendären Geschichten anderer Kulturen als Material für die Rekonstruktion von Bildern babylonischer Könige zur Verfügung, sondern auch die keilschriftlichen Primärquellen und materiellen Hinterlassenschaften. Die mit diesen sensationellen Entdeckungen einhergehende Orientbegeisterung und -rezeption in Kunst und Literatur wirkte sich allerdings, und das ist erstaunlich genug, in keiner Weise auf die Gestalt Nebukadnezars aus, sodass sich die Referenzen bis heute weiterhin auf die griechischrömischen, jüdischen, christlichen und islamischen Traditionen beschränken.

      Die Flasche

      Wie eingangs bemerkt, lebt die Figur des Nebukadnezar nun auch in Form einer überdimensionalen Wein- bzw. Champagnerflasche bis in die Gegenwart hinein fort. Es handelt sich hierbei um ein ebenso interessantes wie rätselhaftes Wiedersehen mit dem babylonischen Herrscher.

      Es ist in der Branche üblich, Flaschen ab der Größe »Doppelmagnum« mit in der Bibel überlieferten Königen zu benennen (Abb. 5): Jerobeam (3 l.); Rehabeam (4,5 l.); Methusalem (6 l.), Salmanassar (9 l.); Balthasar (12 l.); Nebukadnezar (15 l.).

      Abb. 5: Flaschengrößen: eine Auswahl an Weinflaschen von 0,75 bis 15 l. Fassungsvermögen.

      Eine sichere Auskunft über den Ursprung dieser Benennungen ist jedoch kaum zu erlangen. So findet man in der französischen Fachliteratur etwa Folgendes: Die Tradition, für übergroße Flaschen biblische Namen zu wählen, sei gegenwärtig nicht erklärbar. Für die Herkunft wird jedoch häufig auf den französischen Dichter Eustache Deschamps hingewiesen, der bereits um 1370 in einer Ballade die Namen Jerobeam, Rehabeam und Balthasar gemeinsam erwähnt. So heißt es über Balthasar:

       Roy Balthazar qui fist les grans atrays

       D’or et d’argent que sur subgiez pourchace,

       Fut prins dedenz en Babiloine, mais

       Daire et Cyrus, quant ils prindrent la place,

       Destruierent tous.

       (Eustache Deschamps, Œuvres complètes de Eustache Deschamps, publiées d’après le manuscrit de la Bibliothèque nationale, vol. 6, hg. v. Q. de Saint Hilaire/​G. Raynaud, Paris

       (Firmin-Didot) 1889, 263 f.)

      Die Übersetzung lautet etwa: »König Belsazar (Balthasar), der große Mengen an Gold und Silber angehäuft hatte, (die er von seinen Untertanen eingetrieben hatte,) war Herrscher in Babylon; aber Darius und Kyros, als sie die Stadt einnahmen, zerstörten alles« (für die Hilfe bei der Übersetzung bedanken wir uns herzlich beim Herrn Kollegen A. Gipper).

      Dieser Verweis auf Eustache Deschamps ist jedoch nur teilweise sinnvoll; denn der entsprechende Zusammenhang, in dem die Könige erwähnt werden, handelt gar nicht vom Wein und dessen Genuss, sondern es liegt eine »Balade morale« vor, in der anhand von Beispielen fehlgeschlagener Regentschaften ein negativer Fürstenspiegel entworfen wird. Die fehlgehenden Könige stehen dabei in keinem Zusammenhang mit Weingenuss, wenngleich das untugendhafte Verhalten wie im Fall des »Balthazar« als Maßlosigkeit beschrieben wird. Insofern ist es dennoch bezeichnend, dass gerade die in der biblisch-christlichen Tradition als maßlos oder untugendhaft geltenden Herrscher wie Jerobeam, Balthasar oder auch Nebukadnezar Paten für die großen Flaschen wurden. Möglicherweise liegt in der Maßlosigkeit auch der entscheidende Vergleichspunkt, was den Verweis auf Eustache Deschamps doch rechtfertigt: Auch hier ist die Verbindung von Macht, Korruption und Niedergang am Beispiel dreier Könige aufgezeigt. Gleichwohl kann eine direkte Entlehnung ausgeschlossen werden. Denn in den Tagen des Eustache Deschamps wurde Wein noch gar nicht in Flaschen gefüllt (erst seit dem späten 16. Jh.), sondern in Schläuchen und Fässern aufbewahrt – von Flaschen mit einem übergroßen Fassungsvermögen ganz zu schweigen.

      François Bonal, ein Kenner der Materie, vermutet die Herkunft übergroßer Flaschen im Bordelais:

      »Les Bordelais utilisent le vocable jéroboam depuis 1725. Adopté en Champagne, il est probable que la désignation des autres bouteilles y a simplement été faite par analogie avec la première de la série. Jéroboam était le fondateur et premier souverain (…) du royaume d’Israël. Quant à l’explication de l’adoption du mot jéroboam par les Bordelais, peut-être faut-il la chercher dans la Bible, qui précise que Jéroboam était un homme de grand valeur; un jéroboam de Château Latour est incontestablement une bouteille de grand valeur!«. (Bonal, 1984, S. 197).

      Für die Benennung der großen Flasche mit »Jerobeam« sei also die Bibel verantwortlich,