Wo aber der Wein fehlt, stirbt der Reiz des Lebens. Группа авторов

Читать онлайн.
Название Wo aber der Wein fehlt, stirbt der Reiz des Lebens
Автор произведения Группа авторов
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783945751589



Скачать книгу

deren zentrale gesellschaftlich-religiöse Bedeutung entlang der Migrations- und Handelswege über gewaltige geographische Entfernungen hinweg. Interessant sind auch einzelne Trinkgefäßtypen, die überall entlang der Seidenstraße aus verschiedenen Epochen seit dem Neolithikum entdeckt wurden: etwa gestielte Pokale (wine goblets) aus Keramik, später auch aus Bronze oder Silber in teils identischer Gestalt. Frühe kunstvolle Exemplare wurden bereits aus dem 4. – 3. Jt. v. Chr. sowohl im Iran als auch in der ostchinesischen Longshan-Kultur entdeckt (Abb. 6). Ein weiteres Beispiel sind die sog. »Zwillingskrüge«. (joint jars), die ebenfalls seit prähistorischen Zeiten überall zwischen Osteuropa, Kleinasien und China angefertigt wurden und bei nationalen Minderheiten teils heute noch benutzt werden. Die beiden miteinander verbundenen Trinkgefäße wurden von zwei gegenüberstehenden Partnern bei zeremoniellen Anlässen wie Friedensschlüssen, Besiegelung von Verträgen oder Eheschließungen eingesetzt (Abb. 7). Nicht zuletzt sind im gesamten Einzugsbereich der Seidenstraße an vielen Stellen antike Weinkeltern mit einem meist rechteckigen steinernen Presstrog und einem runden Mostauffangbecken am Ablassende aufgetaucht – die mit 6.100 Jahren älteste im armenischen Weinort Areni.

      Abb. 4: Chinesisches Jade-Rhyton nach persisch-achämenidischem Vorbild, ca. 200 v. Chr., Grab des Königs von Nanyue, Guangzhou (Nanyuewang-Museum).

      Abb. 5: Bronze-Trinkgefäß jue aus der Shang-Dynastie, 16. – 11. Jh. v. Chr. (Shanghai-Museum).

      Abb. 6: Langstielige Pokale aus schwarzer Eierschalenkeramik, Longshan-Kultur, 2.500 – 2.000 v. Chr., Shandong (Nationalmuseum Peking).

      Zwei wichtige materielle Indizien für die Annahme einer universellen Entwicklung der Wein- und Alkoholkultur sind die Zusätze Honig und Baumharz, die zur Förderung des Gärprozesses bzw. für die Haltbarmachung des Getränks von frühester Zeit an in nahezu allen antiken Weinregionen quer durch Eurasien in ähnlicher Weise verwendet wurden, oft noch ergänzt durch Kräuterzugaben (Myrrhe, Wermut, Pfeffer, Safran, Kapern, diverse Heilpflanzen). Auch in China wurden Reste solcher Zusatzstoffe in prähistorischen Keramikgefäßen und sogar in bis zu 3.000 Jahre alten alkoholischen Flüssigkeiten aus hermetisch verschlossenen Bronzebehältern aus Gräbern analysiert. Symptomatisch ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Bezeichnung für »Honig«, besonders in der abgeleiteten Bedeutung von fermentiertem Getränk (»Honigwein«), über ganz Eurasien verbreitet hat: Sanskrit madhu, Griechisch μἐθν, Deutsch Met, Englisch mead, Dänisch/​Norwegisch mjød, Französisch miel, Litauisch medus, Russisch мёд, Tocharisch B mit, Altiranisch madu, Neupersisch mei, Ungarisch méz, Chinesisch mi usw.

      Abb. 7: Zwillingsbecher (joint jars), Yangshao-Kultur, 4.800 – 3.600 v. Chr., Banpo, Shaanxi (Banpo-Museum).

      Wie kam es zu der prähistorischen Weinstraße?

      Aus der eurasischen Vogelperspektive fällt auf, dass sich – größtenteils entlang der Seidenstraßen-Verzweigungen – ein breiter Gürtel von Weinanbaugebieten zwischen Westen und Osten über die Jahrhunderte und Jahrtausende bis in die Gegenwart erhalten hat: in den Flusstälern Europas, im gesamten Mittelmeerraum, am Schwarzen Meer, im Kaukasusgebiet, im Nordwesten Irans, in den Oasen Turkmenistans und Usbekistans, in den Flusstälern Tadschikistans und des Hindukusch, im Ferghanatal, in Nordost-Kasachstan, in Westchina, Zentralchina und Nordostchina. In all diesen Regionen lässt sich die Weinkultur anhand von archäologischen Funden, historischen Aufzeichnungen und volkstümlichen Überlieferungen, Mythen und teils immer noch lebendigen rituellen Praktiken auf eine kontinuierliche Tradition von mindestens 2.000 Jahren und meist weit bis in vorgeschichtliche Zeiten zurückführen.

      Die Gesamtpalette der Entdeckungen und Erkenntnisse zur vorgeschichtlichen und antiken Weinkultur entlang des west-östlichen Netzwerks und die teils frappierenden Parallelen in ihrer Entwicklung über enorme geographische Distanzen hinweg lassen sich in der Hypothese einer prähistorischen Weinstraße zusammenfassen, die sich wesentlich früher konstituierte als die erst vor rund zweieinhalb Jahrtausenden in der Geschichte in Erscheinung tretenden Handelswege der Seidenstraße. Letztlich wird durch alle prähistorischen wie historischen Epochen hindurch deutlich, dass sich die Expansion von Weinkultur stets über den Handel vollzog. Typisch hierfür sind die Phönizier, die Weinanbau und -herstellung einschließlich des technischen Knowhows, der Keramikgefäße sowie typischer Zutaten wie Harz und Kräuter bereits vor über drei Jahrtausenden im gesamten Mittelmeerraum und bis zu den Atlantikküsten verbreiteten – übrigens wohl nicht zufällig in Verbindung mit der Erfindung eines der ersten und einflussreichsten Schriftsysteme der Menschheit. Analog trifft dies auf den kontinentalen Fernhandel im eurasischen Raum zu, wobei davon auszugehen ist, dass dabei gerade auch Wein und Alkoholika einen Wirtschaftsfaktor darstellten – und dies noch vor dem Aufleben des eigentlichen Seidenstraßenhandels.

      Im Kontext der Eurasischen Hypothese spielt die Paläolithische Hypothese eine zentrale Rolle, die plausibel begründet, dass die ersten Begegnungen unserer Vorfahren mit der in den gemäßigten Zonen seit Jahrmillionen weit verbreiteten eurasischen Wildrebe unvermeidlich zu deren Nutzung für die Herstellung vergorener Getränke führte. Dies galt eben nicht nur für Europa, den Mittelmeerraum und den Vorderen Orient, sondern gerade auch für den chinesischen Raum mit seinem Reichtum wilder Rebsorten. Das bedeutet, dass an den klimatisch günstigen Breitengraden lange vor der Entwicklung jeglicher Land- und Getreidewirtschaft, möglicherweise bis weit zurück in das Paläolithikum, Prototypen des Traubenweins gewonnen wurden. Dies ergibt sich aus den besonderen natürlichen Eigenschaften der Weintraube, wonach die an den Beerenschalen vorhandenen Hefen in Verbindung mit dem hohen Zuckergehalt bei Lagerung und entsprechender Temperatur zwangsläufig und so leicht wie bei kaum einer anderen Frucht einen Gärprozess in Gang setzen. Somit kann die Paläolithische Hypothese für die Mehrzahl der geographischen Räume angenommen werden, wo auf dem eurasischen Kontinent die ersten Zivilisationen und die frühesten Hochkulturen entstanden sind.

      Die Annahme, dass Primaten einschließlich der frühen Steinzeitmenschen seit Jahrmillionen ethanolhaltige Früchte aufspürten, sich daran – höchstwahrscheinlich in geselliger Höhlengemeinschaft beim Lagerfeuer – delektierten und sich damit evolutionäre Selektionsvorteile sicherten, stützt sich auf die zuerst von dem amerikanischen Biologen Robert Dudley (2004) formulierte »drunken monkey«-Hypothese (vgl. auch McGovern 2009). Sie kann wiederum auf aufschlussreiche Vorgänge in der Tierwelt und entsprechende Legenden rekurrieren, die besonders in China in Form der Geschichten vom sog. »Affenwein« seit Jahrhunderten mündlich und schriftlich überliefert sind. Diese und zahlreiche wissenschaftlich untersuchte Phänomene bezeugen, dass die sensorische Attraktivität gärender Früchte und speziell Weintrauben bei Primaten und bestimmten Tierarten zerebrale Stimuli auslöst und überlebensstrategische wie selektionsevolutionäre Vorteile mit sich brachte. In Anbetracht der weiten Verbreitung der Vitis-Gattung dürfte sich neueren genetischen Erkenntnissen zufolge bereits der gemeinsame Vorfahre von Mensch und Affe die leicht gärenden wilden Weintrauben zunutze gemacht haben.

      Allen Anzeichen nach löste die Entdeckung der Fermentation und die über die Jahrtausende immer mehr verfeinerte Nutzung des Alkohols durch den Urmenschen in der späteren Evolutions- und Zivilisationsgeschichte einen Quantensprung aus – analog zur Entdeckung und Verwertung des Feuermachens für die Speisezubereitung. Die alkoholische Gärung, in der Natur allseits vorhanden, lieferte erhebliche Vorteile im Sinne von rascher Energieversorgung besonders in der kalten Jahreszeit, Hygiene und Konservierung von Getränken, Ernährungsvielfalt sowie desinfizierenden,