Название | Ungehorsam versus Institutionalismus. Schriften 5 |
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Автор произведения | Ulrich Sonnemann |
Жанр | Афоризмы и цитаты |
Серия | |
Издательство | Афоризмы и цитаты |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783866744820 |
Ulrich Sonnemann: Ja, eine Einleitung9.
Dieter Hasselblatt: Das ist sicherlich nicht zufällig, daß man auf Sie gestoßen ist dabei, weil Sie doch in einer gewissen Hinsicht etwas repräsentieren, was bei uns selten ist. Ich meine das Denken, die Leidenschaft eines Denkens, das sich nicht in metaphysischen Höhen ergeht, sondern sich am akuten Hier und Jetzt festbeißt, weil es hier seine Aufgabe sieht und hier die schmerzlichsten Verwundungen erfährt. Ich weiß nicht, ob ich das richtig sehe?
Ulrich Sonnemann: Nein, das sehen Sie völlig richtig. Es scheint mir, das hängt davon ab, wie man das tut, viel mehr als von einer thematischen Konzentration auf die Metaphysik als Gegenstandsbereich, sozusagen als Fach.
Dieter Hasselblatt: Sie sind im einzelnen sehr angegriffen worden, weil Sie Thesen verfochten haben, die vielen Leuten nicht behagt haben. Aber was man Ihnen, glaube ich, uneingeschränkt zugestehen muß, ist diese Leidenschaft des Denkens, die sich nicht scheut, sich an politischen Sachverhalten festzubeißen und sie zu durchdenken, um auf die Hintergründe und Motive zu stoßen. Sie nennen Ihr Buch im Untertitel ›Deutsche Reflexionen‹, und mir scheint, als ob sowohl das Wort »deutsch« wie das Wort »Reflexionen« bezeichnend für Sie ist. Stimmt das?
Ulrich Sonnemann: Das könnte sein, ja. Es ist leicht möglich, daß viele dieser Reflexionen in anderen Sprachmedien zwar nicht unmöglich sind; ich hoffe nicht, daß sie am deutlichsten nur im Deutschen werden können, und daß es also nicht zufällig ist, daß ich aus dem Englischen gerade für diese Dinge zuerst ins deutsche Sprachmedium zurückgekehrt bin.
Dieter Hasselblatt: Ich meine jetzt gar nicht so sehr die Sprache, sondern die deutschen Verhältnisse, die deutschen Belange. Mir ist eine Stelle Ihres Buches in Erinnerung, wo Sie von der deutschen Lage sprachen, und zwar im Zusammenhang mit einer Notiz, in der Sie sagen, das Zentrum des Weltkommunismus verlagere sich von Moskau nach Peking. Daran knüpfen Sie unmittelbar eine Reflexion über die Rückwirkungen dieser Verschiebung auf die deutschen Zustände.10 Ich glaube, das ist typisch, daß Sie alle Dinge, die Sie berühren, sofort auf die deutsche Situation zurückbeziehen. Ist das System, ist das Methode?
Ulrich Sonnemann: Wenn es System ist, wenn es Methode ist, dann eine solche, die sich sozusagen von selbst vollzieht, nicht die ich veranstalte. Das Denken hat aber mit seinen Gegenständen zu tun, nicht mit seiner Methode.
Dieter Hasselblatt: Sie setzen eine höchst intelligente Sonde an am deutschen Körper, und die Sonde scheint mir sowohl philosophisch geschärft zu sein wie literarisch und aktuell geführt. Es gibt sehr viele Anspielungen und sehr viele Rückbeziehungen auf die literarische, auf die politische, auf die aktuelle kulturgeschichtliche Situation. Wenn Sie dann zum Beispiel Worte prägen, die unsere bundesdeutsche Politik als »Staatswurstelei« bezeichnen11, dann scheint mir das sehr bezeichnend für die Art und Weise, wie Sie philosophieren. Oder sehe ich das falsch?
Ulrich Sonnemann: Nein, ich glaube, das sehen Sie ganz richtig.
Dieter Hasselblatt: Sie sagen zum Beispiel, daß die Politikergeneration, die jetzt im Augenblick die Politik der Bundesrepublik macht, ersetzt werden müßte durch eine neue Besetzung.12 Können Sie ungefähr sagen, wie diese neue Mannschaft der Politik aussehen sollte?
Ulrich Sonnemann: Meinen Sie zunächst die Frage des Generationenwechsels, die da anklingt?
Dieter Hasselblatt: Die klingt natürlich an.
Ulrich Sonnemann: Das ist natürlich, wie immer, nur cum grano salis zu verstehen. Es ist so, daß in der ganzen gegenwärtigen Politikergarnitur von rechts bis links die Bereitschaft, den Herausforderungen der Zustände zu begegnen, nämlich zu begegnen mit einem konsequent diese Zustände ändernden Verhalten, nicht zu finden ist. Warum, wäre zu untersuchen. Es ist im ganzen eine gebrochene Generation, und soziologisch wäre Generationenwechsel das, als welches das, was mir vorschwebt, unter anderem zu bezeichnen wäre. Das bedeutet nicht, daß im einzelnen Fall nicht der eine oder andere Politiker der älteren Generation vielleicht noch vor Toresschluß einen ganz anderen Politiker in sich entdecken könnte. Das wäre ja sehr erfreulich; und unter Umständen für die Politik praktisch, da er natürlich zunächst mehr Erfahrung mitbringt, mehr Sacherfahrung als die Jungen.
Dieter Hasselblatt: Sie sagen »vor Toresschluß« – was für ein Tor schließt sich? Und wozu und wovor schließt es sich?
Ulrich Sonnemann: Ich glaube, daß sich demnächst das Tor schließt – wie bald, das zu entscheiden wäre natürlich unsinnig; aber zweifellos rückt der Zeitpunkt näher, in dem einerseits nicht mehr zu rechnen ist mit einem uferlosen Fortgang der Prosperität, andererseits in der Außenpolitik es immer deutlicher wird, werden dürfte, daß eine Politik mit bloßen Formeln, immer versteinerteren Formeln für die deutschen Lebensinteressen, die ja im Osten liegen, unförderlich ist.
Dieter Hasselblatt: Sie denken an Formeln wie »Wiedervereinigung«, oder …
Ulrich Sonnemann: Ja, ich denke an die allzu ungeprüfte Identifizierung etwa der DDR mit ihrer gegenwärtigen Regierung. Solange diese Regierung in der DDR sich erhält, haben diese Formeln immer einen Anschein der Plausibilität, weil es eben noch keine Erfahrung gibt, die die Diskrepanz zwischen dem, was ihr Anspruch ist, und dem, was diesem Anspruch entspricht, evident machen würde. Im Augenblick, in dem eine Regierungsänderung in der DDR eintritt, in dem die DDR also einer Gesamtströmung der Dinge endlich folgt, die sich im Ostblock in den vergangenen Jahren ja hinreichend abgezeichnet hat – vielleicht sollte ich nicht sagen hinreichend, aber jedenfalls hinreichend genug für ihre Erkenntnis –; im Augenblick, in dem das geschieht, treten doch ganz neue Probleme auf, denn es könnte ja sein, daß die Prämisse, von der man hier immer ausgegangen ist, daß die Bevölkerung der DDR nichts sehnlicher wünscht – vor allem nicht die junge Generation dort – als sich an die Bundesrepublik anzuschließen, daß das einfach eine trügerische Mutmaßung ist und nicht viel mehr.
Dieter Hasselblatt: Sie sagen »DDR«. In unserem westdeutschen Sprachgebrauch sagt man ja »sogenannte DDR«.
Ulrich Sonnemann: Ja, aber ich nehme doch mit Genugtuung wahr, daß mehr und mehr Leute sich über diese etwas totemhafte Regel hinwegsetzen.
Dieter Hasselblatt: Sie versuchen also, auch darin mit den real anzutreffenden Fakten zu rechnen, um an diesen Fakten Ihr Denken anzusetzen?
Ulrich Sonnemann: Ja natürlich.
Dieter Hasselblatt: Um ein wenig zurückzuschwenken: Bei der Ersetzung der jetzigen »Politikergarnitur« in Deutschland sprechen Sie von einer »offenen Verschwörung«13. Dieser Ausdruck »offene Verschwörung« könnte meiner Ansicht nach mißverständlich sein. Was man vielleicht fragen sollte: Wenn heutzutage jemand bei uns hört »Verschwörung«, dann denkt man an Konspiration, an Putsch, an den Sturz einer unerwünschten Regierung; aber ich glaube nicht, daß Sie das meinen?
Ulrich Sonnemann: Nein, natürlich nicht, das sagt ja schon das »offene« in »offene Verschwörung«, daß das nicht gemeint sein kann. Es ist andererseits etwas – und darum »Verschwörung« –, was durch alle institutionellen und parteilichen Grenzen sich sozusagen hindurcharbeiten müßte als Verständigung von einzelnen zu einzelnen, von Gruppen dieser einzelnen zu Gruppen dieser einzelnen.
Dieter Hasselblatt: Darf ich vielleicht noch etwas bleiben bei dieser Sache mit der »offenen Verschwörung«. Ich glaube, auch Ihr neues Buch, an dem Sie jetzt gerade schreiben, trägt einen Titel, der ähnlich …
Ulrich Sonnemann: …›Die Einübung des Ungehorsams in Deutschland‹14…
Dieter Hasselblatt: …›Die Einübung des Ungehorsams in Deutschland‹– dieser Ungehorsam ist, glaube ich, aber doch ein Gehorsam … gegenüber …?
Ulrich Sonnemann: Es ist ein Gehorsam gegenüber dem Geist. Da aber der Geist das konstitutive Moment am menschlichen Wesen ist, liegt hier nur, sprachlich-grammatisch sozusagen, eine anscheinende Unterscheidung zwischen einem Gehorchenden