Wagners Antisemitismus. Dieter David Scholz

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Название Wagners Antisemitismus
Автор произведения Dieter David Scholz
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534736157



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VI. Von Wagner zu Hitler: Die Wirkungsgeschichte von Wagners Antisemitismus

       Wagnerismus im „Bayreuther Kreis“ und nationalsozialistische Wagner-Vereinnahmung

       Anmerkungen

       Abkürzungen

       Literaturverzeichnis

       Register

      Vorwort zur Neuausgabe 2013

      Noch immer ist Richard Wagner ein Stein des Anstoßes. Bis heute scheiden sich an ihm die Geister. Vorurteile, Unkenntnis und Missverständnisse bestimmen nahezu jede Wagner-Debatte. Das hat vor allem zu tun mit dem zwar nur 12-jährigen, aber folgenreichen düsteren Kapitel deutscher Geschichte, das 1933 begann und 1945 endete. Daher kommt, wer sich heute – nach dem Holocaust – mit Wagner beschäftigt, nicht umhin, den nationalsozialistischen Wagner-Missbrauch mit zu bedenken, der wesentlich zu tun hat mit Wagners unleugbarem Antisemitismus, der allerdings nach wie vor kaum je sachlich betrachtet wurde. Wobei eine sachlich differenzierte Analyse und historische Einordnung dieses unappetitlichen Phänomens eben nicht bedeutet, es zu verharmlosen oder gar abzustreiten. Bis heute werden ja aus der Post-Hitler’schen Perspektive immer wieder die gleichen Vorurteile und Missverständnisse in Sachen Wagner, seines Antisemitismus und seines Missbrauchs durch die Nationalsozialisten repetiert. Dieter Borchmeyer hat völlig recht, wenn er beklagt, dass es „kaum eine Kontinuität und einen Fortschritt“1 in der Wagner-Forschung gibt. Und man kann ihm nur beipflichten: „Selbst ernsthafte Wissenschaftler verlieren bei Wagner mehr als einmal ihren Verstand und beginnen zu schwadronieren.“2

      Schon zur Hundertjahrfeier der Bayreuther Festspiele – 1976 – hat der damalige deutsche Bundespräsident, Walter Scheel, in seiner bemerkenswerten Rede auf ein weitverbreitetes Missverständnis hingewiesen: „Ich glaube nicht an die direkte Linie Wagner–Hitler. Man hat noch mehr solche ‚historischen‘ Linien gezogen. Sie beruhen alle auf Geschichtsbildern, die allzu simpel sind.“3 Und er fügte hinzu: „Sicher, Wagner war ein Antisemit. Aber es ist einfach falsch, zu behaupten, Hitler habe seinen Antisemitismus von Wagner übernommen. Beide, Hitler und Wagner, sind Teil einer unheilvollen antisemitischen Unterströmung des europäischen Geistes. Aber Hitler wäre sicher auch ohne Wagner Antisemit geworden.“4

      Friedrich Nietzsche hat als Erster bemerkt, dass Wagner „unter Deutschen bloß ein Missverständnis ist.“5 Dieses Missverständnis begann schon im Bayreuth Cosima Wagners. Sie hat Wagner nach seinem Tod idealisiert, beweihräuchert, ideologisch verfälscht und ihn damit dem nationalsozialistischen Wagnermissbrauch ausgeliefert, aus dem ihre Schwiegertochter Winifred Kapital schlug. Dieser nationalsozialistische Wagnerismus hat bis heute jede sachliche Wagner-Rezeption in Deutschland verhindert. Übrigens schon 1886, drei Jahre nach Wagners Tod, stellte ein Besucher der Bayreuther Festspiele, Maurice Barrès, fest: „Gerade in Bayreuth ist man, sagen wir es deutlich, am weitesten von Wagner entfernt.“6

      Richard Wagner hat ähnlich wie Heinrich Heine, wie Giacomo Meyerbeer oder Jacques Offenbach (als Exilant, aber auch nach seiner Amnestierung) einen Großteil seines Lebens im europäischen „Ausland“ verbracht. Fern der „Heimat“ – ein Begriff, der Wagner mit fortschreitendem Alter immer suspekter wurde – hat er die meisten seiner utopischen, pseudo- oder quasimythischen, rebellischen, politischen, gesellschaftskritischen Werke (auch der frühen, der vollendeten wie der nach wie vor unterschätzten unvollendeten7) konzipiert und ausgearbeitet. Schon als junger Mann hatte Wagner davon geträumt, als Künstler „europäisch-universell“ zu sein. Wie ein roter Faden zieht sich durch Wagners Vita denn auch der Traum von europaweiter Mobilität.8 Der 22-jährige Student Wagner bekannte seinem Leipziger Studienfreund Theodor Apel: „Hinweg aus Deutschland gehöre ich!“9 Nicht zufällig wird Wagner außerhalb Deutschlands, im europäischen „Ausland“, um diesen (in Zeiten der Globalisierung, des Internet und nahezu grenzenloser Mobilität, in denen wir doch alle gleichermaßen Ausländer wie Einheimische sind) völlig unzeitgemäßen Begriff zu verwenden, wesentlich unverkrampfter und sachlicher als hierzulande betrachtet und bewertet. Der Wagner-Biograph Martin Gregor-Dellin hat bereits beim Internationalen Wagner-Kolloquium 1983 in Leipzig betont: „Das gestörte Verhältnis der Deutschen zu Richard Wagner ist das gestörte Verhältnis zu ihrer Geschichte.“10 Daran hat sich bis heute nichts geändert.

      Da nahezu alle Publikationen zum Thema des Wagner’schen Antisemitismus inzwischen vergriffen sind, möchte ich mit der um einige Aktualisierungen erweiterten und auf den neuesten Stand der Literatur gebrachten Wiederveröffentlichung meiner weit ausholenden und sich um Sachlichkeit bemühenden Untersuchung diese Lücke wieder schließen.

      Dieter David Scholz, Berlin im Januar 2013

      Vorwort zur ersten Ausgabe

      Dass die Dialektik der Aufklärung Mythen stiften und Vorurteile in die Welt setzen kann, hat sich gerade im Falle Wagners erwiesen. Es versteht sich von selbst, dass nach dem Holocaust unmöglich über Wagners Antisemitismus reflektiert werden kann, ohne nicht auch immer Hitlers Wagnerismus und Antisemitismus mitzubedenken. Dennoch ist es ein Irrtum, zu glauben, es führe ein direkter Weg von Wagner zu Hitler oder gar, Wagners Antisemitismus habe den Hitler’schen vorweggenommen bzw. vorbereitet, wie die Nationalsozialisten behaupteten.

      Die Geschichte der Wagner-Rezeption, die Geschichte der Wagner-Literatur ist voll von entstellenden Vereinfachungen, von ideologischen Hilfskonstruktionen, von biographischen Verrückungen, philologischen Verzerrungen, Ausblendungen von Unliebsamem und von Missverständnissen, um nicht zu sagen Vorurteilen, die sich offenbar hartnäckig jeder Korrektur, jeder sachlichen Klarstellung widersetzen, trotz inzwischen vorliegender gegenteiliger Erkenntnisse und Fakten der Wagner-Forschung. Nun wissen wir aus der Geschichte, dass alle Vernunft und Aufklärung versagt, wo Ideologien und politische Interessen, Emotionen und Leidenschaften, Identifikationsbedürfnisse und Fanatisierungsprozesse das Sagen haben. Das trifft nicht nur, aber eben auch und ganz besonders im Falle Wagners zu!

      Ziel dieses Buches ist es, das vor allem durch die Optik des Nationalsozialismus nachhaltig verfälschte Wagner-Bild zu korrigieren, historische Missverständnisse zu klären und wirkungsgeschichtliche Vorurteile aus der Welt zu räumen, soweit dies kraft sachlicher Argumente möglich ist. Die entscheidenden Fragen konzentrieren sich dabei auf den unleugbaren Wagner’schen Antisemitismus in seinen musikdramatischen und theoretischen sowie privaten Äußerungen. Als oberstes Gebot habe ich das Bemühen um historisches Verständnis betrachtet, so wie es der israelische Historiker Jacob Katz in seiner, wenn auch nur einen Ausschnitt des Problemfelds behandelnden, dennoch wegweisenden Arbeit fordert: „Die Beachtung der chronologischen Reihenfolge in der Darstellung und Deutung der Ereignisse ist die erste Pflicht des Historikers, die auch in diesem Fall unter Überwindung der verständlichen Widerstände streng einzuhalten ist.“1

      Dass es einem Stich ins Wespennest gleicht, sich mit dem heiklen und beklemmenden Thema des deutschen – speziell des Wagner’schen – Antisemitismus zu befassen, zumal es gilt, sich zwischen extrem polarisierten Standpunkten zu bewegen, versteht sich von selbst. Die konträren Pressereaktionen auf die Erstausgabe dieses Buches vor sieben Jahren haben es veranschaulicht. Die Rezensentin der Berliner taz demonstrierte nur einmal mehr, wie sie genau jenen für sie anscheinend unverrückbaren Vorurteilen auf den Leim ging, deren Infragestellung das Thema meines Buches sind. Die Süddeutsche Zeitung dagegen druckte den überschwänglichsten der vielen Zusprüche, die das Buch erhielt. Die gutgemeinte Schlussforderung des Rezensenten allerdings, dass der Schlusssatz meines Buches „das letzte Wort in der Debatte“ sein solle, bleibt sein frommer Wunsch und mehr als nur fraglich. Dass mich die in