Название | Gleichberechtigung im Kinderzimmer |
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Автор произведения | Ekkehard von Braunmühl |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783937797922 |
Angeblich, so die Autoren, erreichen doch noch einige Exemplare ein Ende der Trotzphase, nämlich die »Altersweisheit«. Doch die bleibt kraft- und folgenlos. (Leider gibt es das Buch »Das Leben als dauernde Trotzphase« noch nicht. Wir wollten Ihnen damit Gelegenheit geben, Ihre gesunde Trotzfähigkeit gegen uns zu testen.)
Sprachgebräuche und Redensarten
Beim Militär ist das Prinzip Befehl und Gehorsam normal und sinnvoll. Das Militär ist hierarchisch, von »oben« nach »unten«, organisiert. Ganz oben werden Informationen verarbeitet und Beschlüsse gefaßt, ganz unten wird nur gehorcht. Damit »Schütze Arsch« auch wirklich tut, was ihm gesagt wird, drohen ihm schwere Strafen, falls er es nicht tut. »Die da unten« müssen vor »denen da oben« genügend Angst haben, damit das Militär funktioniert, damit die Menschen zum Krieg fähig werden, damit sie nicht denken, sondern töten und sterben.
In vordemokratischen Zeiten war die zivile Gesellschaft ähnlich organisiert, ebenso wie viele Institutionen, etwa Kirchen, Wirtschaftsbetriebe und auch: Familien. Der Vater war das Oberhaupt, die Mutter hatte ihm zu gehorchen und den Kindern zu befehlen, die Kinder waren »brav«, »artig«, »folgsam«, oder sie wurden bestraft, verstoßen, getötet. Als Belohnung für ihren Gehorsam stand den Kindern vor Augen, daß sie als Erwachsene später selbst zu den Befehlshabern gehören würden. (Internationale Militärweisheit: »Wer befehlen will, muß gehorchen können.«)
Mit der Einführung der Demokratie verschwanden nicht alle hierarchische Strukturen aus der Gesellschaft, auch nicht aus der Familie und der Sprache.
»Darf ich’s wagen, Sie zu fragen …?« »Darf ich bitten?« »Gestatten Sie?« »Darf ich noch ein Brötchen haben?« »Ich weiß nicht, was ich machen soll.« »Was erlaubt der sich?« Manche solcher Redensarten sind nur als Höflichkeit gemeint, aber unbestreitbar fragen Kinder oft, ob sie etwas »dürfen«, »sollen«, oder sogar »müssen«, und auch in heutigen Familien gibt es noch Eltern, die sich von vordemokratischen »Experten« einreden ließen, es sei richtig, Kindern etwas zu befehlen, zu erlauben, zu verbieten und sie bei Ungehorsam zu bestrafen, ansonsten zu loben oder zu belohnen. Das Kind wird kaum anders behandelt als ein Haustier. Kein Gedanke an Gleichberechtigung. Wie Kinder von Eltern, in Kindergärten und Schulen noch oft herumkommandiert werden, spricht für sich. Das gleiche gilt für eine große Zahl von Sprachgewohnheiten, die Kinder verächtlich machen, ihnen ihren Platz ganz unten zuweisen. (Wir bringen hier keine Beispiele, damit wir Ihnen nicht die Idee nahelegen, wir wollten Sie beschämen, falls Sie selbst … Das Problem liegt gerade darin, daß solche Sprachgebräuche ganz unschuldig beibehalten werden, aber dennoch Wirkungen zeitigen. – Vielleicht achten Sie einmal im Alltag darauf, wieviel Respektlosigkeit, Oben-Unten-Denken und damit Unfrieden in Sprachgewohnheiten auch von »Zivilisierten« und »Zivilisten« stecken kann.)
Die Würde des Kindes ist …
Sie ist sehr leicht »antastbar«, wie jeder weiß, obwohl doch eigentlich --- Sind Kinder nicht auch Menschen? Und hat die Würde des Menschen – ihre Unantastbarkeit! – nicht höchsten Rang in der Verfassung?
In Deutschland sagt das Gesetz seit 1980, daß »entwürdigende Erziehungsmaßnahmen« unzulässig sind. Aber wenn dann jemand, der »erziehungsberechtigt« ist, ein Kind demütigt, beleidigt, einsperrt, verprügelt oder sonstwie – unterhalb der Grenze zur Krankenhausreife – schikaniert, erklären die höchsten Juristen, daß dies die Würde des Kindes nicht verletze, weil es ja seiner Erziehung dienen soll.
Warum fällt es vielen Erwachsenen so schwer, den Begriff »Würde des Kindes« überhaupt zu denken? Ganz einfach: Die Leute verwechseln die Menschenwürde mit der Würde von Würdenträgern (»Ehrendoktorwürde«, »Hochwürden«, Funktionäre »in Amt und Würden«, vielleicht dereinst »in Würde ergraut«, »würdevoll gestorben« und »würdig bestattet«). Mit dieser Würde werden bestimmte Leistungen gewürdigt; etwa beim Storch genügt schon sein stolzes (»gravitätisches«) Stolzieren. Ein herumhampelndes Storchenkind würde niemals diesen würdigen Eindruck machen. Und nun erst die Menschenkinder! Plärren die nicht bei jeder Gelegenheit los, als wollte man sie vierteilen?
Um es kurz zu machen: Die Menschenwürde kommt jedem Menschen zu, unabhängig von jeglicher Leistung, gleichgültig, in wie »unwürdigen« Verhältnissen der Mensch leben mag oder wie »würdelos« er sich benimmt. Sie ist als unverlierbar gedacht und in den meisten Verfassungen als »unantastbar« festgeschrieben, damit sie wirklich keinem Menschen abgesprochen werden kann, auch nicht den Allerschwächsten, Allerärmsten und – nach Leistungsgesichtspunkten – Allerunwürdigsten. (Wäre das anders, hätten ja »entwürdigte« Menschen ihre Würde verloren und dürften dann behandelt werden, wie sie – als Menschen – eben nicht behandelt werden dürfen.) Genaugenommen kann es demnach gar keine im Sinne der Menschenwürde »entwürdigenden Erziehungsmaßnahmen« geben. Deshalb eignete sich dieser Gesetzestext (§ 1631 BGB: »Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig«) so gut als politischer Kompromiß. Der Satz klingt kinderfreundlich, besagt aber rein gar nichts. Der Gesetzgeber kann allerdings behaupten und sich einbilden, er hätte Kinder als Menschen anerkannt und versucht, sie vor den bösen Eltern zu schützen.
Für das Prinzip der Gleichberechtigung aller Menschen ist es wichtig, die doppelte Bedeutung des Wortes »Würde« zu durchschauen. Denn daß die Menschen auf der Leistungsebene ungleich sind, ist offensichtlich. Auf der Ebene der Menschenwürde aber sind alle Menschen gleich.
Ebenso ist es mit den Menschenrechten. Sie kommen ohne Unterschied allen Menschen zu und sind nicht, wie die meisten anderen Rechte, mit Pflichten verkoppelt. Vielmehr sind es »Schutzrechte« (im Unterschied zu »Ordnungsrechten«), die der Mensch in der Demokratie einfach hat, weil er Mensch ist, gleichgültig was er kann, will, tut. Auf der Ebene der Menschenwürde sind alle Menschen einschließlich der Kinder gleichberechtigt.
Nun ist es einfach, solche Sätze niederzuschreiben. Daß Frauen und Männer gleichberechtigt sind, ist formal schon lange anerkannt; trotzdem werden Frauen in vielen Bereichen massiv benachteiligt. Was das Verhältnis zwischen den Geschlechtern verzerrt, ist die patriarchalische Tradition. Was das Verhältnis zwischen den Generationen verzerrt, ist die adultistische (erwachsenenzentrierte) Tradition. Der Weg zum Frieden ist noch weit. Die »Würde des Kindes« gedanklich sehr weit zu trennen von jeglicher Leistung oder gar »würdevollem« Benehmen, ist unseres Erachtens ein wichtiger, ein unverzichtbarer Schritt in die richtige Richtung. (Wenn Sie mögen, könnten Sie sich jetzt einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen, was Ihre ganz persönliche Menschenwürde für Sie bedeutet. Vielleicht prüfen Sie auch, ob Sie das komische Wort »unantastbar« als notwendig und richtig nachempfinden können. Und falls nötig wäre es gut, wenn Sie sich mit dem Begriff »Würde des Kindes« möglichst phantasievoll vertraut machen könnten. Natürlich alles nur, wenn Sie nicht denken, das sei »unter Ihrer Würde«.)
»Zivilisation« ohne Gewalt?
Zu dieser kleinen, schlaglichtartigen Bestandsaufnahme gehören auch die jungen Menschen (sicher sind es mehrere zehntausend, vielleicht sogar einige hunderttausend in Deutschland), die im großen und ganzen in ihren Familien so leben, wie sie und wir es allen Menschen wünschen, eben gleichberechtigt – ob sie und ihre Eltern das so nannten oder nicht. (Wir meinen hier ausdrücklich nicht die »antiautoritär Erzogenen«, sofern beispielsweise deren Eltern ihre eigenen Menschenrechte denen der Kinder unterordnen zu müssen glauben.) Sind die Kinder aus gleichberechtigten Familien vielleicht wilde, barbarische Gestalten, rücksichtslos, disziplinlos, verantwortungslos, ohne Moral, hilflos ihren Trieben ausgeliefert, gemeingefährlich oder sonstwie »unzivilisiert«, weil ihre Eltern sie nicht »zügelten«, nicht zum »Hören« und sonst »Fühlen« zwangen, ihnen nichts von den Werten und Tugenden »einbleuten«, die immer herhalten müssen, wenn es gilt, Macht und Gewalt gegen Schwächere zu rechtfertigen?
Nach allem, was wir wissen, sind sie das nicht. Die jungen Menschen, die wir gut genug kennen und befragen konnten, unterscheiden sich in ihrem Verhalten (»Benehmen«) von anderen nicht so, daß ihnen auf den ersten Blick eine Besonderheit anzumerken