Название | Wunder inbegriffen |
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Автор произведения | Albrecht Kaul |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783765573590 |
Der Direktor sagt kühl: „Wigger, ich höre, dass Sie mit der Beurteilung für die Studienbewerbung auf Ihrem Zeugnis nicht einverstanden sind. Sagen Sie mir doch, was Sie daran stört.“
Werner zählt seine Beteiligung an gesellschaftlichen Ereignissen auf und erwähnt, dass er im Unterricht immer wieder als gutes Beispiel von den Lehrern gelobt worden sei.
Der Direktor meint zum Klassenlehrer: „Da können wir doch froh sein, dass wir an unserer Schule so fleißige Schüler haben.“ Halblaut beginnt er, die Beurteilung Zeile für Zeile durchzugehen. Als er im zweiten Teil der Beurteilung die vernichtenden Sätze über das gesellschaftliche Engagement liest, schaut er Sauermann an: „Habe ich nicht erst kürzlich beim Fahnenappell eine Belobigung für Herrn Wigger ausgesprochen und ihm ein Buchpräsent für besonderes gesellschaftliches Engagement überreicht? Das kann hier so nicht stehen bleiben! Veranlassen Sie, dass dies neu geschrieben wird.“ Als er sich wieder Werner zuwendet, klingelt das Telefon. Es muss eine dringende Sache sein, jedenfalls sagt der Direktor ziemlich erregt: „Ja, ich komme sofort.“ Er springt auf, geht zur Tür, dreht sich aber noch einmal um und fragt: „Herr Wigger, sind Sie bereit, unser Land mit der Waffe in der Hand zu verteidigen?“
Werner kämpft in diesen Tagen zwar immer noch um die richtige Entscheidung, aber er gibt eine Antwort, die den Direktor zufriedenstellt: „Ich bin bereits gemustert und habe die Einberufung für Rostock zugeschickt bekommen.“
„Na, dann ist ja alles gut – und auf Wiedersehen.“ Eilig geht er aus dem Raum und lässt einen erleichterten Werner und einen ziemlich frustrierten Herrn Sauermann zurück. Für Werner ist dieses Erlebnis eine Bestätigung für den Satz, den Jesus gesagt hat: „Wenn sie euch vor Statthalter und Könige führen, so sorgt nicht, wie oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zur Stunde gegeben werden.“
Klassenlehrer Sauermann meint nur kurz angebunden: „Herr Wigger, kommen Sie in zwei Wochen ins Sekretariat. Wir werden Ihnen eine neue Beurteilung schreiben, die können Sie dann hier unterschreiben. Schöne Ferien.“
Mit beschwingten Schritten eilt Werner nach Hause und erwartungsvoll kehrt er vierzehn Tage später zum Direktorenbüro zurück. Unterwegs trifft er Armin, seinen Banknachbarn. Nach einem kurzen Hallo fragt der: „Wohin willst du?“ Werner erklärt es ihm und gemeinsam gehen sie zur Schule.
Die Sekretärin begrüßt ihn freundlich und meint: „Sie haben aber eine tolle Beurteilung bekommen. Bitte lesen Sie sich alles genau durch, dann unterschreiben Sie hier.“
Werner traut seinen Augen nicht, als er das neue Zeugnis der elften Klasse in Händen hält. Er zeigt es Armin, der ebenso das große Staunen bekommt. Die positiven Sätze zum schulischen Engagement sind geblieben, aber dann ist von hervorragender gesellschaftlicher Beteiligung, von reifer Persönlichkeit und aufrichtigem Standpunkt die Rede. Er unterstütze die Lehrer in gesellschaftlichen Aktivitäten der Schule und vertrete einen klaren, vorbildlichen Klassenstandpunkt. Werner versteht nicht, wie diese Wendung zustande gekommen ist, aber er unterschreibt mit Freuden und einem dankbaren Herzen.
Ein Blick in die Zukunft: An diese Superbeurteilung erinnert sich Werner, bereits in Rostock zum Studium, als seine Mutter 1973 im Scheidungsprozess angeklagt wird, die Kinder falsch erzogen zu haben. Nach 26 Jahren Ehe hat der Vater die Scheidung eingereicht. Er hat eine neue Partnerin gefunden, mit der er nun zusammenlebt, und will Werners Mutter so schnell wie möglich los sein. Untreue wurde in der DDR nicht als ausreichender Scheidungsgrund angesehen. Darum hat der Vater argumentiert, seine Frau habe es versäumt, ihre drei Jungen zu sozialistischen Persönlichkeiten zu erziehen. Stattdessen habe sie die Kinder zum christlichen Glauben gezwungen.
Werner will seiner Mutter helfen und erinnert sich an jene Beurteilung aus der elften Klasse, die ihm bescheinigt, was für ein einsatzfreudiger und gesellschaftlich anerkannter Mensch er ist. Damit sind die Anschuldigungen des Vaters nicht mehr stichhaltig, denkt er. Und so fährt er nach Rostock zur Uni und versucht, eine Kopie dieser Beurteilung zu bekommen.
Die Sekretärin im Dekanat der Uni blickt ihn verständnislos an: „Sie wissen doch, Herr Wigger, dass Personalakten nicht ausgehändigt, ja nicht einmal eingesehen werden dürfen. Ich kann Ihnen unmöglich eine Kopie überlassen, auch wenn Sie selbst den Wortlaut kennen.“
Werner nimmt allen Mut zusammen und schildert der Frau, in welcher schlimmen Lage die Mutter ist. Die Beurteilung könne sie entlasten. Daraufhin geht sie in das Archiv und kommt tatsächlich mit der Akte Wigger zurück. Sie legt den Ordner auf den Schreibtisch, blättert darin, bis sie das entsprechende Dokument findet, und liest mit verwundertem Gesicht die Beurteilung. Werner kann über Kopf nicht mitlesen, entdeckt aber, dass es da rote Unterstreichungen, Fragezeichen und Ausrufezeichen gibt. Schließlich fragt die Sekretärin: „Herr Wigger, wissen Sie denn, was in dieser Beurteilung steht?“
„Ja, natürlich, ich habe sie doch unterschrieben.“
„Nein“, antwortet sie, „ich kann Ihre Unterschrift hier nicht entdecken. Ich glaube nicht, dass Sie mit dieser Beurteilung Ihrer Mutter helfen können. Mir ist völlig unverständlich, dass sie mit so einer Beurteilung überhaupt einen Studienplatz bekommen haben.“ Damit schließt sie den Ordner und schüttelt nur noch den Kopf.
Werner wird klar, dass es neben den beiden Beurteilungen, die er kennt, offenbar noch eine dritte gibt, die hier in der Uni angekommen war und abgeheftet wurde. Aber wieso ist er trotzdem zum Studium angenommen worden? Ist das schon wieder so ein geheimnisvolles Wunder seines Gottes, der es gut gemacht hat, auch wenn die Menschen es böse meinten?
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