Drug trail - Spur der Drogen. Matthias Kluger

Читать онлайн.
Название Drug trail - Spur der Drogen
Автор произведения Matthias Kluger
Жанр Публицистика: прочее
Серия
Издательство Публицистика: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783969405406



Скачать книгу

er einige Minuten – während die Bilder der vergangenen Tage wie ein Stummfilm auf seiner Netzhaut flimmerten: Sie hatten ihn verhört, tagelang, geschlagen, verstümmelt, als plötzlich einer seiner Peiniger telefonierte. Nachdem das Gespräch geendet hatte, gab dieser den beiden anderen Anzugträgern ein knappes Zeichen. Abermals stülpten sie ihm die nach Chemikalien stinkende Kapuze über den Kopf und erneut wurde er in einen Van geladen, jenen, in dem er – vor wie vielen Tagen eigentlich? – verschleppt worden war. Wo brachten sie ihn jetzt hin? Würde er am Leben bleiben? Jeden Moment rechnete Rodrigo damit, dass man ihn aus dem Wagen warf, um ihn dann mit einem kurzen Schuss in den Hinterkopf zu exekutieren. Als der Van nach etwa zwanzig Minuten tatsächlich hielt, pisste er sich ein. Wortlos beförderte ihn ein heftiger Tritt aus dem Gefährt. Er schlug weicher auf als erwartet, gleich darauf wurde ihm die Kapuze vom Gesicht gezogen. Mit zugekniffenen Augen, die Lippen aufeinandergepresst, inmitten stinkender Müllsäcke liegend, hörte er den Van rückwärts aus der Einfahrt rollen.

      Rodrigo schüttelte verzweifelt den Kopf, als wolle er alle Gedanken an das Geschehene von sich wischen, und richtete sich auf. Schritt für Schritt humpelte er am Seitenstreifen der Straße entlang, ohne zu wissen, wohin diese ihn führen würde.

      „Du bist ein Junkie, nichts weiter als ein Junkie, der Stoff auf der Straße gekauft hat“, murmelte er gebetsmühlenartig vor sich hin. Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass er den Keim der Wahrheit nicht für sich behalten konnte. Mit jedem weiteren Abdruck seiner Schuhsohlen, den er im Schnee hinterließ, erblühte in ihm mehr und mehr ein zartes Pflänzchen und irgendwann, so schwor er sich, würde aus diesem Pflänzchen ein Baum erwachsen. Und dieser Baum besaß einen Namen: Rache!

      Presseschlagzeile

       Anfang Februar – 269 Tage vor der Präsidentschaftswahl

       Verunreinigte Drogen fordern weitere Todesopfer

       Erst vor einem Monat wurde der erste Todesfall durch vergiftete Drogen registriert. Seither ist die Zahl der Drogentoten auf über 14.000 gestiegen. Offensichtlich ist die Sucht der Drogenabhängigen größer als ihre Angst zu sterben. Auch Hilfsangebote sozialer Organisationen werden kaum wahrgenommen, da viele Abhängige Angst vor strafrechtlicher Verfolgung haben und lieber anonym bleiben wollen.

      Meinst du wirklich?

      Es war gerade einmal sechs Wochen her, dass der Vizepräsident der Vereinigten Staaten, Logan Winston, in einem feierlichen, weltweit ausgestrahlten Trauerakt zu Grabe getragen worden war. Staatsmänner aller Nationen, hohe Würdenträger aus Politik, Wirtschaft und Religion hatten dem Verstorbenen die letzte Ehre erwiesen.

      Als wäre der Verlust des zweithöchsten Vertreters der USA nicht schon Schicksalsschlag genug, riss die Reihe der Hiobsbotschaften für Präsident Bob Thompson nicht ab. Über die Vereinigten Staaten von Amerika rollte eine Welle wie eine todbringende Walze, die sowohl in ihrem plötzlichen Auftreten als auch in ihrer Dimension nicht vorherzusehen war. Eine Welle von Drogentoten. Nur wenige Wochen nach dem Ableben des Vizepräsidenten häuften sich die Meldungen über Todesfälle durch Drogenkonsum in solchem Ausmaß, dass die Presse inzwischen von einer „Epidemie der Toxic Drugs“ sprach.

      Bob Thompson stand am Fenster des Oval Office und kehrte seinen engsten Vertrauten den Rücken zu. In Gedanken versunken schweifte sein Blick durch den Garten des Weißen Hauses, ohne dabei die kahlen Bäume, die noch auf die Zeit der zarten Knospen des Frühlings warteten, wahrzunehmen.

      „Was ist deine Meinung, William?“

      „Ich schließe mich Julia an“, antwortete William Baker. „Das Problem liegt auf der Hand: Es sind vergiftete harte Drogen im Straßenhandel, die täglich bis zu tausend Tote fordern. Bislang sind – ohne die Dunkelziffer – mehr als 14.000 Tote zu verzeichnen. Woher die verunreinigten Drogen stammen, konnten unsere Geheimdienste noch nicht mal ansatzweise herausfinden. Es ist wie verhext; nicht nur das Wie, ebenso das Warum ist unklar. Wenn das so weitergeht, haben wir bis zu den Wahlen mehr Drogentote als Verkehrsopfer.“

      „Und was schlagt ihr vor?“ Bob Thompson drehte sich um und sah erst Julia, danach Robert, dann William direkt in die Augen.

      „Wenn du mich fragst“, führte William weiter aus, „plädiere ich für ein konsequentes Vorgehen. Betrachte es mit den Worten Nixons: ‚war on drugs‘. Du musst mehr investieren, um noch härter durchgreifen zu können. Undercover wie auch mehr bewaffnete Fahnder auf die Straße schicken. Wir sind im Krieg und das amerikanische Volk erwartet von seinem Präsidenten, dass er diesen gewinnt.“

      „Wie soll ich einen Krieg gewinnen, wenn ich noch nicht einmal den Feind kenne?“ Bob Thompson geriet in Rage. „William, dort draußen sterben Menschen, Mütter verlieren ihre Kinder. Und wir? Wir stochern im Nebel! FBI, CIA, NSA, DIA, Julia, du weißt besser als ich, wer nicht noch alles beteiligt ist. Und das Ergebnis …?“

      „Früher oder später werden wir die Quelle der Toxic Drugs finden“, verteidigte sich Julia. „Unsere Geheimdienste arbeiten auf Hochtouren, drehen jeden Stein herum, unter dem ein Giftmischer sitzen könnte. Du musst Besonnenheit und Stärke ausstrahlen. Und bedenke eines, Bob: Das Volk hat Angst. Und mit Angst, das weißt du ebenso gut wie ich, gewinnst du Wählerstimmen, aller Schichten, aller Rassen.“

      „Genauso wie die Republikaner“, entgegnete Bob. „Versteht ihr: Dieser Krieg erscheint mir aussichtslos, abgesehen davon, dass er seit Jahrzehnten Milliarden an Steuergeldern verschlingt, ohne dass wir jemals Aussicht auf Erfolg hatten. Da können wir auch gleich die vielen Milliarden nehmen und sie diesen Kartellen in den Rachen schieben.“ Der Blick des Präsidenten wanderte durch die Runde.

      „Vielleicht sollten wir genau das tun, Mr. President“, hörte Robert sich sagen.

      Bob Thompson zog fragend die Brauen nach oben, während William seinen Sohn entgeistert anstarrte. „Könntest du mir bitte erklären, was das soll?“, fragte er verwirrt, da er nicht im Geringsten begriff, worauf sein Sohn hinauswollte.

      Robert neigte den Kopf seitlich, richtete den Blick auf Julia Hobbs, als suche er nach der passenden Begründung. „Nur ein Gedanke, den Julia und ich vor ein paar Tagen diskutierten. Tatsächlich ist es so, wie Sie es, Mr. President, gerade ausgeführt haben: Seit Jahrzehnten schlagen wir der Hydra einen Kopf ab, wo umgehend zwei neue nachwachsen. Der Kampf scheint aussichtslos. Schauen wir uns die Geschichte der Prohibition der zwanziger und dreißiger Jahre an – den 18. Zusatzartikel, der ein vollkommenes Alkoholverbot vorschrieb. Und was hat er gebracht? Getrunken wurde trotzdem – nur illegal. Und wer hat davon profitiert? Ausschließlich das organisierte Verbrechen. Durch die Aufhebung der Prohibition war das Problem gelöst.“

      „Robert, wir sprechen hier nicht von einem Schluck Whiskey, sondern von harten Drogen. Es wäre ein Unding, wenn du mich fragst, hieran auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Gerade jetzt, wo Rauschmittel auch noch mit giftigen Substanzen gestreckt werden. Der Vorschlag ist irrwitzig.“ William schien verärgert über den voreiligen Vorstoß seines Sohnes.

      „Nein, nein, lass ihn, William“, schaltete sich nun Bob Thompson ein. „Ganz so von der Hand zu weisen ist der Gedanke nicht. Überlegt doch mal. Mehr als die Hälfte der Bundesstaaten hat den privaten Genuss von Marihuana legalisiert. Über fünfzig Prozent der Wähler befürworten dies mittlerweile. Wenn nun auch harte Drogen legal wären, hätten wir zumindest die Möglichkeit, deren Konsum zu steuern. Gleichzeitig würde der illegale Handel damit unattraktiv werden.“

      „Bei aller Liebe, Bob“, erwiderte William. „Wie stellst du dir das vor? Amerika als Land der Junkies? Wir reden hier nicht von Alkohol oder Cannabis. Damit treibst du deine Wähler direkt in die Arme der Republikaner. Keine Amerikanerin, kein Amerikaner wird es gutheißen, wenn sich deren Kinder legal Koks in die Nase ziehen oder an der Nadel hängen. Wo willst du die Grenze setzen? Kokain und Heroin ja – Chrystal Meth nein? Ganz zu schweigen davon, dass wir solch einen Vorschlag weder im Senat noch im Repräsentantenhaus durchbekommen würden.“

      Der Präsident schürzte nachdenklich die Lippen. „Meinst du wirklich?“