Das Versagen der Kleinfamilie. Mariam Irene Tazi-Preve

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Название Das Versagen der Kleinfamilie
Автор произведения Mariam Irene Tazi-Preve
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783847412649



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Kinder seien die „Frucht der Liebe“. Diese Botschaft wird unablässig transportiert, in Medien8, in Filmen, im Alltag, aber auch in der Gesetzgebung. Mit ihr gehe angeblich auch die lebenslange Treue einher.

      Dieser Liebesmythos ist ein historisch junges Phänomen. Er trägt Züge der (früh)mittelalterlichen „Minne“, bei der Troubadoure der Geliebten in Versen huldigten. Nur, diese Liebe hatte nichts mit der Realität einer Liebesbeziehung zu tun, es wurde eine unerreichbare Fürstin verehrt. Es war eine Art abstrakte Liebe in die eigene Liebesfähigkeit, ihr weibliches „Liebesobjekt“ – psychoanalytisch gesprochen – ein überhöhtes Ideal.

      Seit dem 20. Jahrhundert wird suggeriert, dass die romantische Liebe real wäre und in eine Ehe münden müsse. Diese Norm hält aber der Realität nicht stand, die von hohen Scheidungs- und Trennungsraten zeugt.9 Dennoch [20] dominiert der Glaube an das Dasein als liebendes Paar. Obwohl ihn nicht nur die Musikerin Christiane Rösinger (2012) demontiert, wenn sie behauptet, „Liebe wird oft überbewertet“. In Wirklichkeit ist die lebenslange Dauer einer Beziehung die Ausnahme, die zeitliche Limitierung dagegen die Regel.

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      Abbildung: Autorin

      Die Statistik zeigt, dass realiter die „Lebensabschnittspartnerschaft“ gelebt wird. Leidenschaft überdauert selten viele Jahre oder gar Jahrzehnte. Eine empathische, gefühlsmäßige Liebesbeziehung kann hingegen ein Leben lang halten, aber auch sie wird sich über die Jahre verändern. So erklären sich zahlreiche Trennungen, die der Einsicht folgen, dass man sich „auseinandergelebt“ habe. Das Ausmaß von Liebe, Sexualität und Leidenschaft sind von der Qualität des täglichen Zusammenlebens zu unterscheiden, davon gehen auch Paartherapeuten aus (Profil 30/2012). Nur in Ausnahmefällen sind sie dauerhaft miteinander verknüpft.

      Dies führt uns zur Frage, warum eigentlich die Erwartungen an den Partner so hoch sind? Der Partner soll gegenüber der Partnerin und gegenüber den Kindern mütterliche Fähigkeiten entwickeln, er soll von früh bis spät das Leben mit ihr teilen und die Herkunftsfamilie ersetzen. Für Männer stellt sich die Liebes-Frage anders: Zum einen neigen sie eher dazu, sexuelle Anziehung und Gefühle zu trennen. Zum anderen suchen sie die Sicherheit und mütterliche Fürsorge bei einer Frau, indem sie diese sexualisieren. Ein „Zuhause haben“ und die Befriedigung von Sexualität werden miteinander vermischt.

      [21] Die Ehe sollte in der Moderne emotionale Bedürfnisse nach Zuwendung und Wärme befriedigen, die eigentlich der mütterlichen Fürsorge entsprechen. Dies kann der Partner/die Partnerin aber nie leisten. Die historisch junge romantische Liebe, so eine These, die nicht nur von Autorinnen matrilinearer Familienbilder (z.B. Rathmayr 1993) vertreten wird, stellt eine verkehrte Mutterliebe dar, die sich vom Kind ab- und zum Mann hinwendet.

      In der Paartherapie wird davon ausgegangen, dass sich in der Partnerschaft folgende Prozesse abspielen: Gelernte Reaktionen aus der Kindheit und unerledigte Konflikte des eigenen Elternhauses werden unbewusst in der Partnerschaft weiter ausagiert, selbst wenn diese ganz und gar unpassend sind. Therapeuten sprechen von der fehlenden „reifen“ Ablösung von der Herkunftsfamilie (Ingwersen 1996). Und auch die Eltern der Partner/innen selbst litten bereits an psychischen Störungen und Symptomen, die auf nicht erfüllte Bedürfnisse nach Nähe, Sicherheit oder Eigenständigkeit zurückzuführen sind. Sie sind daher nie unbelastet von ihrer Herkunftsfamilie und ihrem eigenen Aufwachsen und tragen alle unbewältigten Konflikte aus Kindheit und Jugend in die Beziehung hinein.

      Es war Sigmund Freud, der die Kleinfamilie theoretisch begründete und als universell gültig erklärte. Die „Freud’sche Triangulierung“ besagt, dass das natürliche Aufwachsen des Kindes innerhalb des Dreiecks Vater-Mutter-Kind stattzufinden habe. Wolf zitierend nennt Rendtorff (2007) dies die „Matrix“ in der inneren Welt des Kindes. Die Ebene der Liebesbeziehung der Eltern wird mit jener zum Kind in Beziehung gesetzt und als Basis für die Entwicklung des Kindes erachtet. Was laut Freud das traute Familiendreieck störte, war die Liebesbeziehung der Mutter zum Kind, mit der die zum Partner nicht konkurrieren konnte. Deshalb war er bestrebt, die anfängliche Symbiose – besonders die des männlichen Kindes – mit der Mutter zu beenden. Und er suggerierte, dass die Liebesorientierung des Kindes auf den Vater als „Vermittler von Welt“ zu richten sei. Auch die Frau sollte lernen, der Liebe und Loyalität zu ihrem Ehemann Priorität einzuräumen. Dies erkläre auch die oft beobachtete „Eifersucht“ des Vaters auf das neugeborene Kind, mit dem er um Aufmerksamkeit konkurrieren müsse.

      Für Freud ist Liebe in erster Linie Sexualität (Mees/Schmitt 2000), in zweiter Linie spricht er von Zärtlichkeitstrieben. Nach Bowlys Bindungstheorie (Mees/Schmitt 2000) hingegen setzt sich Liebe aus Bindung, Fürsorge und Sexualität zusammen. Dieser Theorie zufolge müsse – trotz nachlassender [22] sexueller Anziehungskraft – die Partnerschaft zumindest so lange halten, wie für den gemeinsamen Nachwuchs zu sorgen ist.

      Eben hier zeigt sich der grundlegende Konflikt innerhalb der Kleinfamilie. Die Liebesbeziehung der Eltern sei, so wird behauptet, mit der Liebe der Eltern zum Kind verquickt. Und Familientherapien folgen dem engen Konzept der Kleinfamilie und ignorieren folglich den Konflikt zwischen den erotischen Bedürfnissen und den Verpflichtungen, die sich aus dem Aufziehen von Kindern ergeben.

      Der Psychotherapeut Bernd Hellinger geht in seinem therapeutischen Ansatz des Familienstellens von einem simplizistischen Ansatz von Partnerschaft aus (Neuhauser 1999), der besagt, ein Mann „brauche“ eine Frau und eine Frau einen Mann. Durch die Sexualität blieben Mann und Frau unauflöslich aneinander gebunden, was auch der Grund für die schmerzlichen Gefühle von Versagen und Schuld bei einer Trennung sei. Hellinger gibt dieser Paarbeziehung Ewigkeitscharakter, indem er postuliert, das ganze Leben steure angeblich auf sie hin. Auch er stellt innerhalb des Familiensystems die Paarbeziehung über die Elternrolle (Hellinger 2000).

      Dass Partner/innen auch nach dem anfänglichen Liebesrausch zusammenbleiben, hat in der Realität viel mehr damit zu tun, dass die Paarbeziehung eine sozial erwünschte Lebensform ist, und damit, dass Kinder und Besitz sie aneinander ketten. Eine Rolle spielt auch, dass sie kaum auf alternative soziale und emotionale Unterstützungssysteme zurückgreifen können. Und eine eventuelle Rückkehr in den elterlichen Haushalt wird wiederum in der Kleinfamilienkultur als Mangel an Erwachsensein und Autonomie interpretiert.

      Trotzdem bleibt das Bedürfnis nach einer solchen Rückkehrmöglichkeit, nach der Empathie und Fürsorge, die aus der emotionalen, oft verwandtschaftlichen Nähe stammt, bestehen. Seit den 1970er Jahren gibt es zahlreiche Versuche, familienähnliche Gemeinschaften aufzubauen, entweder, weil der Weg zur Kleinfamilie per se versperrt war (z.B. die Gay Community), oder gerade, um die Kleinfamilie aufzubrechen (Gründung von Kommunen in den Anfängen alternativer Bewegungen).

      Familie. Begriff und Historisches

      Sozialwissenschaftliche Disziplinen gehen von unterschiedlichen Bedeutungen von „Familie“ aus. Die Statistik hält primär am „Haushalt“ fest, in dem ein [23] Paar oder zwei Generationen zusammenleben. Die Familiensoziologie erforscht alle Familienmitglieder im Sinne der Herkunfts- bzw. Generationenbeziehungen (Kern et al. 2000). Die Familiendefinition in der Bevölkerungs- und Politikwissenschaft und in weiten Teilen der Geschlechterforschung wiederum beschränkt sich auf die Kleinfamilie – die eheliche oder nichteheliche Lebensgemeinschaft mit oder ohne Kinder. In der Alltagssprache wird der Begriff Familie oft nur dann verwendet, wenn aus einer Ehe bzw. Partnerschaft ein Kind hervorgeht.

      Begriff

      FamilienwissenschaftlerInnen, insbesondere FamiliensoziologInnen sind sich darin einig, dass es keine einheitliche Definition von Familie gibt. Dennoch halten sie an der Kleinfamilie fest, wenn Themen empirisch erforscht werden oder wenn generell von „Familie“ die Rede ist. Zum Beispiel führt Rendtorff (2007) aus:

      Definieren wir zunächst Familie sehr weit gefasst als eine Gruppe von Menschen, die mindestens zwei Generationen umfasst. (…) Dennoch wird der Einfachheit halber im Folgenden von „Erwachsenen bzw. Eltern“ und „Kindern“ die Rede sein. (Rendtorff 2007, 94)

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