Название | Das Versagen der Kleinfamilie |
---|---|
Автор произведения | Mariam Irene Tazi-Preve |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847412649 |
Wie sich die Mütter-Väter ihre Nachwuchsproduktion vorstellen, zeigt die folgende Schilderung eines deutsch-amerikanischen Billionärs, der im März 2016 Vater wurde. Die New York Times schreibt in seinem Porträt:
„And last month, he became a bachelor father. Or, as he put it when asked who the mother is: „Me, I am the mother and the father.“ Mr Berggruen has two newborns, a boy and a girl, born three weeks apart to different surrogates and conceived using [52] eggs from two donors. (…) He bought the apartment one floor down for the children and their nannies.“ (New York Times, 17.4.2016, 5)39
Genau so beschrieb Platon vor 2000 Jahren in „Politeia“ seine Utopie der „Frauen und Kindergemeinschaft“, in der der Nachwuchs für Staat und Militär produziert werden sollte, und die Kinder getrennt von der Mutter aufwachsen sollten. Wo die Hellenen nur eine geistige Utopie entwarfen, schaffen die Technokraten und ihre Nutzer heute medizinische und rechtliche Fakten.
Das einzige, was diesen „Vater-Himmel“ bisweilen noch stört, ist das Beharren der Volksmeinung auf der Mutter. Als sich ein homosexuelles Paar auf die Suche nach einem Rabbi machte, der bei der Namensgebung ihrer Tochter dabei sein sollte, wurden sie hartnäckig nach der Mutter befragt, die ja entscheidend für die Zugehörigkeit zum Judentum ist.
Most people get it, when I say, „She has two daddies.“ Others persist, asking, „No, but who is her mom?“ (New York Times, 8.5.2016, 6)40
Die neuen Reproduktionstechnologien sind also darauf aus, mutterloses Leben zu kreieren. Gena Corea (1988) hat schon vor 30 Jahren beschrieben, wie die Fortpflanzung vom weiblichen Körper abgetrennt werden sollte. Damals war es die Gynäkologie, die den Weg bereitete, um Schwangerschaft und Geburt von einem angeblichen unkontrollierbaren wilden und unvorhersehbaren Akt zu einem kontrollierten, überwachten und messbaren Vorgang der modernen Technik zu verwandeln. Und um die Geburt planbar zu machen, leiten Ärzte die Geburt willkürlich ein und haben damit in den USA die Kaiserschnittrate auf 40 Prozent erhöht.41 Die Gynäkologie ist die lange Geschichte der Entfremdung der Frauen von ihrem eigenen Körper/Leib42 und der Entmachtung der Hebammen (Martin 1989).
[53] Wie aber konnte der Einsatz der RT zur Normalität werden? Renate Klein (2015) berichtet über die Erfindung der Rede von den „Rechten“ und „Wahlmöglichkeiten“ der Frauen und davon, dass dies „zu ihrem eigenen Wohle“ wäre. Und entgegen aller Logik wird das „Recht jeder Frau auf ein Kind“ salonfähig gemacht. Die technologische Entwicklung wird als Freiheit angepriesen: unfruchtbare Frauen können Kinder haben, Frauen können die Schwangerschaft outsourcen und schwule Paare können Eltern mutterloser Kinder werden. Die Leihmutterschaft, die nur in wenigen Ländern wie den USA, der Ukraine, Indien, Thailand und Mexiko legal ist43, ist „the spawn of a neoliberal ideology based on the fate of women selling their bodies out of poverty“44 (R. Klein 2015, 161). Mutterschaft wird zum Geschäft, wenn Paare riesige Summen an Agenturen, Fertilitätskliniken, Anwälte und schließlich auch an die Eizellenspenderinnen45 und Leihmütter bezahlen, um Eltern zu werden.
Da der radikale Widerstand seit Beginn der RT systematisch durch die RT Industrie und von „pro choice Feministinnen“ (R. Klein 2015) behindert wurde, ist der Einsatz durch die Leihmutterschaft in den letzten Jahrzehnten ungehemmt von statten gegangen. Sozialdemokratische und liberale Feministinnen treten für das „Auslagern“ der Schwangerschaft ein, um Familie und Job zu vereinbaren. Vielen Betroffenen ist dabei kaum bewusst, was vor sich geht, so sehr hat die Rhetorik des „Helfens“ und der „Wahl“ den Blick verstellt. Und so beteiligen sich Frauen an der patriarchalen Ideologie, wenn sie die „Auslagerung“ der Schwangerschaft für Kinderlose fordern oder für solche, die sich keine Schwangerschaft aufbürden wollen. Sie unterwerfen sich auch dann dem Techno-Projekt, wenn sie es zulassen, ihre Eizellen einfrieren zu lassen zum späteren Gebrauch oder der genetischen Auslese des „Materials“ zustimmen.
[54] Durch die Praktiken der Reproduktionstechnologie wird Mutterschaft im Namen des Wohls kinderloser Frauen, der Freiheit der Forschung und des technologischen „Fortschritts“ abgeschafft zugunsten einer angeblich genetisch perfekten Fortpflanzung. „Normale“ Mütter könnten dies nie bewerkstelligen, sie werden als geradezu primitiv hingestellt. Es wird auch suggeriert, dass jede Frau ein eigenes Kind haben könne, obwohl die Erfolgsraten der Invitro-Prozeduren nachweislich niedrig sind.
Neben den möglichen psychologischen Problemen sprechen Reproduktionstechniker auch niemals von den möglichen körperlichen Schäden, die durch Reproduktionstechnologie entstehen können. So kann die Gabe der zahlreichen für die Eingriffe notwendigen Hormoncocktails zu schweren Krankheiten wie Krebs führen (R. Klein 2015). Die Praktik, die eispendende Mutter von der austragenden zu trennen, soll sicherstellen, dass es kein biologisches Band zwischen Mutter und Kind gibt. Und trotzdem gewärtigen die Reproduktionstechniker immer wieder „Schwierigkeiten“, wenn die gebärende Mutter das Kind nicht herausgeben will.
Die alchemistischen Prozeduren der RT folgen dem Prinzip des „divide et impera“: der mütterliche Körper wird zuerst in seine Funktionen – Zeugung, Schwangerschaft, Geburt und Stillen – aufgeteilt. Im zweiten Schritt wird mit Hilfe der neuen medizinischen Technologie die „bessere Essenz bzw. Idee“ der Erfinder dieser Methode hinzugefügt. Der dritte Schritt ist die Neuzusammensetzung zu einer angeblich perfekten Kreation, dem Ziel des Patriarchats. Hier sehen wir eine Mutterschaft entstehen, die ihren Namen nicht mehr verdient. Denn sie wurde in zahlreiche Teile aufgegliedert: die genetische Mutter, die die Eizelle zur Verfügung stellt; die Leihmutter, die es austrägt; und die soziale Mutter, die es aufzieht. So gibt es die Mutter nicht mehr bzw. sie wird so unsicher, wie es Vaterschaft immer gewesen ist. Bisher ist es noch nicht gelungen, die künstliche Gebärmutter zu erschaffen, allerdings laufen die zahlreichen und finanziell gut ausgestatteten Forschungsprojekte auf Hochtouren. Seit langem werden Versuche zum Klonen von Tieren durchgeführt und Wissenschaftler befinden sich im Wettlauf um das Klonen des ersten Menschen.
[55] Wo stehen wir?
In den USA wurde die Benennung der „Mutter“ als solche erstmals in die Kategorie des „hate crime“ gerechnet, weil damit Männer und Transsexuelle ausgeschlossen würden. Die Anschuldigung klingt absurd, entspricht aber einer „konsequenten“ Umsetzung von „intersectionality“, die an amerikanischen Universitäten46 dazu geführt hat, die Anerkennung von Verschiedenheit ad absurdum zu führen. Niemand dürfe aufgrund des Geschlechts davon ausgeschlossen werden, auch „Mutter“ zu werden. Eine mögliche Einklagbarkeit gegen jede, die sich Mutter nennt, wird somit salonfähig und spielt der Reproduktionstechnologie und ihren Bestrebungen zur leiblichen Abschaffung der Mutter perfekt in die Hände. Nicht nur das. Der neue Totalitarismus kann nichts mehr neben sich dulden (Werlhof 2015) und verbietet, dass noch ausgesprochen werden dürfe, dass es weiterhin zu 99% Frauen sind, die die Kinder gebären.
Wir