Mörder sind keine Engel: 7 Strand Krimis. Cedric Balmore

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Название Mörder sind keine Engel: 7 Strand Krimis
Автор произведения Cedric Balmore
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783956179846



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zur Erkennung von Verbrechern. Darum geht es, noch präziser: Um die Wissenschaft von der Daktyloskopie, und die, mein Sohn, würde unserer Polizei die Arbeit wesentlich erleichtern, glaube mir!“

      - Faust junior musste sich ein Lächeln verkneifen. Er hatte längst Kenntnisse dieses Verfahrens erhalten, denn ein gewisser Paul Koettig arbeitete damit bereits seit Jahren sehr erfolgreich in Dresden. Aber der junge Polizeiagent wollte vor seinem Vater nicht mit den neu erworbenen Kenntnissen prahlen und beschloss, zunächst einmal den Vortrag der Amerikanerin abzuwarten.

      Während es sich sein Vater nicht nehmen ließ, den Droschkenkutscher selbst zu entlohnen und ihm dazu noch ein gutes Trinkgeld zusteckte, überquerte sein Sohn den breiten Fußweg und wollte eben zum Türgriff greifen, als jemand die Tür von innen aufzog und der Polizeiagent ins Leere griff.

      „Oh, I beg your pardon!“, sagte eine freundliche, helle Stimme und verblüfft schaute Faust in das Gesicht der jungen Frau, die gerade die Tür geöffnet hatte und nun heraustrat.

      Faust musste sich zusammenreißen, um nicht einen anerkennenden Pfiff auszustoßen, als er die schlanke Gestalt mit einem raschen Blick musterte, was bei der jungen Frau ein ganz bezauberndes Lächeln erzeugte. Der kurze, modische Haarschnitt, von der spöttischen Presse Bubikopf genannt, ein eleganter Seidenschal um den Hals, dessen Enden im Wind leicht wehten, ein länger geschnittenes Oberteil und dazu – tatsächlich, eine weit geschnittene und über die Taille reichende Hose! Unwillkürlich schluckte Faust, und nun erkundigte sich die junge Frau, noch immer lächelnd: „Nun, genug gesehen? Herr Doktor Faust, ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen!“, wandte sie sich gleich darauf zum ehemaligen Polizeipräsidenten um, streckte ihm die Hand entgegen und der alte Herr griff beherzt zu und lächelte sein Gegenüber ebenfalls auf seine gewinnende Art an. Dabei schien es seinem Sohn so, als würden die alten, blauen Augen plötzlich in strahlendem Glanz förmlich zu leuchten beginnen. Mit einer leichten Schulterbewegung deutete er auf seinen Sohn.

      „Thomas Edward Faust, mein Sohn. Fräulein Doktor, Doktor Dorothee Keller aus Chicago, die heutige Referentin.“

      Faust junior wollte sich über ihre Hand beugen, um einen angedeuteten Kuss darauf zu hauchen, aber herzlich lachend griff die junge Frau kräftig zu und drehte die Hand senkrecht, sodass Faust keine Möglichkeit für seine galante Geste erhielt. Irritiert blickte er die Amerikanerin an, als die seinen Vater auch schon unterhakte und mit ihm zurück zur Tür schritt.

      „Amerikanerin ist nicht ganz richtig, Herr Doktor Faust. Geboren wurde ich in Braunschweig, und zwar schon am 21.4.1895.“

      Der Polizeiagent stieß einen überraschten Laut aus.

      „An dem Tag wurde auch ich geboren!“, antwortete er schnell und folgte den rasch Ausschreitenden in den geräumigen Empfangsbereich.

      Fräulein Keller lachte fröhlich auf.

      „Wirklich? Aber das ist ja ein herrlicher Zufall! Um welche Uhrzeit erblickten Sie das Licht dieser Welt?“

      „Um präzise drei Uhr des Nachmittags!“, antworteten Vater und Sohn fast wie aus einem Mund.

      „Dann bin ich die Ältere!“, rief die Dame aus. „Ich kam exakt eine halbe Stunde vorher zur Welt!“

      „Und zogen dann nach Amerika?“

      „Nein, erst im Alter von fünf Jahren. Mein Vater bekam in Chicago die Leitung einer großen Fabrik übertragen, und so mussten wir die schöne Stadt an der Oker verlassen. Aber ich freue mich, endlich einmal wieder in meiner alten Heimat zu sein und Sie beide heute bei meinem Vortrag zu wissen!“

      „Jaaa“, antwortete Faust junior etwas gedehnt und weil ihm nichts Besseres einfiel, fügte er hinzu: „Sie sprechen ein ausgezeichnetes Deutsch, Fräulein Keller!“

      Helles Lachen antwortete ihm, als die junge Frau erwiderte:

      „Das will ich wohl meinen! Bei uns zu Haus in Chicago wurde Deutsch gesprochen, sonst natürlich nicht. Aber ich habe in Amerika auch in verschiedenen Städten studiert und dabei einige Freunde unter den Germanisten gehabt, die es schätzten, sich mit mir in der Sprache Schillers und Goethes zu unterhalten.“

      „Aber Sie wurden nicht auch eine Germanistin, sondern – was?“, erkundigte sich der Agent und erhielt die Antwort:

      „Promoviert habe ich sowohl in Chemie wie auch in der Medizin, Herr Faust, meine Lehrtätigkeit aber wieder eingestellt. Die Forschung reizt mich weitaus mehr, und die dadurch erworbenen Erkenntnisse führen mich in der Forensik wie der allgemeinen Gerichtsmedizin erheblich weiter.“

      Faust hoffte in diesem Augenblick, dass man ihm seine Verblüffung nicht anmerken konnte. Aber das Fräulein hatte sich eben mit den Worten an einen Saaldiener gewandt: „Das sind die Herren Faust. Richard, bitte führen Sie die Herren zu der Loge, die ich Ihnen genannt habe. Meine Herren, Sie entschuldigen mich bitte, es sind nur noch wenige Minuten bis zu meinem Vortrag. Wir sehen uns danach sicher zu dem kleinen Empfang, den ich folgen lasse, um hoffentlich ein paar anregende Gespräche zu führen.“

      Damit eilte sie schon davon, und fasziniert sah der junge Faust ihr nach, wie sie mit raschem Schritt durch den Saal eilte. Ihr Seidenschal wehte um ihre Schultern, und die weiten Hosenbeine spielten um die eleganten Schuhe, die von Faust als das Modell Tangoschuh eingestuft wurden, mit einem kräftigen Absatz und abgerundeter Kappe.

      Diese modischen Details lernte er erst kürzlich kennen, als man die Leiche einer jungen Dame der gehobenen Bürgerschicht aus der Oker geborgen hatte. Der Gerichtsmediziner wies auf die kaum getragenen Schuhe mit einem verlegenen Lächeln und bemerkte dazu, dass sie leider durch die lange Zeit im Wasser völlig verdorben waren und so manche Frau darüber wohl betrübter sein mochte als über den Tod der jungen Unbekannten. Auch ein Bild von ihr in den Tageszeitungen der Stadt hatte noch keinen Aufschluss über ihre Identität erbracht.

      „Du scheinst ja mächtig beeindruckt zu sein, mein Junge!“, ließ sich der alte Herr vernehmen, als sein Sohn auf den weichen Sessel neben ihm sank. „Damit hattest du wohl nicht gerechnet, was? Ich hoffe, du bist ihr gewachsen!“

      „Wie meinst du das? Weil sie so ... modisch gekleidet ist? Zugegeben, sehr viele Damen in Hosen habe ich bislang noch nicht in Braunschweig gesehen, andererseits jedoch ...“

      „Fürchtest du eine Suffragette?“, ergänzte sein Vater und strich sich über den Kinnbart.

      „Wie? Nein, sie muss ja keineswegs ... ich meine, sie ist ...“

      „Immerhin mit einem doppelten akademischen Grad, Thomas. Hat in unserer Familie bislang nur mein Vater geschafft, damals, als er sich neben der Juristerei auch der Medizin zugewandt hat. Übrigens hoffe ich, dass du deine Studien neben dem Beruf nicht vernachlässigst!“

      „Nein, das mache ich nicht, meine Dissertation steht vor dem Abschluss. Und natürlich weiß ich, dass Großvater am Anatomischen Institut einen eigenen Lehrstuhl begründete. Aber trotzdem ist sie ...“

      „Es geht los!“, unterbrach ihn sein Vater und deutete zur Bühne, auf die jetzt die junge Frau trat und von einem Scheinwerfer erfasst wurde.

      Beifall brandete auf, und Thomas E. Faust blickte sich verwundert um. Er hatte kaum registriert, dass der Saal sich in den letzten Minuten derart gefüllt hatte. Seit 1914 gab es hier ein Kino im Haus, dazu ein Restaurant im Obergeschoss, zwei weitere neben dem großen Konzertsaal, in dem sie jetzt saßen, sowie im hinteren Bereich, wo es zudem einen Kaffee- und Biergarten gab.

      Nach kurzer Begrüßung kam Fräulein Dr. Dr. Dorothee Keller gleich auf ihr Thema, begann jedoch zunächst mit der Methode, die der französische Anthropologe A. Bertillon entwickelt hatte. Danach konnte man mit elf verschiedenen Körpermaßen einen Menschen identifizieren. Dieses Verfahren war bei allen Polizeieinrichtungen in Frankreich, Österreich, der Schweiz und Deutschland eingeführt und stark genutzt. Das Publikum, das nach Einschätzung des jungen Fausts überwiegend aus der gehobenen Bürgerschicht bestand, schien von der Darstellung fasziniert zu sein. Kaum hatte das gelehrte Fräulein ein paar Punkte umrissen, brachten Helfer Geräte auf die Bühne