Und in uns der Himmel. Johannes Albendorf

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Название Und in uns der Himmel
Автор произведения Johannes Albendorf
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783967525755



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zu beachten. Unsere Religion sei keine Buchreligion, uns gebe der revolutionäre Glaube Zuversicht, dass Gott mit uns Kontakt aufnehmen will und sich nach uns sehnt – aber wir müssten, könnten und dürften ihm auch die Chance geben, uns anzusprechen, denn seine Stimme sei leise, und es sei eine Lebenskunst, ihr in Geist und Herz zu lauschen.

      »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen« - Ich habe dieses Zitat des Philosophen Wittgenstein oft beherzigt, gerade wenn es um eigene Glaubenserlebnisse ging und geht. Sie sind oft zu groß, um in Worte gefasst zu werden, zu tief, zu erschütternd oder zu leise; die hochentwickelte menschliche Sprache scheint zu profan, das menschliche Vorstellungsvermögen zu eindimensional, um dieser Schönheit einen angemessenen Ausdruck verleihen zu können.

      Ich selber fühle mich manchmal unangenehm berührt, wenn gar zu schwärmerisch von spirituellen Einsichten geschwärmt wird. Gott wird so oft als angebliche Begründung für Attentate, Spott, Krieg, Diskriminierung und Unterdrückung missbraucht. Nicht das Gesprochene, sondern die Taten zählen.

      Allerdings stehen dem Wittgenstein-Zitat die Worte der Apostel Petrus und Johannes in der Apostelgeschichte entgegen: »Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben!«

      Es gilt also abzuwägen.

      Im Burggrafer Dom liebte ich besonders die Sakramentskapelle. Unbeschadet hatte sie die Bombardierungen im zweiten Weltkrieg überstanden, ihre Kuppel hatte etwas Sphärisches, die Fresken etwas Zauberhaftes: Einst übertüncht waren sie nach all den Jahren wieder freigelegt worden, auf Augenhöhe zwar fast vollkommen verblasst, tönten jedoch zum Scheitelpunkt der Kuppel hin in immer kräftigeren Farben, all die Heiligen und Engel in die Lichtherrlichkeit schauend. Geduldig hatten sie jahrhundertelang unter all der barocken Tünche ausgeharrt.

      Sonnenkranzartig umgaben Goldfiligran und Edelsteine die Monstranz, das Allerheiligste und Unbegreiflichste.

      Ein sich selbst gebender Gott. Der mein Herz erfüllte, mein ganzes Sein bewegte, der rief, mich rief: Komm! Ja, genau DICH meine ich!

      Das ergriff mich zutiefst. Ewig wollte ich in dieser Kapelle bleiben; die Stunden in ihr sind sicherlich zum Fundament meines ganzen Seins geworden. Ich schaute - und wurde angeschaut. Ich war gemeint.

      Nun ja, ich kann mir vorstellen, dass sich nun bestimmt einige Herzen vor Peinlichkeit zusammengezogen haben, die eine oder andere Augenbraue hochgezogen wurde, meine Geschichte nun mit spitzen Fingern in den Händen gehalten wird – denn, nun ja, jede Religiosität erscheint heute prinzipiell irgendwie als verdächtig und jede Beschreibung spiritueller Erfahrungen als obskur, aber so ist es eben: Wenn ein Priester seine Erlebnisse erzählt, muss davon die Rede sein!

      VI.

      In den Semesterferien des ersten Sommers fuhr ich allein nach Hiddensee. Ich sehnte mich nach dem Meer und hielt es im Inneren des Landes nicht mehr aus. Ich lief den Sandstrand entlang, mit den Füßen in den Wellen, wollte zum Horizont am Ende der Insel gelangen.

      Dann lag ich nackt in den Dünen und blickte in von Strandhafer umkränzte Himmelsausschnitte. Ich aß nach Sommer duftende, überreife Pfirsiche. Ihr Saft lief mein Kinn herab, über Hals, Schlüsselbein und Brust, tropfte auf die Seiten meines Buches, von dem ich nicht einmal eine halbe Seite gelesen hatte; überall schienen Sand und Wind und Pfirsichsaft zu sein und ich wurde erregt wie noch nie in meinem Leben. Ich vergrub die Kerne im Sand und musste über die Vorstellung lachen, dass eines Tages in den Dünen Pfirsichbäume mit salzigen Früchten sprießen würden.

      Dann sprang ich die Dünen herab und rannte windumtost und nackt - mich kennt hier ja keiner, so dachte ich - in die sich brechenden Wellen des Meeres. Die Gischt spritzte auf und ich ließ mich von der Brandung umgarnen. Das Meer und ich. Es fühlte sich so natürlich an, so vertraut, es drückte sich an mich und wollte meine Nähe, zog sich aber sofort wieder zurück, und es perlte an mir und um mich herum und durch mich hindurch, es erfrischte, trieb, heilte, erhob und überspülte mich und ich überließ mich seinem Tun; seine Wellen machten mich süchtig nach ihrer Berührung und nach ihrer Nähe, ich kam im Meer.

      Gereinigt und gesalzen tauchte ich aus dem Wasser auf, schwebte ans Ufer wie ein Phönix aus der Asche – und stand unversehens vor Herrn Gundlach, dem milchigen Vorsitzenden des Kirchenvorstands aus meinem Heimatort, und seiner immer leicht vertrocknet dreinschauenden Ehegattin. Beide in identische Windjacken gehüllt und mit je einem Regenschirm bewaffnet.

      Es folgte ein äußerst gezwungenes Gespräch, in welcher Ortschaft man denn wohnen würde – gefolgt von gepressten Ausrufen in »Oh« und »Ah« für die Natur und die Aussicht (womit in beiden Fällen bestimmt nicht ich gemeint war) und – endlich – einem erlösenden »Na, dann noch gute Erholung für Sie.«

      Ich ging zurück in die Dünen, zog mir Turnschuhe und Shorts an und lief am Meer entlang bis die Sonne unterging. Ich lief gegen den Wind und spürte keine Erschöpfung – bis ich mich umdrehte. Da fühlte ich mich getragen. Und ausgelaugt.

      VII.

      Funktioniert habe ich an dem Tag, an dem ich deinen Brief bekam. Ich hatte ihn in die Innentasche meines Jacketts gesteckt, ich wollte dich an meinem Herzen wissen, ich trug dich wie ein Schild mit mir herum.

      Regen prasselte auf die Blätter der alten Bäume im Pfarrgarten und nasse Klammheit hatte sich auf die steilen Straßen rund um das Pfarrhaus gelegt. Die Erde schien sich mit feuchtem Dampf verhüllen zu wollen, nur noch transpirieren zu können.

      Ich unterrichtete an der Grundschule, verbrannte mir den Mund an heißem Kaffee und musste im Klassenzimmer die grellen Neonröhren anschalten. Eine Stunde, zwei Stunden, an die Themen kann ich mich nicht mehr erinnern, die Kinder höchstwahrscheinlich auch nicht. In der dritten Stunde konnte ich mich nicht mehr konzentrieren und ließ einen Test schreiben. Früher habe ich meine Lehrer für so etwas gehasst.

      Und immer dein Brief bei mir, an mir. Es machte mich wuschig, ihn zu spüren, sogar euphorisch - irgendwann hatte ich das irrige Gefühl, zu unserer Segnung zu fahren, zu deiner und meiner, ich wusste, ich verlor den Boden unter den Füßen, musste mich zur Vernunft rufen: Ich – bin - nur - als - Gast – eingeladen! Und das hatte etwas Sadistisches, was ich aber nicht wahrhaben wollte, was ich nicht ertragen konnte, denn ich würde mir das anschauen, was ich selbst versäumt hatte. Ich wusste genau, ich hatte etwas anderes, wunderbares gewählt und bekommen – und dennoch ...

      Wenn man vor einer Weggabelung steht und die Kluft betrachtet, die sich vor einem aufgetan hat, zwei miteinander unvereinbare Lebensentwürfe, die man jedoch, aus tiefstem Herzen sehnend, ineinander verschmolzen zu sehen wünscht und sich dann entscheidet, entscheiden muss, entweder gegen das Herz oder gegen den Herrn ... schlussendlich aber gegen beides, weil keine andere Möglichkeiten gelassen werden ...

      Immer wieder wird behauptet, wir Priester entschieden uns doch freiwillig für den Zölibat, für diese Art zu leben; schließlich würde niemand gezwungen, Priester zu werden.

      Doch wenn man von Gott zum Priesteramt berufen ist, diese Sehnsucht, dieses nie verstummende Rufen im Herzen verspürt und wenn man aus dieser Berufung heraus leben will, zu leben hat – dann kann man nicht anders.

      Man muss Priester werden.

      Und hofft, glaubt, meint, mit dieser von der Kirche auferlegten Aufgabe umgehen und fertig werden zu können. Sie lieben zu lernen, wie es gelehrt und zuweilen auch vorgelebt wird.

      Man verstehe mich nicht falsch – ich glaube, der Zölibat kann für viele Menschen eine Erfüllung sein, er ist es de facto auch. Aber eben nicht für alle, und somit auch nicht für alle Priester.

      Und dabei hatte der Tag wie jeder andere begonnen, nichts darauf hingedeutet, dass seine Wellen besonders hoch an meine Küsten schlagen würden.

      VIII.

      Als ich von Hiddensee zurückkehrte, geriet ich bei Hamburg