große Schlachten auf der Erde stattgefunden und selbst, als sie mit einem improvisierten Raumschiff zum Mars geflogen waren, hatten die Menschen versucht, sie zu vernichten und ihrer Technologie habhaft zu werden. Nun jedoch waren sie völlig außer Reichweite der Menschen. Die Erde befand sich über einhundert Lichtjahre von ihrer neuen Heimat entfernt. Da er den alten König Levitas in sich trug und über nahezu all seine Erinnerungen und sein gesamtes Wissen verfügte, war Craibian nun der Anführer ihres Volkes. Zusammen mit dem Rat entschied er, was zu tun sei. Craibian schreckte aus seinen Gedanken auf. Die Priesterin hatte eine Weile lang zu ihnen gesprochen und war nun fertig. Die Zeremonie war beendet. Jetzt strömten die Atlantae aus dem Tempel. Dieser war eigentlich eher ein Platz als ein Gebäude. Der Boden war mit Steinfliesen belegt, in die kunstvolle Reliefs eingearbeitet worden waren und rund um den Platz ragten acht Säulen einige Meter in den Himmel. Jede in einer anderen Farbe und jede mit einem enormen Edelstein auf der Spitze. Jede Säule stand für eines der magischen Elemente und die Edelsteine sollten zeigen, wie wertvoll die Magie für sie war. Die Edelsteine waren natürlich mit Magie hergestellt worden. So große und reine Steine hätte man wohl nirgends auf Atlantis gefunden. Atlantis, so hatten sie ihre neue Welt getauft. Das alte Atlantis war nicht mehr, also hatten sie nun ein neues gegründet. Es hatte Wochen gedauert, bis sie die ersten Teams auf die Oberfläche hatten schicken können. Der Planet war zu zwei Dritteln von einem gewaltigen Wald überwuchert, dessen Bäume teilweise bis zu einem Kilometer in den Himmel ragten. Größere Landtiere gab es nicht, aber unzählige Wasserlebewesen und andere Lebensformen, die den Insekten und kleineren Säugetieren der Erde sehr ähnlich waren. Die waren nicht das Problem gewesen, vielmehr die wirklich kleinen Lebensformen. Die Bakterien, Viren und Pilze dieses Planten hatten ihnen ziemlich zu schaffen gemacht. Das atlantische Immunsystem war sehr stark, aber dennoch wäre es mit Hunderten unbekannten Erregern völlig überfordert gewesen. Sie hatten in Schutzanzügen zur Oberfläche fliegen und etliche Bioproben nehmen müssen, damit daraus Impfstoffe für alle Atlantae repliziert werden konnten. Erst nachdem ihr Immunsystem damit auf die neuen Erreger vorbereitet worden war, hatte Craibian die ersten Erkundungstrupps entsandt, die die Oberfläche des Planeten erforschen und einen geeigneten Platz suchen sollten, wo dann ihre neue Hauptstadt entstehen würde. Letztendlich hatten sie sich für ein Plateau auf dem größten Kontinent der nördlichen Hemisphäre entschieden. Hier waren die Bäume nicht ganz so groß gewesen und sie hatten einen Landeplatz freiräumen können. Auf dieser Lichtung waren von da an ständig Shuttles gelandet und hatten Ausrüstung und Atlantae auf den Planeten gebracht. Am Anfang waren sie noch sehr auf ihre Magie angewiesen gewesen, bevor die ersten Droiden sie unterstützt hatten. Zum Glück war das Magiefeld auf Atlantis sehr stark. Es war zwar um einiges schwächer als auf der Erde, aber im Vergleich zum Mars war es immer noch gewaltig. Arieanas Theorie, dass die Stärke des Magiefeldes von den Lebewesen in der Umgebung abhängig sei, schien sich damit zu bestätigen. Doch anscheinend war nicht jedes Lebewesen gleichwertig für die Magie. Obwohl es auf Atlantis um ein Vielfaches mehr Bäume und Pflanzen gab als auf der Erde, blieb das Magiefeld hier trotzdem hinter dem der Erde zurück. Für alle Atlantae war es eine Wohltat gewesen, nach dem schwachen Feld des Mars, in dem sie über ein Jahr gelebt hatten, wieder die Stärke und Kraft eines starken Magiestroms zu spüren. In gewisser Weise waren sie alle vom Magiefeld abhängig. Sie konnten zwar ohne es existieren und sogar schwache Zauber wirken, aber mit dem Feld trat ihre wahre Stärke hervor. Ein magiekundiger Atlantae im Einklang mit einem starken Feld war mächtiger als hundert Menschen zusammen, und diese Kraft hatten sie auch gebraucht, um ihre Basis auszubauen und zu erweitern. Sei es, um Bäume nach ihrem Willen wachsen zu lassen, Schneisen zu schlagen oder Stein und Metall zu formen. Nach und nach waren so zuerst kleine Werkstätten und tiefe Minen entstanden, um Rohstoffe für die geplante Stadt zu fördern und zu verarbeiten. Nach Craibians Anweisung durfte nur minimal in die Natur eingegriffen werden, doch ganz ließ es sich nun mal nicht vermeiden. Die Stadt, die nun am Entstehen war, unterteilte sich in mehrere Abschnitte. Unten am Fuße der gewaltigen Bäume standen die massiven Bauten. Fertigungsstätten, Erzraffinationsanlagen, Energiespeicher und Gewächshäuser. Sie hatten hier und da einen Baum fällen müssen, damit genug Licht bis nach ganz unten kam, aber die meisten der wirklich großen Riesen standen noch. Sie trugen die restlichen Ebenen der Stadt. Mit Lebensmagie und den Baustoffen, die sie zur Verfügung hatten, entstand zwischen den Bäumen ein Netzwerk aus Brücken und Häusern. In einigen Bäumen waren Turbolifts integriert worden, die einen in wenigen Sekunden vom Boden bis zur höchsten Ebene in achthundert Metern Höhe brachten. Die Bäume selbst waren mithilfe von Nanotechnologie verstärkt worden. Tausende mikroskopisch kleine Ketten aus kohlenstoffbasierten Röhrchen zogen sich durch die Stämme und Äste und die Bäume konnten dadurch die immense Last der Stadt tragen und sogar noch weiterwachsen. Auf der obersten Ebene befanden sich ihre Energieerzeugungsanlagen. Zwischen den Stämmen der Riesenbäume hatten sie mehrere Hundert Windturbinen montiert, die die starken Winde auf dem Planeten in Strom verwandelten. Die Energie reichte zwar noch nicht vollkommen aus, um die ganze Stadt und alle Anlagen zu versorgen, aber es kamen immer wieder neue Windräder dazu. Die fehlende Energie bezogen sie im Moment noch von ihrem Landeplatz. Dort stand ein Erkunder der Hermes-Klasse. Die Hermes-Klasse war das kleinste Schiffsmodell ihrer Flotte, das noch über einen eigenen Nuklearreaktor verfügte, und dieser versorgte nun nicht mehr das Schiff, sondern die Stadt mit Strom. Sie holten sich nach und nach alles, was ihr Volk brauchte, um zu wachsen und zu gedeihen. Ressourcen, Energie und Lebensraum. Und ihr Volk wuchs bereits.
„Und sonst gibt es keine Beschwerden?“
„Nein, sie tritt nur in letzter Zeit häufiger.“
„Ich glaube, sie merkt, dass sich etwas ändert“, meinte Arieana lächelnd. Filki, ihre Quartiermeisterin, war nun im sechsten Monat schwanger und das war in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes für alle Atlantae. Bei den alten Atlantae waren Kinder nur sehr selten gewesen, doch sie schienen etwas von der Fruchtbarkeit der Menschen mitgenommen zu haben. Filki war die Erste der neuen Atlantae, die ein Kind gebären würde. Körperlich gesehen war sie erst neunzehn Jahre alt und würde damit eine relativ junge Mutter werden, erst recht nach atlantischen Maßstäben, da Atlantae nicht alterten und damit quasi ewig lebten. Bei den alten Atlantae waren die meisten Frauen über einhundert Jahre alt gewesen, bevor sie Mutter geworden waren. Das hatte natürlich auch mit ihrer Unfruchtbarkeit zusammengehangen, aber auch damit, dass es über fünfzig Jahre gedauert hatte, bis ein Atlantae ausgewachsen gewesen war. Von den jetzigen Atlantae war keiner über 25 Jahre alt. Keiner hier hatte viel Erfahrung mit Kindern, aber zum Glück hatten viele von ihnen die Erfahrung der alten Atlantae, die fast ein Fünftel von ihnen in sich trug.
Ihre Gesellschaft teilte sich in zwei Teile. Die Atlantae der ersten Generation waren die Ersten gewesen, die Craibian rekrutiert hatte. Sie trugen die Geister der alten Atlantae in sich und waren durch ihr Wissen und ihre Erfahrung weitaus reifer, als ihr körperliches Alter vermuten ließ. Die Atlantae der zweiten Generation hingegen hatten nur eine KI in ihren Interfacekernen gehabt, die ihnen zwar Wissen vermitteln konnte, aber nicht mehr. Von ihnen gab es fünfmal mehr als von den ersten Atlantae. Was sie verband, war, dass sie alle einmal Menschen gewesen waren. Filkis Kind hingegen würde die erste Atlantin seit Langem sein, die als solche geboren werden würde. Niemand von ihnen konnte voraussagen, was sie erwarten würde. Würde sie von Anfang an die körperliche Stärke der Atlantae besitzen? Wann würde sie Zugriff auf die Magie bekommen? Wie schnell würde sie wachsen? Alles Fragen, die noch niemand beantworten konnte.
Arieana war eine der wenigen Lebensmagierinnen der Atlantae. Als solche war sie im Moment rund um die Uhr beschäftigt. Zum einen war sie als Heilerin tätig, auch wenn ihre Schülerin Elanie das immer mehr übernahm, und zum anderen half sie beim Aufbau der Stadt. Lebensmagier konnten alles was lebte beeinflussen, und durch ihre Magie konnten sie die Bäume nach ihrem Wunsch wachsen lassen. Den Job als Heilerin hoffte sie irgendwann komplett abgeben zu können. Jetzt, da die Kämpfe zu Ende waren, würde ihr Volk auch nicht mehr so viele Heiler benötigen. Ihre Physiologie war so robust, dass es schon einiges benötigte, bis ein Heiler notwendig wurde. Eigentlich betreute sie im Moment nur noch Filki in ihrer Schwangerschaft und wenn das Kind geboren war, würde sie sich komplett dem Erschaffen von lebenden Häusern widmen. Dem und natürlich ihrem eigentlichem Fachgebiet. Die Atlantin, die Arieana in sich trug, hatte vor dem Untergang von Atlantis eine Möglichkeit entwickelt, wie die den Atlantae angeborene Magie auch in gewissem Maße von Maschinen genutzt werden konnte