Название | JENSEITS VON OSCHERSLEBEN |
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Автор произведения | Jürgen Böttcher |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962298449 |
Mit ruhigen Schritten ging er auf den Eingang von dm zu, er ließ sich von den Pöbeleien der wartenden Menschen nicht beirren, ging an ihnen vorbei in den Laden. Dort ging er direkt zum Filialleiter und bewarb sich als Packer.
Der Filialleiter stellte ihn sofort ein, Murat sollte noch am selben Tag anfangen, er wurde zuständig, Toilettenpapier und Küchentücher nachzulegen. Er war jetzt so wertvoll wie ein rumänischer Erntehelfer, Murat wurde an diesem Tag systemrelevant.
Fortan hatte er gegen Mittag Feierabend, trotzdem verdiente er nun ungleich mehr als mit seinem Imbiss.
Murat dachte, Manni wäre jetzt bestimmt stolz auf ihn.
Derweil wurde die Lage draußen immer angespannter.
Vor den Regalen stießen die Menschen sich zur Seite, man kaufte jetzt nicht mehr nur Toilettenpapier auf Vorrat, sondern auch Nudeln und Eintopf aus der Büchse, selbst aus dem Korb vor der Kasse wurde gestohlen.
Die Rufe nach Rosinenbombern wurden laut, war das nicht damals eine Erfolgsgeschichte? Heute wollte aber jeder seinen eigenen Rosinenbomber, aber auch das konnte dieser Staat wieder nicht leisten. Das Land bekam tiefe Risse, es war fast unmenschlich, hier zu leben.
Nicht einmal eine defekte Glühbirne konnte das Innenministerium wechseln, alles sollte man selbst machen, die Zeit für die Ränder schien endgültig gekommen.
Bonsaihitler Höcke wollte jetzt die Feinde ausschwitzen, wen immer er damit auch meinte.
Als Murat das hörte und die Menschen in seinem Laden sah, dachte er, ohne den ganzen Tag in der Sauna zu sitzen, wird er das nicht schaffen. Der kleine Polithobbit Gysi war der Meinung, die Hamsterkäufe sind wegen des Neoliberalismus entstanden.
Murat konnte mit diesem Begriff nichts anfangen, er wusste aber von Manni, dass schon in der sowjetischen Besatzungszone Hamsterkäufe als Verpflichtung wahrgenommen wurden, gleichwohl die Möglichkeiten dazu wohl sehr begrenzt waren. Manni nannte dieses System immer Planwirtschaft. Vielleicht meinte Gysi neoliberale Planwirtschaft und hatte sich nur versprochen. Eigentlich glaubte er weder an das Ausschwitzen noch an den Neoliberalismus als Gründe, aber er konnte sich gut einschätzen und ihm war klar, seine Lernkurve war flach, vielleicht verstand er es einfach nicht.
Mit der Zeit wurden dann die Ränder still, sie hatten keine Antworten, sie hatten nicht einmal Fragen.
Murat packte weiter die Regale voll und dachte.
Die Dinge sind, wie sie sind und die Menschen auch, sie scheitern immer an ihren Erwartungen. Er war sogar ein bisschen stolz auf seine Gedanken, von Manni lernen heißt eben doch siegen lernen. Nach ein paar Wochen bei dm bekam Murat Rückenschmerzen, er war trotzdem zufrieden.
Die Kunden in seiner Filiale hatten keine Rückenschmerzen, sie waren trotzdem nicht zufrieden. Irgendwie schien Murat aus der Zeit gefallen.
Murat blieb auch weiter zufrieden bei seiner Arbeit, er war nun schon routiniert und konnte auch beim Auspacken die Kunden beobachten, wie sie mit verzerrten Gesichtern Lagerhaltung betrieben, sie sahen ein bisschen wie Jäger aus.
Immer öfter dachte er über die Welt und das Leben nach. Eine Zeit lang blieben die Gedanken diffus, doch dann traf es ihn wie ein Blitz. Einer Katharsis gleich stand plötzlich diese eine Frage vor ihm, was macht den Unterschied zwischen einem Herrn Müller und einem Schäferhund aus. Oft war er nah dran, aber er konnte die Antwort nicht greifen, er kam nicht darauf.
Dann sah er eines Tages seinen Nachbarn, vollbepackt mit viereckigen Paketen, mit seinem Hund aus einer Drogerie kommen.
Da plötzlich sah er den Unterschied zwischen Mensch und Tier, ES WAR DAS KLOPAPIER und vielleicht noch ein paar Nudeln.
Kapitel 3 - Corona-Döner Bonds
Murat dachte, alles wird immer so weitergehen, einfache Arbeiten, sicheres Einkommen, was will man mehr. Dann hatte er noch den Unterschied zwischen Mensch und Tier herausgearbeitet. Die Welt schien in Ordnung, man fuhr auf Sicht und hatte Übersicht. Er hatte sich geirrt.
Immer öfter musste er an seinen Laden denken, auch wenn der Erfolg ausgeblieben war, gerade im März.
dm blieb dm, aber der Laden war sein Laden. Alles war vertraut, Heimat eben. Dann redeten die Leute immer öfter über Soforthilfe. Murat bekam schnell heraus, auf ihn traf Soforthilfe II zu.
Er musste handeln, die erste Antragswelle war schon durch, keiner wusste, wie lange das Geld noch reichen würde. Der Server für die Antragstellung erlitt eine innere Blutung, es schien fast schlimmer als das Virus. Der Handel wurde ausgesetzt, es fühlte sich an wie ein Wettlauf gegen Apollo 13.
Murat erfasste die Panik mit kalter Hand. Er hatte fast nie Steuern gezahlt, aber auch noch nie etwas vom Staat genommen, so wurde er erzogen.
Damit war er so etwas wie der weiße Fleck der Pandemie, unschuldig und antragsberechtigt.
Gleich nach Ostern fuhr er zweigleisig, er öffnete seinen Laden wieder und verkaufte to go. Vormittags war er im Laden, nachmittags bei dm. Am zweiten Tag nach Ostern beantragte er Soforthilfe II, insgeheim nannte er sie Dönerbonds.
Beim Ausfüllen des Antrags ließ er sich von seinem Nachbarn aus dem Telefonshop helfen, der bestätigte ihm auch, es gab keine Geld-zurück-Garantie, es war ein Geschenk von Peter Altmaier.
Vor ihm in der Warteschlange waren 48.152 Antragsteller. Murat stellte sich auf einen langen Kampf ein, doch 3 Tage später hatte er das Geld.
Er ging zu seinem Bruder Memet und sagte, „ich habe von der Bundesrepublik 9.000 € geschenkt bekommen, wenn Manni das noch erleben könnte!
Ich kann jetzt wieder planen, vielleicht ist das die Planwirtschaft von der Manni immer sprach!?“ Memet erwiderte, „Du hast Dir zu lange bei dm den Rücken krumm gemacht. Ich habe 2 Wochen früher beantragt und 14.000,-€ bekommen.“
Murat schaute traurig und fragte Memet: „Warum hast Du mehr bekommen, konnte man mit Payback-Punkten arbeiten?“
„Ich habe mich nicht gleich nach Klopapier angestellt, sondern nach Geld, Klopapier wird es bald wieder überall geben, Geld umsonst nicht“, antwortete Memet.
Murat verstand, die flache Lernkurve war schon immer sein Verhängnis, außerdem wäre ihm ein so hoher Betrag auch peinlich gewesen.
Kurz darauf durften Geschäfte wieder öffnen, die nicht systemrelevant waren. Mit dem Geld von Herrn Altmaier im Rücken und dem anlaufenden Freihandel wähnte Murat sich auf dem Sonnendeck des Lebens. Jetzt war er der Meister der Pandemie, Murat hatte geschafft, wovon im Fernsehen immer gesprochen wurde. Er war vor die Welle gekommen, dachte er.
Die Menschen aus seiner Umgebung sahen die Welle noch vor sich, nein, mehr einen Berg. Sie gingen kaum in die geöffneten Geschäfte, die Sachen, die man hatte, waren noch gut, warum neue kaufen!? Trotzig kündigte Murat bei dm, um sich ganztags auf sein Geschäft zu konzentrieren.
Die Leute nahmen davon keine Notiz, sie gingen nicht mehr auf der anderen Straßenseite an seinem Laden vorbei, sie gingen direkt an seinem Laden vorbei. Kaum einer blieb stehen.
Mitte Mai hatte Murat noch 4.580 € von Herrn Altmaier, er machte sich Sorgen.
Aus Angst, die Geschäfte könnten wieder schließen, kaufte sich Murat warme Sachen für den Winter und ein gutes Fahrrad, damit würde er unabhängig sein, zu allen Jahreszeiten.
Er hatte jetzt noch 2.610 € von Herrn Altmaier. Sein Bruder Memet meinte: „Die Konjunktur muss wieder anziehen, sonst fangen die Leute an zu plündern, danach kommt der Bürgerkrieg.“
Murat dachte, dann würde er eine Waffe brauchen, er befürchtete, dafür würde er von Herrn Altmeier nichts bekommen. Dann vielleicht doch Italien, dort sollte ein Rettungsschirm gespannt werden. Dafür wurde