Seewölfe - Piraten der Weltmeere 94. Fred McMason

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Название Seewölfe - Piraten der Weltmeere 94
Автор произведения Fred McMason
Жанр Языкознание
Серия Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783954394180



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eine halbe Stunde kann eine verdammt lange Zeit sein.“

      Auch der alte Schmied von Arwenack zog ein besorgtes Gesicht. Sein gewaltiger Brustkasten wölbte sich unter einem tiefen Atemzug, bis ihm die Jacke zu platzen drohte.

      „Ganz sicher kehren sie gleich zurück“, beruhigte er sich selbst. Er starrte aus zusammengekniffenen Augen hinüber und versuchte dabei gleichzeitig, die Geschwindigkeit der „Isabella“ ungefähr zu schätzen, die rascher durch das Wasser glitt, als er gedacht hatte.

      Blieben sie wirklich eine halbe Stunde lang weg, so überlegte er, wurde es schwierig, das Schiff einzuholen. Hinzu kamen die verdammten Eisberge, die so überraschend auftauchten, als hätte das Meer sie ausgespien. Denn was sich vormals als Barriere am fernen Horizont dargestellt hatte, war in Wirklichkeit eine ganze Formation dieser Blöcke, die scheinbar wahllos und wild durch die See trieben.

      „Wir sollten die Sturmsegel backbrassen und danach auf Gegenkurs gehen“, schlug Big Old Shane vor, sah dann aber gleichzeitig ein, daß das kaum möglich war, denn ziemlich achtern erhob sich ein großer Berg im Wasser, der so aussah, als würde er jeden Moment in der See kentern, so bedrohlich schwankte er.

      Auch an Back- und Steuerbord erschienen diese Dinger jetzt in großer Anzahl. Kleine wechselten mit großen ab, dazwischen lagen die Eisteppiche, die sich auf der Oberfläche gebildet hatten.

      Ben griff hart ins Ruder, um einem blauweißen Berg auszuweichen, der ihnen beharrlich entgegentrieb.

      Das Manövrieren begann schwierig zu werden.

      Es wurde mit jeder Minute, die verging, zu einer ausgesprochenen Gefahr, denn sie hatten gesehen, wie stark dieses Eis war.

      Wenn ein Schiff mit diesen Eisgiganten kollidierte, zerbarst es zu einem wüsten Trümmerhaufen, ohne daß dem Eisberg auch nur das geringste geschah.

      Die „Isabella“ verließ daher ihren Kurs und lief in einer anderen Richtung davon, ohne daß die Männer den Kompaßkurs feststellen konnten. Sie wußten nicht, ob sie nach Norden, Süden, Westen oder Osten segelten.

      Es war eine verteufelte Situation, diese Fahrt ins Ungewisse.

      Langsam trieben sie an dem Eisberg, auf dem die vier Männer sich befanden, vorbei. Sie sahen einen Teil der anderen Seite, der glatt und unbesteigbar war und oben einen großen Buckel aufwies, während der Grat der Vorderseite an eine gewaltige Säge erinnerte.

      Fast die Hälfte des Sandes war jetzt in dem Glas durchgelaufen, an dem sich die Blicke festsaugten.

      „Jetzt wird es aber allmählich Zeit“, sagte Ben besorgt, als nur noch ein kleiner Rest in dem Glas stand.

      Smoky blickte durch das Spektiv, aber vor die „Insel“ hatte sich ein anderer Eisberg geschoben, und von Backbord trieb ein weitaus größerer heran, der alles ihren Blicken entzog.

      Brighton wurde immer unruhiger. Mit den Fingerspitzen trommelte er auf das große Ruderrad.

      „Verdammt, wir können doch nicht wenden“, sagte er ärgerlich, „sehen die Burschen das denn nicht! Wir lavieren uns durch diese lausigen Eisklötze schon mühsam genug hindurch. Jeden Augenblick stoßen wir mit einem zusammen, wenn wir nicht aufpassen.“

      Sie hatten die betrübliche Erfahrung bereits gemacht, daß die treibenden Berge unter Wasser riesige vorgelagerte Eisfelder vor sich herschoben. Man mußte ihnen schon ausweichen, wenn sie noch weit entfernt waren, um den tückischen Unterwasserriffen zu entgehen, die so scharf wie Korallen waren.

      Immer weiter entfernten sie sich. Ben wollte zuerst die Segel wegnehmen lassen und vor Topp und Takel weitertreiben, doch auch das erwies sich als unmöglich. Das Ruder hatte dann zu wenig Druck, das Schiff gehorchte dem Steuer nicht mehr und konnte mit einem dieser immer größer werdenden Giganten kollidieren.

      Passierte das, dann war es aus mit der Seefahrt und zwar endgültig.

      „Übernimm das Steuer, Shane“, sagte er zu dem Schmied.

      „Was hast du vor?“

      „Ich werde einen der Brandsätze auf diesen Eisberg abfeuern. Das Signal müssen sie sehen, vielleicht treffe ich den Eisblock an der richtigen Stelle. Dann wird es auf dem Eis in allen Farben anfangen zu brennen, und dann werden diese Burschen auch kapieren, daß es höchste Zeit ist, an Bord zurückzukehren.“

      Während Ben in Hasards Kammer ging und schnell den Affen Arwenack und den Papagei Sir John fütterte, wich Big Old Shane einem weiteren Eisberg aus und lief noch mehr nach Steuerbord ab. Zum Glück war die See ruhiger geworden, aber dafür begann er langsam an seinem eigenen Verstand zu zweifeln.

      Der Teufel mochte wissen, woher die vielen Eisberge kamen, die man kaum noch voneinander unterscheiden konnte. Und wo war jener jetzt geblieben, auf dem die vier Männer sich befanden?

      War es der achteraus liegende an Backbord oder der zweite — oder sogar der kleine mit dem runden Bukkel?

      Shane trat aus dem Ruderhaus und winkte Dan zu, der wieder in den Großmars aufgeentert war.

      „Siehst du das Ding noch, Dan?“ brüllte er hinauf.

      Dan O’Flynn streckte seinen Schädel durch die Segeltuchverkleidung und blickte an Deck. Aus dieser gewaltigen Höhe sah Shane wie ein Zwerg aus, der aufgeregt mit den Armen fuchtelte.

      „Es wird immer diesiger!“ brüllte er zurück. „Ganz hinten beginnt es zu schneien. Ich kann diese lausigen Eisklötze nicht mehr voneinander unterscheiden!“

      „Achte auf schwarze Punkte“, rief Shane enttäuscht. „Das Boot wird jeden Augenblick dasein.“

      „Verstanden, Big!“

      Ben Brighton erschien mit dem Brandsatz an Deck und blickte sich verwirrt um.

      Himmel! Das gab es doch gar nicht, dachte er bestürzt. Die treibenden Giganten sahen sich alle ähnlich, aber das lag vermutlich an diesem miesen Himmel, durch den keine Sonne schien.

      Hastig beriet er sich mit Big Shane, doch der war genauso ratlos wie die anderen auch. Sie hatten jegliche Orientierung verloren und fanden sich nicht mehr zurecht.

      „Der dort achtern muß es sein“, behauptete Ben.

      Niemand widersprach, weil es niemand besser wußte. Also einigte man sich auf „den dort achtern“.

      Der Brandsatz wurde ausgerichtet und angezündet. Mit dem üblichen Gekreische und Gejaul flog er funkenstiebend davon, bis er hoch über dem Eisberg in der Luft zerplatzte. Eine riesige Traube grüner und roter Blüten ergoß sich über den Berg. Die roten tanzten auf dem Eis und begannen grell zu lohen, schmolzen Löcher in das Eis und brannten noch eine ganze Weile, während die grünen in sich selbst zerplatzten und einen Feuerregen nach allen Seiten verteilten.

      Erst allmählich erlosch das. Feuer, das hier keine Nahrung fand.

      Eine Zeitlang warteten die Männer schweigend ab, ob etwas geschah. Doch es rührte sich nichts. Stumm und bedrohlich lag die Welt aus Eis vor ihnen, sie verriet nicht, wo sich noch Leben verborgen hatte.

      „Scheiße“, sagte der alte O’Flynn wütend und stampfte mit dem Holzbein auf.

      Er sprach den anderen aus der Seele, denn genau dieses Wort hatten sie alle augenblicklich bereit.

      „Das war der falsche Eisberg“, sagte Luke Morgan. „Aber das grelle Licht müssen sie trotzdem gesehen haben.“

      „Wenn sie in die Grotte gestiegen sind, haben sie es ganz sicher nicht gesehen. So stark leuchtet es jetzt auch wieder nicht.“

      Ben feuerte nach einer Weile den nächsten Brandsatz ab.

      Ein Erfolg trat nicht ein, wieder erfolgte keine Antwort, kein Zeichen, daß man ihn bemerkt hatte.

      Zu allem Überfluß trat gleich darauf das ein, was Dan schon vorhin aus dem Großmars gemeldet hatte. Die weiße Bank am Horizont rückte näher, und etwas später schüttete sie riesige weiße Flocken über die „Isabella“,