Seewölfe - Piraten der Weltmeere 607. Burt Frederick

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Название Seewölfe - Piraten der Weltmeere 607
Автор произведения Burt Frederick
Жанр Языкознание
Серия Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783966880213



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die Gassen.

      Anthony Armstrong stimmte sein Lied an.

      „Er war ein ra – ha – ben – schwa – ha – rzer Hund!“ Er synkopierte die darauffolgenden Akkorde mit grellem Klang, und die in der Schenke Verbliebenen klatschten begeistert. Es gab jetzt niemanden mehr, der den Lautenspieler unterbrochen hätte.

      „Seine Seele, die war ein Abgrund!“

       2.

      Luke Morgan und Roger Brighton legten in ihrem gemächlichen Rundgang über das Hauptdeck eine Pause ein. Wie auf ein nicht ausgesprochenes Kommando schoben beide ihre Unterarme auf die Backbord-Verschanzung und blickten über die Themse.

      Die Schebecke lag nach wie vor an der Towerpier, und die Männer der nächtlichen Deckswachen waren längst mit dem Bild vertraut, das die Stadt bei Dunkelheit bot.

      Auf dem schwarzen Wasser des Flusses erzeugten die Lampen der Tower Bridge Reflexe, die wie tanzende kleine Irrlichter aussahen. Die Häuser Londons waren kantige Schatten, die sich vor der Helligkeit weniger Lampen und Fackeln in Stangenkörben nur verschwommen abzeichneten.

      „Nach allem, was man so gesehen hat“, murmelte Luke nach einer Weile, „ist es eher schlechter geworden.“

      „Von was redest du?“ fragte Roger, der Bruder des Ersten Offiziers.

      „Von London. Oder besser: vom Leben in London.“

      „Wie sollte es besser werden? Immer mehr Leute verlassen die ländlichen Gebiete, weil sie von den Lords doch nur geknechtet werden und nicht genug zu beißen haben. Was bleibt ihnen? Sie suchen Zuflucht in London, weil irgendein Schwachkopf ihnen erzählt hat, es gäbe hier Arbeit und Brot. Und wenn sie nach fürchterlichen Strapazen dann endlich hier sind, müssen sie feststellen, daß es ihnen noch verdammt viel schlechter als unter der Tyrannei ihres Landlords geht. Es gibt keine Arbeit, und in den Unterkünften werden sie für teures Geld zusammengepfercht wie Vieh.“

      „Stimmt.“ Luke, der einst aus der englischen Armee desertiert war, nickte. „Es brauchen dann nur noch Seuchen auszubrechen, und sie sterben wie die Fliegen. Aber weißt du, was ich glaube?“

      „Was?“ Roger sah den kleinen dunkelblonden Mann an.

      „Ich glaube, die meisten, die herkommen, leben von der Hoffnung. Zum Beispiel von der, daß sie eine Passage in die Neue Welt ergattern. Daß man dazu aber eine Menge Geld zusammenkratzen muß, ist wohl den wenigsten bewußt.“

      Roger Brighton brummte zustimmend. „Ganz zu schweigen von den Kapitänen, die den armen Seelen das Fell über die Ohren ziehen. Ich kann mir vorstellen, daß manche drüben anlangen und an Hunger krepieren.“

      „Wenn es sie nicht schon während der Überfahrt erwischt hat“, sagte Luke. „Hast du mal davon gehört, wie es auf diesen Kähnen aussieht, wenn sie mit ihrer menschlichen Ladung über den Atlantik klüsen?“

      Roger wollte etwas entgegnen, aber ein Geräusch hielt ihn davon ab. Es hallte in den Gassen nach. Die beiden Männer drehten sich um. Erst bei näherem Hinhören war festzustellen, daß es sich um Schritte handelte, sehr schnelle Schritte.

      Luke und Roger liefen zur Backbordseite. Noch während sie die Verschanzung erreichten, sahen sie den hastenden Schatten. Er huschte durch den Lichtkreis eines Pechfeuers, das in einem doppelt mannshohen Stangenkorb an der Landseite der Pier brannte. Gleich darauf dröhnten weitere Schritte aus den nahen Gassen. Eine ganze Meute von Verfolgern schien dem Kerl im Nacken zu sitzen.

      Im nächsten Moment glaubten die beiden Deckswachen, ihren Augen nicht mehr trauen zu dürfen.

      Der Fliehende rannte haargenau auf sie zu. Noch bevor sie ihre Verblüffung überwunden hatten, war er bei ihnen an Bord. Sie schafften es eben noch, ihn an den Oberarmen zu packen und daran zu hindern, sich irgendwo an Deck zu verkriechen.

      Der Fremde ruckte und zerrte verzweifelt. Aber gegen den eisenharten Griff der Arwenacks konnte er nichts ausrichten.

      Bevor sie eine Frage stellen konnten, polterten die Verfolger mit harten Stiefelsohlen über die Planken der Pier.

      „Nein!“ kreischte der Zappelnde in panischem Entsetzen. „Laßt mich los! Laßt sie nicht an Bord! Sie schlagen mich! Sie bringen mich um! Sie zerstückeln mich mit ihren Messern!“

      Luke und Roger dachten nicht daran, den Kerl freizugeben. An Bord der Schebecke hatte er nichts verloren. Schließlich war der Dreimaster kein Zufluchtsort für alle möglichen Londoner Halunken, die sich in irgendeine Auseinandersetzung verstrickt hatten.

      Andererseits verbot das Gerechtigkeitsempfinden den beiden Männern, den Kreischenden einfach auf die Pier zurückzustoßen und ihn den Verfolgern auszuliefern. Es war immerhin nicht auszuschließen, daß man damit einem Verbrechen den Weg bereitete. Wer konnte wissen, ob dieser Bursche etwas ausgefressen hatte oder nicht?

      Auf der Pier gelangte der Pulk der Verfolger zum Stehen. Ungefähr zwanzig Männer waren es, die sich dem bläßlich aussehenden Kerl an die Fersen geheftet hatten. Ihr Anführer war ein riesenhafter Mann, ebenso ordentlich gekleidet wie alle anderen. Wie Galgenstricke sahen sie wahrhaftig nicht aus.

      „Ich bin Gregory Mulhollen“, sagte der Riese. „Wir verfolgen diesen Strolch, weil er eine Tracht Prügel verdient hat.“ In kurzen Sätzen schilderte er, was sich in der Schenke „Red Dragon“ zugetragen hatte.

      Luke Morgan und Roger Brighton nickten im Schein der Bordlaterne. Sie drehten Davenport zur Pier hin um, so daß er gezwungen war, Mulhollen und die anderen anzusehen. Er zitterte spürbar und stemmte sich gegen den harten Griff der beiden Männer. Aber gegen ihre Muskelkraft hatte er keine Chance.

      „Stimmt es, was Mister Mulhollen sagt?“ herrschte Luke ihn an.

      „Wenn es so ist, sollten wir ihn tatsächlich von Bord scheuchen“, sagte Roger Brighton zu seinem Gefährten.

      Davenport straffte seine Haltung und warf den Kopf in den Nacken.

      „Ich bin nicht ohne Grund auf dieses Schiff geflohen“, schnarrte er mit neu erwachendem Dünkel. „Ich bin Passagier dieses Schiffes. Durch Order der Königin!“

      Die Männer auf der Pier waren ebenso verblüfft wie Luke und Roger.

      „Fein“, sagte Luke schließlich. „Spielen wir ruhig weiter Märchenstunde. Ich bin der Kaiser von China. Wenn die Königin von England einen Passagier auf meinem Schiff unterbringen möchte, muß sie mich erst mal um eine Audienz bitten.“

      Mulhollen und die anderen lachten. Auch Roger Brighton grinste.

      „Ich habe nicht nötig, mit einfachem Decksvolk zu diskutieren“, sagte Davenport von oben herab. „Ich verlange, den Kapitän zu sprechen. Und zwar sofort. Als Passagier seines Schiffes genieße ich mindestens die Rechte eines Offiziers.“

      „Weißt du, was du genießt?“ brüllte Mulhollen. „Das Recht auf einen Tritt in den Hintern!“

      „Du sprichst mir aus der Seele, Mister Mulhollen“, sagte Luke Morgan.

      Roger Brighton zeigte Anstalten, mit dem linken Fuß auszuholen und tatsächlich zuzutreten.

      Davenport zuckte zusammen und bog sich in der Körpermitte entsetzt vor, um dem Tritt auszuweichen. Die Männer auf der Pier grölten Beifall. Roger trat jedoch nicht zu.

      „Ich verbitte mir solche Unverschämtheiten“, zischte der Hochwohlgeborene. „Ich verlange, losgelassen zu werden und den Kapitän zu sprechen. Auf der Stelle! Eure Strafe wird empfindlich ausfallen, wenn ihr nicht gehorcht.“

      Luke und Roger wechselten einen Blick und konnten nur ungläubig den Kopf schütteln. Sie hatten ja nun schon einige Erfahrung mit jener Sorte Adliger, die sich durch besonders hirnrissige Blasiertheit auszeichnete. Aber dieser Bursche schien wirklich allem die Krone aufzusetzen.

      „Laßt euch nicht von diesem Drecksack einwickeln“, warnte Gregory