Das skurrile Leben der Myriam Sanders. Melanie Müller

Читать онлайн.
Название Das skurrile Leben der Myriam Sanders
Автор произведения Melanie Müller
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783863321871



Скачать книгу

ist das Heilige Ritual des Hieros Gamos, die fleischliche Vereinigung der Götter. Es vereinigen sich der Priester mit der Hohepriesterin. Hier, schauen Sie mal!»

      Myriam gibt der Frau, einige eng beschriebene Seiten. «Das habe ich aus dem Internet, lesen Sie einfach mal in Ruhe, wenn Sie zu Hause sind.»

      Dann übergibt sie der Frau die Ausdrucke der Fotos, auf der ihr Mann recht gut zu erkennen ist.

      «Das ist ja unglaublich. Dieses verkommene Schwein. Macht immer auf seriös. Und dann bei so einer Orgie.»

      «Ich habe auch Filmaufnahmen von dem Abend gemacht, die ich Ihnen auf einer CD kopiert habe. Sie stehen Ihnen zur Verfügung.»

      «Danke. Das ist gut. Sehr hilfreich. Das wird die Scheidung schnell über die Bühne bringen.»

      «Mir ist bestätigt worden, dass sich die Herren auf ihren Sitzungen mit Aktiengeschäften beschäftigen.»

      «Das habe ich schon lange vermutet. Ich habe Papiere, die ihm des Insiderhandels bezichtigen. Ist was für die Finanzpolizei und die Börsenaufsicht.»

      Die Frau blättert gedankenverloren in den Seiten, und legt sie dann zu den anderen Aufzeichnungen. «Die werde ich heute Abend lesen. Wie sind Sie da herausgekommen?»

      «Als ich genug gesehen hatte und die Aufzeichnungen geklappt hatten, hab ich gesagt, mir ist schlecht und will hinaus zum Bus. Man hat mich gelassen. Ich habe mich dann in dem Vorraum wieder angezogen, bin hinaus und habe mich zu meinem Wagen verdrückt. Ich habe auch ein paar Namen aufgeschnappt, vielleicht können Sie etwas damit anfangen. Aber steht alles in meinem Bericht.»

      «Wunderbar, ich werde Ihnen einen Scheck zukommen lassen. Die Informationen sind mir viel mehr wert!»

      Mit diesen Worten erhebt sich die Frau, verabschiedet sich mit einem Kopfnicken, dreht sich um und verschwindet.

      Myriam sitzt noch immer regungslos auf ihrer Bank und nippt an ihrem Wasser.

      Ob ich diese Dame wiedersehe? Sie ist eine Sünde wert. Aber wahrscheinlich ist sie jetzt nur froh, Material gegen ihren Mann zu haben und wird nicht mehr an mich denken. Myriam seufzt.

      Annie

      Myriam brütet gerade über ihrer Buchhaltung, als Annie in das Büro stürmt.

      «Bin wieder da!»

      «Was war so wichtig, dass du unentschuldigt gefehlt hast, auch eine Krankmeldung habe ich nicht bekommen!»

      «Du, Myriam, du hast mich mit auf diese ominöse Party genommen. Allein dir habe ich es zu verdanken, dass ich jetzt eine Beziehung habe, die mich glücklich macht.»

      Myriam sieht Annie mit offenem Mund an.

      «Und das ist jetzt deine Entschuldigung?»

      «Ja, nein …!»

      «Was denn nun?»

      «Ich meine, nein, das ist keine Entschuldigung, es ist eine Erklärung für mein Fehlen. Du warst auf einmal verschwunden und ich habe dich auch nicht mehr gesehen. Bist einfach ohne mich abgehauen.»

      Annie zieht einen Schmollmund, der so gar nicht zu ihrem glücklichen Gesicht passt.

      «Okay, okay, ich musste, weil mein Job erledigt war und ich diese Noemi, befreit habe. Konnte nicht dableiben, wäre zu gefährlich gewesen. Was ist denn nun auf der Party noch passiert?»

      Annie atmete tief ein und auch wieder aus, bevor sie wieder das Wort ergreift. «Da oben auf der Bühne, was ich da gesehen habe, das war eine unglaubliche Erfahrung. Ich verspürte Lust und habe eine wahnsinnig nette Freundin kennengelernt. Wir sind später zu ihr gegangen. Nie hätte ich geglaubt, dass eine Frau, mich so glücklich machen kann.»

      «So, so, dann hast du also dein Glück gefunden!» Myriam lächelt Annie an. «Und wieder fit für die Arbeit?»

      «Aber klar! Sag mir, was ich tun soll und es wird geschehen.»

      Neue Erfahrungen

      Schon am vorhergehenden Abend hatte Myriam sich hingesetzt und begonnen, einen Roman zu schreiben. Mit dem Titel ‚Das Voodoo Halsband‘ wollte sie alle ihre verrückten Gedanken zu Papier bringen. Basierend auf ihre Erfahrung mit Noemi schmückte sie es aus, und heute beschreibt sie genüsslich und ausführlich erotische SM-Szenen in dem Haus in Haiti. Die Sätze entstehen fast von selbst, fließen förmlich in den Computer und auch Dialoge, die sie schon lange zuvor im Kopf hatte, geben der Geschichte eine Aktualität, als wäre sie wirklich dabei gewesen.

      Ein paar Tage sind wieder vergangen, der Roman ist gewachsen und heute will Myriam neue Erfahrungen für die Geschichte machen und einen besonderen Fetischclub besuchen. Sie nimmt Bea mit und sie machen sich auf den Weg zum «Insomnia Erotic Nightclub». Vor dem BDSM Club angekommen, drückt Myriam auf eine Klingel. Die Tür öffnet sich. Ein freundlicher Mann im Anzug begutachtet auch hier die Outfits und bittet sie rein. Eine stilvolle Atmosphäre und angenehmes Licht bringen sie in die richtige Stimmung. Ähnlich wie im KitKat Club können sich die Gäste im Eingangsbereich neben der Kasse umziehen. Eine kurze Treppe führt hinunter zur Garderobe und eine weitere, längere Treppe hoch in den Hauptbereich des Clubs auf eine große Tanzfläche. Gleich daneben befindet sich die Bar, hinter der vier große, beleuchtete Spiegel angebracht sind. Zwischen den Spiegeln stehen drei riesige, goldene Statuen. Für den kleinen Hunger zwischendurch ist am Ende der Bar ein kleiner Obstkorb platziert, der immer wieder frisch aufgefüllt wird.

      Myriam springt sofort eine große Leinwand ins Auge, auf der Pornofilme gezeigt werden. Bea und Myriam durchstreifen die Räume und schauen sich weiter um. Einige Paare unterhalten sich entspannt, andere verführen sich regelrecht gegenseitig auf der Tanzfläche. Viele kleine Extra-Räume, durch dicke Vorhänge abgetrennt, sind mit Liebesschaukeln, Betten und jeder Menge Sextoys ausgestattet. Hinter dem DJ-Pult hängt ein schwerer Samtvorhang. Dahinter liegen zwei weitere Räume, die sehr stimmungsvoll hergerichtet sind. Das sogenannte «Klinikzimmer», mit Gynäkologenstuhl und einem großem, roten Bett, wirkt auf den ersten Blick etwas abschreckend. Für die entsprechende Atmosphäre sind rote Kreuze an die Wand gemalt.

      Im Sanitärbereich, in dem es einen Whirlpool und Duschen gibt, vergnügt sich gerade ein Pärchen. Sobald sie den Pool verlassen haben, säubert das Personal alles gründlich. Ob Aschenbecher, leere Gläser oder unansehnliche Flecken, die freundlichen Angestellten beseitigen alle Unstimmigkeiten schnell und diskret. Auf besonderen Wunsch gibt es neues Wasser inklusive Bedienung am Pool für rund 30 Euro.

      Oben auf der Empore, zu der ebenfalls eine Treppe führt, haben nur Paare Zutritt. Ein riesiges, rot-schwarzes Himmelbett mit großen Kissen und viele kleine Betten laden die Partygäste zu gemeinsamen Spielereien ein. Neben jedem Bett steht ein Nachttisch mit Kondomen und Taschentüchern bereit. Keine fünf Minuten nachdem die Galerie geöffnet wurde, sind bereits sechs Paare auf allen fünf Betten zu Gange. Von der Tanzfläche aus hat Myriam einen guten Blick auf das lange Geländer auf der Empore, an dem es den ganzen Abend über tatkräftig zur Sache geht. Sie fühlt sich zunächst etwas beschämt, kann aber auch irgendwie nicht wegsehen.

      Myriam fällt auf, dass sie sich im Insomnia nach einiger Zeit wesentlich wohler fühlt, als im «Kitty». Die Gäste lassen ihnen ihren Freiraum, wodurch insgesamt eine angenehmere Atmosphäre entsteht. Die Wahl der Outfits fällt auch hier sehr freizügig aus. Jedoch wirken sie unaufdringlicher und stilvoller – viele Korsetts, Strapse, lange schwarze Kleider, dunkle Leder- und Latexanzüge sowie viele Ketten.

      «Das Insomnia will verführen, provozieren, anregen und damit eine Lücke in der Hauptstadtszene schließen», erklärt Bea.

      «Und woher weiß Frau Neunmalschlau das?»

      «Oh, das habe ich im Internet gelesen. Ich habe mich schlau gemacht, nachdem ich deine Einladung bekommen habe.»

      «So, so, du hast dich also schlau gemacht!», grinst Myriam.

      Sie tanzen noch sehr viel an diesem Abend, trinken eine Menge und naschen an den Kleinigkeiten, die an der Bar feilgeboten werden. Sie küssen und lieben sich in einer Ecke, ohne sich an all den anderen Gästen