Seewölfe - Piraten der Weltmeere 108. Fred McMason

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Название Seewölfe - Piraten der Weltmeere 108
Автор произведения Fred McMason
Жанр Языкознание
Серия Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783954394326



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      Siri-Tong begann wieder zu rechnen, verglich die Karten, prüfte den Stand der Sonne und nahm den Jakobsstab zu Hilfe.

      „Wenn ich richtig gerechnet habe, dann sind wir mindestens zwei Strich aus dem Kurs gelaufen. Kein Wunder, daß wir diese verdammte Insel nicht gefunden haben.“

      Zorn blitzte in ihren Augen auf, ihre kleinen Hände ballten sich zu Fäusten, bis die Knöchel weiß hervortraten.

      „Zwei Strich Backbord, Tammy“, sagte sie plötzlich.

      „Aye, aye, Madam, zwei Strich Backbord“, wiederholte Tammy.

      „Zwei Strich, Mädchen?“ fragte der Wikinger besorgt. „Weißt du, wie weit wir abdriften, wenn die Berechnung stimmt? Wir laufen an einem Tag unzählige Meilen aus dem Kurs, äh, auf die Entfernung gerechnet.“

      „Natürlich auf die Entfernung gerechnet, was denn sonst? Wenn wir die zwei Strich abfallen, müßten wir ungefähr auf dem richtigen Kurs segeln.“

      „Die Insel liegt trotzdem längst weit hinter uns“, murrte der Nordmann. „Ich freß meinen Helm, wenn das nicht stimmt.“

      Ein paar Männer grinsten zaghaft, als sie das hörten. Vermutlich stellten sie sich das bildlich vor: Thorfin Njal, der verbissen an seinem Kupferhelm kaute!

      Er hatte seinen Satz gerade zu Ende gesprochen, als aus dem Ausguck ein Schrei erklang. Es war ein Schrei, man konnte es nicht als Ausruf bezeichnen. Die Stimme des hellhäutigen Negers Hilo überschlug sich vor Aufregung.

      „Land, Land! Drei Strich Steuerbord!“

      Augenblicklich ließ jeder seine Arbeit sausen. Die Kerle enterten flink in die Wanten, um nach dem Stück Land Ausschau zu halten, das der Neger entdeckt hatte.

      Nur Siri-Tong blieb ganz ruhig. Sie warf dem Wikinger einen spöttischen Blick zu.

      „Guten Appetit, Thorfin“, sagte sie sarkastisch. „Soll ich deinen Helm vorher noch polieren lassen, oder magst du ihn gern etwas staubig?“

      Thorfin verschlug es sekundenlang die Sprache.

      „Das kann nicht sein“, knirschte er erbittert. „Das gibt es nicht. Verdammt, ich werde meinen Helm aufbehalten, und mir noch einen zweiten darüber stülpen. Es muß eine andere Insel sein.“

      „Es ist bestimmt die Insel, die wir suchen“, erklärte sie.

      Aber sie war es nicht, das ließ sich nach einer knappen halben Stunde erkennen. Man konnte es nur sehr schlecht als Insel bezeichnen, denn die öden kahlen Felsen waren nichts anderes als ein himmelhohes Massiv, das übergangslos aus dem Meer wuchs, und zwar an einer Stelle, wo das Wasser nicht so tief sein konnte wie hier. Vielleicht hatten unterseeische Vulkane diese Felsenkegel hochgeschleudert.

      „Kurs auf die Felsen halten, Tammy. Wir segeln auf Steuerbord daran vorbei.“

      „Aye, aye, Madam.“

      Siri-Tong ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken, und der Wikinger mußte seinen Speisezettel aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit seinem Kupferhelm bereichern.

      Wieder suchte die Korsarin in den Karten nach jenem kleinen Fleck, den sie gesichtet hatten. Es gab ihn nicht, er war nicht einmal andeutungsweise irgendwo verzeichnet.

      Siri-Tong wurde durch den Anblick der aus dem Wasser wachsenden Felsen lebhaft an die Schlangeninsel in der Karibischen See erinnert. Auf der Südseite der Schlangeninsel türmten sich die Felsen genauso hoch auf. Doch je näher sie kamen, desto mehr verblaßte dieser Eindruck wieder. Man sah sie jetzt genauer.

      Es mochten vier gewaltige Felsen sein, ein fünfter, kleinerer lag vermutlich noch dahinter, denn man sah einen gedrungen wirkenden Schatten daneben. Die Felsen waren grob geschätzt etwa dreihundert Fuß hoch. Es gab keine Palme, keinen Strauch, ja nicht einmal einen Grashalm, der dort wuchs.

      Zwei der Felsen bildeten eine anscheinend durchlässige Passage, die auch wieder an die Schlangeninsel und damit an das Höllenriff erinnerte.

      Nur war diese Passage dunkel und wuchs oben bogenförmig zusammen. Man konnte bei einigem seemännischen Geschick also schon hindurchsegeln.

      In einer Stunde würden sie die Felsen erreicht haben, aber bis dahin würde auch die Dämmerung das Meer eingehüllt haben. Schon jetzt tanzten neblige Spinnenarme auf dem Wasser, die der leichte Wind jedoch immer wieder auseinandertrieb.

      Thorfin starrte sich die Augen aus.

      „Wer weiß, wo wir sind“, sagte er finster, und warf einen Blick auf die drei Wikinger Eike, Arne und den Stör, die am Schanzkleid standen und miteinander tuschelten. Pedro sin obras war auch noch dabei und ließ wieder heldenhafte Sprüche vom Stapel.

      Des Störs langes Gesicht war umschattet. Der mißtrauische Nordmann deutete auf die kahlen Felsen und hob abwehrend die Hand.

      Er wartete, bis auch der vierte heran war, Olig, dem das alles nicht geheuer war.

      „Ja, beim rotznasigen Meergott“, sagte der Stör flüsternd. „Warum segeln wir nicht einen großen Bogen um diese Felsen? Seht doch nur, wie die Nebel sie umtanzen. Bald sieht man gar nichts mehr, wenn die Korsarin nicht den Kurs ändert. Und, bei Odin und seinem achtbeinigen Pferd, jetzt wird es auch noch bald dunkel. Kann so was nicht am hellen Tag passieren?“

      „Das ist immer so“, wußte Arne zu berichten. „In der Saga erschien auch immer Nebel, wenn die Alten über das Meer fuhren und die Götter sahen. Ich behaupte, daß in diesen verdammten Felsen auch Götter hausen. Einen besseren Ort kriegen sie ja gar nicht.“

      Die Fürsten der Meere hatten selbst vor dem Teufel keine Angst, und vor einer Horde wilder Piraten erst recht nicht. Den Teufel konnte man am Schwanz zupfen, wenn er sich blicken ließ, und die Piraten nahm man auseinander.

      Aber Meergötter? Unbekannte Dämonen, die im Nebel hausten und die nicht zu fassen waren? Das war etwas ganz anderes, man kannte sie nicht, sah vielleicht nur ihre Umrisse, und außerdem waren sie immer im Vorteil, weil sie sich hier auskannten, groß und mächtig waren und mit den Seeleuten ihren Schabernack trieben.

      „Das ist ein Dom des Teufels, sage ich euch“, flüsterte Olig. „Der hat sich hier seine Behausung aus Feuer und Schwefel gebaut und läßt sie so aussehen wie Felsen. Schaut nur, diesen gewaltigen Eingang in den Teufelsdom! Ganz schwach dahinter erkennt man ein Licht. Da geht es direkt in die Hölle.“

      „Meinst du wirklich?“ fragte Pedro sin obras, angesteckt von der Spökenkiekerei seiner Kumpane.

      „Aber ganz sicher.“

      Olig hatte zwar die Hölle noch nicht gesehen, aber er wußte wie sie aussah. Jeder wußte das, der lange zur See fuhr.

      „Dann sollten wir die Korsarin warnen“, schlug Pedro vor.

      „Geh du doch“, sagte der Stör zu ihm.

      „Sicher, natürlich, ich werde ihr sagen, daß sie so schnell wie möglich den Kurs ändern muß. Oh, sie wird auf mich hören“, sagte Pedro, den sie den Mann ohne Taten nannten, weil er alles mögliche versprach aber nie etwas hielt.

      Er dachte auch jetzt nicht daran, aufs Achterkastell zu gehen. Er hatte immer wieder neue Ausreden.

      „Nun geh doch endlich“, drängte Arne, „sonst segeln wir genau in den Höllenschlund hinein!“

      Pedro sin obras nickte.

      „Ich werde das verhindern, verlaßt euch auf mich“, sagte er.

      Dann schlich er sich davon, aber nicht, um der Korsarin einen Vortrag zu halten, sondern um sich in irgendeinen stillen Winkel des Schiffes zu verdrükken.

      Wieder ertönte Hilos Stimme aus dem Großmars.

      „Gedrungene Schiffe voraus. Vier oder fünf und etwas, das wie ein Floß aussieht.“

      Er wiederholte seinen Ruf noch einmal, doch Siri-Tong hatte ihn gleich verstanden. Sie blickte durchs Spektiv. Als sie es