Gänseblut. Wolfgang Santjer

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Название Gänseblut
Автор произведения Wolfgang Santjer
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264409



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Rückspiegel sah er, wie die Tür des Bullis aufgestoßen wurde. Albert Brede sprang mit rotem Kopf aus dem Fahrzeug und ging mit finsterer Miene auf die zwei Fremden zu. Oha, dachte Broning, jetzt knallt es. Er wollte gar nicht hören, was da gesprochen wurde. Jedenfalls fand Albert wohl die richtigen Worte. In Windeseile sprangen die Gänsebeobachter in ihr Auto und rasten davon. Ohne Regung ging Albert an Bronings Auto vorbei und setzte sich wieder in den Bulli.

      Sie fuhren am schönen Fischerdorf Ditzum vorbei und vor ihnen lag Pogum. Das Ende der Welt wurde das Dorf auch genannt. Es war die äußerste Ecke des Rheiderlandes. Nördlich verlief die Ems und im Westen lag der Dollart.

      Der Treffpunkt mit den Kollegen aus Weener befand sich am Schöpfwerk des Sieltiefs. Dieser Ort wurde Emsblick genannt, weil man von der Deichkrone aus einen schönen Ausblick auf die Ems hatte. Auf dem Parkplatz standen ein Streifenwagen und ein Kastenwagen mit Bochumer Kennzeichen. Darin saß ein junger Mann und machte ein bedrücktes Gesicht.

      Broning parkte den Zivilwagen daneben und stieg aus. Der Bulli der Spurensucher hielt ebenfalls. Albert Brede kurbelte das Seitenfenster herunter und blieb stur sitzen. Jan Broning ging hin, blieb neben dem offenen Fenster des Bullis stehen und erwartete den Kollegen in Uniform.

      Stinus Wurps begrüßte sie kurz, man kannte sich von verschiedenen Einsätzen. Jan Broning ließ sich von ihm die Situation erklären. Stinus zeigte auf den Mann im Kastenwagen. »Dies ist unser Schatzsucher Herr Kowalski, er hat die Leiche gefunden. Den Schlüssel für die Deichpforten habe ich inzwischen organisiert, wir können jetzt den Fundort mit dem Auto erreichen. Sonst müssten wir von hier aus laufen und es ist mindestens noch ein Kilometer.« Stinus zeigte in westliche Richtung.

      »Danke dir!« Broning war erleichtert. Das fehlte noch, ein schlechtgelaunter Albert, der seine Ausrüstung zu Fuß zum Fundort schleppte … »Stinus, fahr doch bitte voraus, ich nehme den Schatzsucher mit und Albert und Egon folgen uns im Bulli.«

      Broning bat den Schatzsucher in seinen Zivilwagen, und die drei Einsatzfahrzeuge starteten. »Und, geht’s wieder?« Broning sah besorgt zu Kowalski hinüber.

      Der sah ihn mit blassem Gesicht an. »Dieser Anblick war schrecklich, als wenn mich der Schädel angrinsen würde. Ich hab mich so erschrocken!«

      »Sie brauchen sich die Leiche nicht noch einmal anzusehen«, beruhigte ihn Broning. »Sie müssen uns vor Ort nur noch mal genau erklären, was passiert ist.«

      »Kriege ich Ärger?«, fragte Kowalski ängstlich. »Ich meine, weil ich im Naturschutzgebiet rumgegraben habe? Ihr Kollege in Uniform hat so was angedeutet.«

      »Da machen Sie sich mal keinen Kopf drüber.« Broning sah Kowalski eindringlich an. »Wichtig ist, dass Sie zunächst Stillschweigen über den Fund bewahren.«

      »Ich schweige wie ein Grab …« Beim letzten Wort räusperte sich Kowalski laut. Er war noch angesäuert, weil ihm der Uniformierte einen Anschiss verpasst hatte. Was ihm einfiele, im Naturschutzgebiet rumzubuddeln. Denen würde er es noch zeigen. Er hatte Torum nicht gefunden, aber dafür hatte er einige gute Aufnahmen von der Leiche mit seinem Smartphone gemacht. Die Bilder würde er an die Medien weitergeben. Vielleicht konnte er das kleine Video sogar bei YouTube einstellen. Er grübelte über eine passende Überschrift nach. Dieser Ötzi in den Bergen damals … Die uralten Überreste des Jägers hatten tagelang die Schlagzeilen der Medien beherrscht, nachdem das geschmolzene Gletschereis die Mumie freigegeben hatte.

      Nun, so lange lag diese Leiche noch nicht in den Salz­wiesen, aber Ötzi war mit Pfeil und Bogen unterwegs gewesen. Sein Toter hatte ein Gewehr dabei. Und jetzt habe ich die Überschrift, dachte Kowalski. Sensationsfund: Junger Archäologe entdeckt den »Rheiderländer Ötzi«.

      Die Einsatzwagen fuhren an der Innenseite des Deiches entlang, die Straße verlief weiter über den Deich und endete schließlich an einer Pforte im Außendeichsgelände.

      Beim Anblick des Dollarts fröstelte es Jan Broning. Verdrängte Erinnerungen an seinen Kampf im Watt. Die Stimmung im Zivilwagen hatte sich gedreht. Kowalski hatte sich überraschend schnell erholt und lächelte sogar für einen Moment. Broning versuchte die negativen Gefühle abzuschütteln. Im Süden konnte er die Bohrinsel Dyksterhusen sehen. Von dort aus war damals die Rettungsaktion durchgeführt worden.

      Die Straße entlang des Deiches wurde mehrfach durch Zäune mit Pforten gesperrt. Stinus stieg jedes Mal aus und schloss die Pforten auf. Die Fahrt ging weiter und Broning sah am Rande der Salzwiesen ein Absperrband im Wind flattern. Sie hatten nur noch eine geschlossene Pforte vor sich. Am Rand des abgesperrten Bereiches stand die Kollegin Swantje Benninga. Sichtlich erleichtert darüber, dass sie nicht mehr alleine bei der Leiche war, kam sie auf die Einsatzwagen zugelaufen. An der Pforte gab sie Jan Broning die Hand. »Moin, Herr Broning, Swantje Benninga, hier ist nichts weiter passiert.«

      Er lächelte sie kurz an. »Hallo, Swantje. Grundsätzlich duze ich mich mit den Kollegen, also für dich auch Jan.«

      Egon Kromminga und Albert Brede hatten sich die weißen Kombis der Spurensicherer angezogen. Nun ließen sie sich von dem Schatzsucher Kowalski erklären, wo genau er gelaufen war, womit er gegraben hatte und wie er die Leiche berührt hatte. Inzwischen hatte Stinus die Pforte aufgeschlossen. Albert Brede fluchte, während er die Aluminiumkoffer zum Fundort schleppte. Routiniert begannen die beiden Spurensicher mit der Tatortarbeit. Egon Kromminga fotografierte sich von außen an die Leiche heran. Zunächst Übersichtsaufnahmen der Umgebung, dann immer näher an den Absperrungsbereich, und schließlich die Detailaufnahmen der Leiche.

      Während Jan Broning darauf wartete, dass Brede den Tatort freigab, befragte er die uniformierten Kollegen und den Schatzsucher Kowalski. Die Kernpunkte ihrer Aussagen notierte er sich auf einem Schreibblock. Er hatte dafür eine spezielle Schreibunterlage, eine sehr flache Aluminiumkiste im Din-A4-Format. Oben konnte man einen Schreibblock festklemmen, und in der flachen Kiste waren Spurensicherungstüten, eine kleine Digitalkamera, Einmalhandschuhe und verschiedene Pinzetten. Das hatte sich schon oft bewährt. Bei der ersten Inaugenscheinnahme wurden die Leichen nach Personaldokumenten, Brieftaschen und Handys durchsucht. Mit der Minimalausrüstung konnte man kleine Gegenstände ohne Übertragung von Fremdspuren anfassen, in spezielle Tüten verpacken und sicher verstauen.

      Broning stieg auf die Deichkrone und skizzierte von dort aus die Umgebung. Als er in Richtung Schöpfwerk blickte, bemerkte er einen Wagen, der sich ihnen näherte, und ging zurück zu seinen uniformierten Kollegen. »Stinus, Swantje, ich glaube, wir bekommen Besuch von der Presse. Könnt ihr die fernhalten? Wenn sie maulen, verweist auf die Presseinfo, die wir nachher verteilen.«

      Stinus nickte und ging dem Wagen entgegen. Jan Broning hörte, wie sein Name gerufen wurde, und sah, dass Albert Brede ihm zuwinkte. Er hob die Hand zum Zeichen, dass er verstanden hatte. »Swantje«, Broning drehte sich zu seiner Kollegin um, »bleibst du bitte hier bei Herrn Kowalski und rufst diese Nummer hier an?« Er nahm aus seiner Schreibunterlage eine Visitenkarte und gab sie ihr. »Bestatter Erdmann aus Leer, er soll bitte herkommen und die Leiche abholen.«

      »Okay, mach ich sofort.« Swantje griff zum neuen digitalen Funkgerät, mit dem man auch telefonieren konnte.

      Egon und Albert standen bei einer länglichen Vertiefung im Boden, neben der mehrere Erdhaufen lagen. Die Überreste eines menschlichen Körpers, der auf dem Rücken lag, waren vom Kopf bis ungefähr zur letzten Rippe freigelegt. Halb über dem Skelett lagen die Reste von grauem Tuch und seitlich am Körper sah man den verrosteten Lauf eines Gewehres. Der Totenschädel blickte in den ostfriesischen Himmel. Es wollte nicht zur Umgebung passen. Die frischen Farben und Gerüche der aus dem Winterschlaf erwachten Natur waren ein starker Kontrast zu diesem Symbol des Todes.

      »Unser Schatzgräber hat ganze Arbeit geleistet. Alles zerwühlt und zertrampelt.« Egon klang wütend. »Trotzdem haben wir schon einiges gefunden. Hier!« Er hielt Jan eine durchsichtige Spurensicherungstüte hin. »Die lagen in der ausgehobenen Erde. Sieht aus wie Knöpfe von einer Wehrmachtsuniform und das hier könnte ein Koppelschloss sein.«

      »Das Gewehr …?« Broning sah Brede fragend an. Albert war Ballistiker und kannte sich sehr gut mit Waffen aus.

      »Karabiner, Zweiter