Gänseblut. Wolfgang Santjer

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Название Gänseblut
Автор произведения Wolfgang Santjer
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264409



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als berühmter Entdecker in die Geschichte einzugehen. Unter dem Lauf des Gewehrs fühlte er eine Art Stoff. Mit den Fingerspitzen fasste er vorsichtig eine Ecke davon an. Als er den Stoff zur Seite zog, grinsten ihn die Zähne eines Totenschädels an.

      Peter Kowalski schrie entsetzt auf und sprang hoch. Es dauerte eine Weile, bis er sich so weit beruhigt hatte, dass er sein Handy heraussuchte und den Notruf wählte.

      Altstadt von Leer,

      Wohnung des PHK Jan Broning

      Das Klingeln des Telefons drang nur langsam in den Schlaf von Hauptkommissar Jan Broning. Er brauchte einen Moment, um sich zurechtzufinden. Sein erster Blick fiel auf den Wecker: neun Uhr. Beim Blick nach links auf die leere Seite seines Bettes verzog er missmutig sein Gesicht. Maike war erst seit einigen Tagen in Spanien und ihm kam es jetzt schon vor wie eine Ewigkeit. Ihr Vater Johann de Buhr hatte sie kurzerhand mitgenommen, als er zusammen mit seiner Freundin Karin für einige Wochen Urlaub machen wollte. Maikes Lunge war noch sehr angegriffen von den Folgen ihrer Entführung auf der Autobahn. Das sanfte Klima in Spanien sollte den Heilungsprozess beschleunigen.

      Jan Bronings Hand griff zum Telefon und bevor er die grüne Taste drückte, sah er auf dem Display, dass der Anruf von seiner Dienststelle kam. Eigentlich sollte er heute Überstunden abbauen. In sein Schicksal ergeben nahm er den Anruf an.

      Die laute Stimme seines Kollegen Klaus Hensmann von der Wache in Leer dröhnte aus dem kleinen Lautsprecher. »Guten Morgen, Jan, sorry, dass ich dich so früh stören muss. Die Kollegen von der Tatortgruppe haben mir gerade eine Lage durchgegeben. Sie sind im Deichvorland bei Pogum. Ein Schatzsucher aus dem Ruhrgebiet hat dort ein bewaffnetes Skelett gefunden.« Lachen hallte aus dem Hörer. »Das ist doch ein Superwitz, oder? Ach ja, Spaß beiseite, dein Chef Renko Dirksen war gerade auf der Wache und lässt dir ausrichten, dass du deine Überstunden ein anderes Mal abfeiern sollst, damit du den Fall übernehmen kannst.«

      »Okay, Klaus, ich komme zur Dienststelle.« Jan Broning beendete das Gespräch.

      Ohne Maike war es zu Hause ohnehin öde. Was ihn störte, war eher der Einsatzort. Der Dollart … das weckte böse Erinnerungen. Sein erster Fall mit Maike an seiner Seite. Seine Rettung aus dem Watt. Schöne und schreckliche Erinnerungen.

      Jan Broning war als Leiter des 1. Fachkommissariates zuständig für Todesermittlungen. Er ahnte, dass dieser Fund im Deichvorland erhebliches Aufsehen erregen würde. Renko, der alte Fuchs, ging entsprechend auf Nummer sicher und überließ ihm großzügig den Fall.

      Jetzt ging alles sehr schnell – Kaffeemaschine an, Dusche, in die Klamotten. Mit einem Thermobecher Kaffee in der Hand verließ Jan Broning seine Wohnung und lief die Treppen hinunter zum Fahrradkeller.

      Dabei verbrannte er sich den Mund an dem zu heißen Gebräu. »Verflixte Axt!« Er wunderte sich wieder mal darüber, dass nichts mehr Zeit hatte. Alles sollte immer schneller gehen, Kaffee trinken im Gehen … und ich mach auch noch mit.

      Er schwang sich auf sein Elektrorad und fuhr zur Georgstraße. Den Thermobecher hatte er verschlossen in der Fahrradtasche verstaut.

      Das Tor zum Innenhof öffnete sich wie von Geisterhand. Er stellte sein Rad vor dem Nebeneingang der Dienststelle ab und ging den Schichtleiter Klaus Hensmann auf der Wache begrüßen. »Hallo, Klaus, warum schmeißt du mich eigentlich immer aus dem Bett?«

      »Sorry, Jan, aber das ist wirklich eine sonderbare Geschichte. Als die Meldung reinkam, haben wir oben Bescheid gesagt und …«

      »Schon gut. Was haben wir denn bis jetzt?«

      »Abgelaufen ist es wie folgt …« Klaus sah auf seine Notizen. »Der Notruf eines Herrn Peter Kowalski aus Bochum ging bei der Leitstelle ein. Herr Kowalski hat bei der Schatzsuche am Dollart ein Gewehr und ein Skelett gefunden. Der Notruf wurde an das PK Weener weitergeleitet. Die Kollegen haben das zunächst für einen schlechten Scherz gehalten, sind aber erst mal hingefahren. Dann hat mir Swantje dieses Foto geschickt.« Klaus Hensmann nahm sein Smartphone und wischte mit dem Finger über das Display. »Scheißtechnik! … Ah ja, jetzt hab ich es.« Er hielt es Jan hin.

      Jan sah den Lauf des Gewehrs, den alten Stoff und einen Teil des Totenschädels.

      »Was sagen die jungen Leute immer?« Klaus überlegte. »Ganz schön krass! – Jedenfalls, Swantje und Stinus haben alles abgesperrt. Swantje sichert den Tatort. Stinus wartet im Streifenwagen auf dich am Deich bei Pogum. Treffpunkt ist der Parkplatz am Aussichtspunkt Emsblick.«

      »Kenn ich.« Jan gab ihm das Smartphone zurück. »Hast du einen Wagen für mich?«

      »Hier.« Klaus nahm einen Schlüssel vom Haken. »Den Zivilwagen, steht in der zweiten Garage. Egon Kromminga und Albert Brede von der Spurensicherung wissen Bescheid, die sind gerade an der Wache vorbei, in Richtung Garage.«

      Egon arbeitete erst seit kurzem mit Albert zusammen. In der Garage sah Jan die beiden ihre Ausrüstung im Bulli verstauen und begrüßte sie.

      »Tatort, Skelett, Dollart«, sagte Albert mit mürrischem Gesicht. Egon sah kurz zur Garagendecke.

      Albert Brede war für seine Ausdrucksweise berüchtigt. Je schlechter er gelaunt war, desto kürzer seine Sätze. Er war ihr bester Spurensicherer, ein alter Fuchs und er gab sein Wissen weiter. Jan hatte trotzdem Mitleid mit Egon. Alberts Launen ertragen zu müssen, war der Preis für die an der Praxis orientierte Ausbildung als Spurensicherer.

      »Das Beste wird sein, wir fahren gemeinsam zum Tatort«, schlug Jan vor. »Ich fahr im Zivilwagen voraus.« Keine Antwort von Albert. Egon nickte nur schicksalsergeben. Offensichtlich passten sich die Kollegen bereits einander an. »Okay, dann bis gleich am Dollart.« Jan verkniff sich das Lachen.

      Er fuhr Richtung Emstunnel, hinter sich den weißen Bulli der Spurensicherer. Es gab von Leer aus zwei Wege ins Rheiderland, das durch die Ems vom Stadtgebiet Leer getrennt war. Der erste führte über die Emsbrücke, benannt nach Jann Berghaus, im Verlauf der Bundesstraße 436. Beim zweiten Weg handelte es sich um die Autobahn, die A31, den »Ostfriesenspieß«. Der Autobahn-Emstunnel verband die Leeraner Seite mit dem Rheiderland.

      Die Jann-Berghaus-Brücke wurde umgebaut und war immer noch eine Großbaustelle. Die Brücke war wasserseitig eine von mehreren Engstellen entlang der Ems. Die Überführungen der immer größeren neuen Kreuzfahrtschiffe waren kompliziert und nur durch etliche teure Baumaßnahmen am Fluss möglich. Eine davon war die Verbreiterung der Schifffahrtsöffnung dieser Brücke. Die Fertigstellung verzögerte sich erheblich, und die betroffene Bevölkerung war verärgert.

      Der Autoverkehr wurde durch den Emstunnel umgeleitet, aber es konnten nicht alle dieses Nadelöhr im Verlauf der Autobahn benutzen. Fahrradfahrer oder die Trecker der Landwirte blieben außen vor. Deshalb hatte man die alte Fähre Julius zwischen den Emsufern Leerort und Bingum eingesetzt.

      Die Polizeiwagen fuhren an der Anschlussstelle Leer-West auf die Autobahn und nach nur einem Kilometer durch den Emstunnel. An der Anschlussstelle Jemgum/Bingum verließen sie direkt an der Tunnelausfahrt die Autobahn. Nun waren sie im Rheiderland und bogen an der Kreuzung der Deichstraße links in Richtung Ditzum ab. Die Fahrt ging weiter durch die Emsdörfer, die alle mit der Silbe »um« endeten. Der Deich lag rechts und die Landschaft zeigte sich Jan Broning jetzt von ihrer schönsten Seite. Die Farben der Natur waren im Mai am intensivsten. Die großen Kastanien vor den Bauernhöfen blühten weiß, das Rot der Buchen leuchtete und in den Poldern verwandelte der blühende Raps die Landschaft in ein gelbes Meer.

      Er hasste es dennoch, allein im Wagen zu sitzen, wenn er zu einem Einsatz fuhr. Jan Bronings Gedanken wanderten zu Maike. Ob die Landschaft in Spanien jetzt wohl ebenso schön war? Ging es ihr gut? Dachte sie auch immer an ihn?

      Vor ihm bremste ein Fahrzeug stark und ohne jeden erkennbaren Grund. Der Wagen blieb mitten auf der Straße stehen. Broning war wegen des Gegenverkehrs gezwungen, dahinter zu warten. Plötzlich wurden die Türen aufgestoßen und zwei Männer sprangen heraus. Bronings Hand wanderte zu seiner Waffe. Sollte das ein Anschlag werden?

      Dann erkannte er die Ferngläser und Kameras. Die beiden richteten ihren Blick auf die Wiese links