Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo

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Название Briefe über den Yoga
Автор произведения Sri Aurobindo
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783963870583



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Pfad zum wahren Ziel, der zu sein er vorgab.

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      Ich habe nichts gegen Prof. Sorleys Kommentar über das stille, helle und klare Mental einzuwenden, denn er weist in angemessener Weise auf jenen Vorgang hin, durch den das Mental in seiner ruhigen Oberfläche oder Substanz sich für die Widerspiegelung der höheren Wahrheit bereit macht. Eines sollte man dabei vielleicht im Auge behalten: diese reine Stille des Mentals ist immer die erforderliche Grundvoraussetzung – das Desideratum –, doch um sie herbeizuführen, gibt es mehr als einen Weg. So reicht zum Beispiel die Bemühung des Mentals als solches allein nicht aus, sich von aller eindringenden Empfindung oder Leidenschaft zu befreien oder von seinen eigenen charakteristischen Vibrationen oder von den verdunkelnden Schwaden einer physischen Trägheit, die zum Schlaf oder zur Stumpfheit des Mentals führt, statt zu seinem wachsamen Schweigen – denn dies wäre nur die gewöhnliche Methode des Yogaweges des Wissens. Es kann ebenfalls durch die Herabkunft einer großen spirituellen Stille geschehen, die dem Mental und Herz, den Lebensimpulsen und physischen Reflexen das Schweigen auferlegt. Ein plötzliches Herabkommen dieser Art oder eine Anzahl von Herabkünften, die an Kraft und Wirksamkeit zunehmen, ist ein wohlbekanntes Phänomen spiritueller Erfahrung. Oder aber man beginnt mit einer bestimmten Methode dieser oder jener Art, was normalerweise eine langwierige Arbeit mit einbezieht, und wird bereits zu Beginn von einem jähen Eintreten oder einer Manifestation des Schweigens erfasst, die in ihrer Auswirkung in keinem Verhältnis zu den anfänglich eingesetzten Mitteln steht. Man beginnt mit einer Methode, doch wird die Arbeit von der Gnade darüber aufgenommen, von Jenem, nach dem man strebt, oder von einem Einbruch der Unendlichkeiten des Spirits. Dies letztere fand in mir selbst statt, als mein Mental zum absoluten Schweigen gelangt war, was für mich vor der tatsächlichen Erfahrung etwas Unvorstellbares war.

      Da ist noch ein weiterer wichtiger Punkt, nämlich die genaue Natur dieser Helle und Klarheit und Stille; woraus besteht sie, ist sie lediglich ein psychologischer Zustand oder ist sie mehr? Prof. Sorley behauptet, diese Worte seien schließlich nur Gleichnisse, und versucht, dasselbe in einer abstrakteren Sprache auszudrücken – was ihm auch gelingt. Doch ich war mir nicht bewusst, Gleichnisse zu gebrauchen, als ich die Stelle niederschrieb, obwohl mir klar ist, dass die Worte anderen so erscheinen mögen. Ich glaube aber, sie würden einem, der eine ähnliche Erfahrung hatte, nicht nur als eine lebendigere, sondern auch genauere Beschreibung dieses inneren Zustandes erscheinen, als es durch irgendeine abstrakte Sprache wiedergegeben werden könnte. Es ist wahr, Gleichnisse, Symbole, Bildnisse wurden stets vom Mystiker als Hilfsmittel verwendet, um seiner Erfahrung Ausdruck zu verleihen; das ist unvermeidlich, denn er muss in einer Sprache, die das Mental formte oder zumindest entwickelte und manipulierte, ein Bewusstseinsphänomen ausdrücken, das nicht mental, doch zugleich komplexer und auf subtilere Art konkret ist. Es ist diese subtil konkrete, übersinnlich wahrnehmbare Wirklichkeit jener Bewusstseinsphänomene, zu welcher der Mystiker gelangt, die den Gebrauch von Gleichnis und Bildnis als einer lebendigeren und genaueren Umschreibung rechtfertigt gegenüber den abstrakten Ausdrücken, die von der gedanklichen Überlegung für ihren eigenen charakteristischen Vorgang gebraucht werden. Wenn die angewendeten Gleichnisse irreführen oder in der Beschreibung nicht genau sind, so deshalb, weil die Formulierfähigkeit des Schreibenden nicht der Intensität seiner Erfahrung entspricht. Der Wissenschaftler spricht von Licht- oder Klangwellen und gebraucht auf seine Weise ein Gleichnis, doch eines, das der physischen Tatsache entspricht und durchaus zulässig ist, denn es gibt keinen Grund, warum es nicht eine Welle, eine immerwährend fließende Bewegung von Licht oder Klang geben sollte, genau wie von Wasser. Doch wenn ich von der Helle und Stille und Klarheit des Mentals spreche, ist es nicht meine Absicht, ein Gleichnis zu gebrauchen. Es sollte eine Beschreibung sein, so genau und positiv, als würde ich die Ausdehnung der Luft oder einer Wasserfläche beschreiben. Denn des Mystikers Erfahrung des Mentals, besonders wenn es zur Stille gelangt, ist nicht die eines abstrakten Zustandes oder die des Abstreifens oder die eines nicht greifbaren Bewusstseinselementes, es ist die Erfahrung einer erweiterten feinen Substanz, in der es Wellen geben kann und gibt, Strömungen, Schwingungen, die zwar nicht stofflich, doch einem inneren Sinn ebenso bestimmt wahrnehmbar und kontrollierbar sind, wie es irgendeine Bewegung stofflicher Energie oder Substanz für die physischen Sinne ist. Die Stille des Mentals bedeutet als erstes, dass die gewohnten Gedankenregungen, Gedankenformungen, Gedankenströme, die die Substanz des Mentals erregen, zur Ruhe gelangen, und für viele ist dieses mentale Schweigen ausreichend. Doch selbst in dieser Ruhe aller Gedanken- oder Gefühlsregungen erkennt man bei näherer Betrachtung, dass die Substanz des Mentals sich in einem andauernden Zustand sehr feiner Schwingung befindet, die zunächst nicht gleich erkennbar, doch dann ganz offensichtlich ist – und dieser Zustand fortwährender Schwingung kann einer genauen Widerspiegelung oder dem genauen Empfang der herabkommenden Wahrheit so schädlich sein wie jede andere mehrgeformte Gedankenregung; denn er ist die Quelle einer Mentalisierung, welche die Echtheit der höheren Wahrheit verringern oder entstellen oder in mentale Brechungen auflösen kann. Wenn ich von einem stillen Mental spreche, meine ich eines, in dem es diese Störungen nicht länger gibt. In dem Maße, wie diese zur Ruhe gelangen, kann man die wachsende Stille und eine daraus hervorgehende Klarheit so deutlich fühlen, wie man die Stille und Klarheit einer physischen Atmosphäre wahrnehmen kann. Was ich als die Helle beschreibe es gibt noch ein anderes Element –, löst sich in einer Lichterscheinung auf, die jeder mystischen Erfahrung gemein ist. Dieses Licht ist keine Metapher – wie etwa jenes Licht, nach dem Goethe in seinen letzten Augenblicken rief –, es zeigt sich vielmehr als eine durchaus positive Erhellung, die durch den inneren Sinn tatsächlich gesehen und gefühlt wird. Auch ist die Helle des stillen und klaren Mentals eine positive Spiegelung dieses Lichtes, bevor das Licht sich dann selbst manifestiert; und diese Licht-Spiegelung ist eine durchaus notwendige Voraussetzung für die wachsende Fähigkeit, die Wahrheit, die man empfangen und beherbergen muss, durchzulassen. Ich habe diesen Teil ein wenig ausführlich behandelt, um dadurch den Unterschied zwischen der abstrakt mentalen und der konkret mystischen Wahrnehmung überphysischer Dinge hervorzuheben, der eine Quelle großer Missverständnisse zwischen dem spirituell Suchenden und dem intellektuellen Denker ist. Selbst wenn sie die gleiche Sprache sprechen, ist es eine andere Wahrnehmungsordnung, auf welche die Sprache das Ergebnis zweier verschiedener Bewusstseinsstufen bezieht, und selbst dort, wo sie übereinstimmen, besteht oft ein Abgrund der Verschiedenheit.

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      Das bringt uns geradewegs zu der von Prof. Sorley erhobenen Frage, nämlich der Beziehung zwischen mystischer und spiritueller Erfahrung und ob es – wie behauptet wird – zutrifft, dass der Mystiker hinsichtlich der Gültigkeit seiner Erfahrung oder der Gültigkeit ihres Ausdrucks den Intellekt als Richter anerkennen muss. Es ist durchaus einleuchtend, in der Erfahrung als solcher kann der Intellekt nicht beanspruchen, seine Grenzen oder sein Gesetz einem Bestreben aufzuerlegen, dessen Ziel, Prinzip und Anliegen es ist, den Bereich des gewöhnlichen, erdverhafteten und sinnenverhafteten mentalen Denkvermögens hinter sich zu lassen. Das wäre so, als sollte ich einen Berg ersteigen mit einem Strick an den Beinen, der mich an die Erde fesselt, oder als ob ich fliegen sollte unter der Bedingung, meine Füße auf dem Boden zu behalten. Es mag sicherer sein, auf der Erde mit festem Boden unter den Füßen zu wandern; sich auf Flügeln oder anderswie zu erheben, kann einen Sturz und alle möglichen Unfälle zur Folge haben, wie Irrtum, Illusion, Extravaganz, Sinnestäuschung und was nicht sonst noch – die üblichen Vorwürfe des positiv erdgebundenen Intellektes gegenüber mystischer Erfahrung; doch wenn ich es überhaupt tun will, muss ich das Risiko auf mich nehmen. Der erwägende Verstand fußt auf der normalen Erfahrung des Menschen und auf einer oberflächlichen, äußeren Wahrnehmung und Auffassung der Dinge und ist nur zufrieden, solange er auf einer mentalen Grundlage arbeitet, die durch die Erderfahrung und ihre angesammelten Daten gebildet wurde. Der Mystiker wendet sich darüber hinaus in einen Bereich, in dem diese mentale Grundlage wegfällt, in dem diese Daten überschritten werden und in dem es ein anderes Gesetz, eine andere Richtlinie der Wahrnehmung und Erkenntnis gibt. Sein einziges Anliegen besteht darin, diese Grenzen zu einem anderen Bewusstsein zu durchbrechen, das die Dinge auf andere Weise betrachtet; und obwohl dieses neue Bewusstsein die Tatsachen des gewöhnlichen äußeren Verstandes mit einbeziehen mag, kann es durch diese nicht eingeschränkt oder festgelegt werden, die Dinge vom intellektuellen Standpunkt aus zu sehen oder in Übereinstimmung mit seiner Auffassung und Begründung und seiner hergebrachten Deutung der Erfahrung. Ein mystisches Betreten des okkulten oder