Название | Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche |
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Автор произведения | Guido Fuchs |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Liturgie und Alltag |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783791762036 |
Haltungen im Gottesdienst und Verhalten bei der Kommunion
Ein „Lümmel“ ist laut „Duden“ ein [junger] Mann, der als frech, ungezogen, als Person mit flegelhaftem Benehmen angesehen wird. Das Wort kommt von dem veralteten „lumm“, was „schlaff“, „locker“ bedeutet und eine ablautende Bildung zu „lahm“ darstellte. Lümmeln oder sich lümmeln bedeutet danach, sich in betont nachlässiger, unmanierlicher Weise irgendwohin setzen, legen, irgendwo stehen, sich rekeln. Zum Beispiel in der Kirchenbank.
Es geht bei der Frage nach dem rechten Benehmen in der Kirche und im Gottesdienst, so viel ist bisher schon deutlich geworden, einmal um das Prinzip der Gemeinschaft, das durch ein bestimmtes Verhalten gestört wird. Daneben steht ein anderes Prinzip, das der Heiligkeit Gottes und des Gottesdienstes bzw. des religiösen Ortes, denen Ehrfurcht und Respekt geschuldet werden. Beide Prinzipien betreffen auch die Haltungen, die man hier einnimmt.
Die Begriffe „Haltung“ und „Verhalten“ hängen nicht nur sprachlich zusammen; die körperliche Haltung spiegelt auch eine innere Einstellung und Befindlichkeit wider, wie es das Beispiel des Lümmels zeigt. Im Gottesdienst spielen Gesten, Gebärden und Haltungen eine große Rolle, wobei die beiden Ersteren vor allem den Liturgen zukommen. Zu den Haltungen der Gläubigen heißt es in der „Allgemeinen Einführung in das Römische Messbuch“: „Eine einheitliche Körperhaltung aller Versammelten ist ein Zeichen ihrer Gemeinschaft und Einheit; sie drückt die geistige Haltung und Einstellung der Teilnehmer aus und fördert sie“ (AEM 20).
Die Haltungen der Gläubigen in der katholischen Liturgie sind das Stehen, Knien und Sitzen. Sie sollen gemeinschaftlich eingenommen werden, wobei es – aus Gründen der Gesundheit oder des Alters, aufgrund von Platzverhältnissen, aber auch aus einem bestimmten Empfinden heraus – Ausnahmen geben kann. Das kann man beispielsweise während des Eucharistischen Hochgebets beobachten, das manche stehend mitvollziehen, andere zuerst stehend, dann kniend, wiederum einige stehend, dann kniend und später sitzend. Ein Spiegel der jeweiligen Frömmigkeit ist dies aber nicht.
Auch im evangelischen Gottesdienst spielen die Haltungen eine Rolle, wenngleich nicht so sehr wie im katholischen, wie Christoph Albrecht in seiner „Einführung in die Liturgik“ (1995) schreibt: „Zeremonien sind nach lutherischem Verständnis weder heilsnotwendig noch für die Einheit der Kirche erforderlich. Wohl aber ist es eine ‚feine äußerliche Zucht‘, sich leiblich zu bereiten, weil die äußere Haltung eine Gestaltwerdung des Inneren ist. Für das Verhalten im Gottesdienst gilt als Grundregel eine gelöst-natürliche, aber doch zuchtvolle Haltung. Saloppes Benehmen ist genauso unangebracht wie geschraubt-steifes Gebaren. Die evangelische Kirche kennt eine Vielzahl von Gebärden, die nicht nur den Pfarrer betreffen, sondern auch jedem Gemeindeglied wohl anstehen.“
Stehen, Sitzen, Lümmeln
Die ursprüngliche Haltung beim Gottesdienst ist die des Stehens, sie drückt die „Freiheit des Christenmenschen“ aus, der durch die Auferstehung befreit ist und aufrecht vor Gott stehen kann. Das Knien ist ein Ausdruck des Sich-klein-Machens, es wird daher im Zusammenhang von Bußriten oder der Anbetung eingenommen. Als Haltung der eucharistischen Frömmigkeit kommt es etwa ab dem Hochmittelalter in die Liturgie. Kniebänke sind bis heute ein Kennzeichen katholischer Kirchen, ebenso wie der Tabernakel, der das Allerheiligste birgt. Das Sitzen kommt relativ spät in die Liturgie; es ist zunächst die Haltung des Lehrens, wie es auch schon biblisch zum Ausdruck kommt (vgl. Mt 5,1–2). Im Begriff „Lehrstuhl“ hat sich das noch erhalten. Das Sitzen ist aber auch Ausdruck des meditativen Hörens.
Grundsätzlich hat die Einführung von Kirchenbänken auch dafür gesorgt, dass weniger in den Kirchen herumgelaufen wurde, was sich noch länger in den südlichen Ländern Europas hielt, wie es Peter Hersche für die Barockzeit schildert. Insofern trugen die Kirchenbänke zu einer Disziplinierung bei, wobei man früher seltener saß als heute. Man kann – zumindest in Deutschland – beobachten, dass das Sitzen inzwischen zur vorrangigen Haltung im Gottesdienst geworden ist. Mehr als die beiden anderen Haltungen des Stehens oder Kniens verführt das Sitzen aber auch zu einem „Es-sich-bequem-Machen“, was der heiligen Handlung der Liturgie nicht angemessen ist bzw. eine andere Einstellung zum Gottesdienst ausdrückt. Den Eindruck, den der Schriftsteller Martin Leidenfrost von einem Gottesdienst in Pressburg schildert, kann man gelegentlich auch in einer katholischen oder evangelischen Kirche bei uns gewinnen:
Tatsächlich macht diese Haltung der übereinandergeschlagenen Beine den Eindruck des Passiven: Mal sehen, was da kommt. Jedenfalls ist sie eine unliturgische Haltung, wie es Walter Kempowski in seinem Roman „Heile Welt“ (1998) zum Ausdruck bringt:
Predigt von der Kanzel, aus: Der Seelen Wurzgart (1483)
Das Sitzen mit übereinandergeschlagenen Beinen gab es allerdings auch schon früher, wie ältere Darstellungen, etwa aus der Reformationszeit, zeigen.
In orthodoxen Gotteshäusern, wo man überwiegend steht und es nur wenige Sitzgelegenheiten gibt, wird streng darauf geachtet, dass man nicht salopp sitzt: Diese Erfahrung habe ich selbst auch als Schüler gemacht, als mir einmal im byzantinischen Gottesdienst des Klosters Niederaltaich ein Pater das Übereinanderschlagen der Beine verbat. Diese Haltung ist nicht nur eine unliturgische; weil die Beine überkreuzt sind, wirken sie auch noch sakrilegisch, wie der Moderator und Schriftsteller Roger Willemsen im orthodoxen Sofia erfahren musste:
Diese Haltung der übereinandergeschlagenen Beine kann man vor allem in Kirchen finden, die bestuhlt sind – in Sitzbänken ist sie nur schwer möglich.
Doch auch in Kirchenbänken kann man es sich „bequem“ machen – und das nicht erst seit unserer Zeit. So beklagte Johann v. Matha Haberl in seiner „Darstellung der kirchlichen Gebräuche und Ceremonien“ Mitte des 19. Jahrhunderts: „Gehe man nur in die nächst beste Kirche und betrachte man die Leute dort, wie sie’s machen. Der sitzt, aber fest sitzt er vom Anfang bis zum Ende der Messe; wenn er nicht sitzen kann (kein Platz für ihn ist), so geht er gar nicht in die Kirche; und der oder die lümmelt da, als ob sie nicht wüßten, wo sie seien, oder als ob sie es absichtlich antrügen und berechneten, sich möglichst ungebührlich und ärgerlich