Papakind. Isolde Kakoschky

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Название Papakind
Автор произведения Isolde Kakoschky
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783967525496



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du bist doch auch klug, nur eben anders als ich«, machte Franzi ihrem Bruder liebevoll klar.

      »Ich kann vielleicht besser schreiben und schneller rechnen, aber du kannst viel bessere Buden bauen und mein Fahrrad kannst du auch besser reparieren!«

      »Du hast recht«, stimmte Alex seiner Schwester erleichtert zu. Und außerdem half ihm Franzi ja auch immer bei den Hausaufgaben. Und sowieso war ihm das jetzt doch egal, morgen noch das dumme Zeugnis abholen und dann: Ferien!

      Am nächsten Morgen brachen die Geschwister gemeinsam zur Schule auf. Wer sie von hinten sah, dachte zwangsläufig, es wäre der große Bruder mit seiner kleinen Schwester. Der braunhaarige Alex überragte seine zierliche blonde Schwester fast um einen ganzen Kopf. Franzi trug ihre blonden Locken neuerdings immer offen, nachdem sie sich erfolgreich gegen die von der Mutter bevorzugten Zöpfe gewehrt hatte. Sie war fast 13, nicht drei Jahre!

      An der letzten Hausecke vor der Schule trennten sie sich. Nun ging jeder für sich auf seine Freunde, die schon in Grüppchen zusammenstanden, zu.

      »Hallo, Verena!«, begrüßte Franzi ihre beste Freundin. Sie hatte nicht gleich von Anfang an eine richtige Freundin gehabt. Erst als Verena in die Klasse kam, freundeten sie sich an und waren schon bald unzertrennlich, obwohl sie einige Kilometer voneinander entfernt wohnten. Doch zum Glück hatte der Opa dann seiner Enkelin ein Fahrrad geschenkt, und die Entfernung war nicht mehr so schlimm.

      »Ich kann noch gar nicht glauben, dass unsere Klasse heute zum letzten mal so zusammen ist.« Was Franziska bis jetzt in ihren Gedanken verdrängt hatte, machte sich nun, angesichts der fröhlich plappernden Mitschüler, deutlich bemerkbar.

      »Glaub mir, so schlimm ist das gar nicht«, antwortete Verena. »Ich dachte das auch erst, als wir umgezogen sind, aber dann waren doch alle ganz nett und außerdem haben wir uns ja dadurch getroffen.« Das war sicher richtig, doch in Franziska machte sich eine Angst davor breit, was in der neuen Schule passieren würde.

      Die Klingel rief die Kinder ins Klassenzimmer. Offiziell war noch eine Stunde Unterricht, ehe die Zeugnisse ausgegeben wurden. Doch an lernen dachte heute keiner mehr. Als die Lehrerin fragte, ob sie noch was gemeinsam lesen wollten, schallte es wie ein Chor durch den Klassenraum: »Der brave Schüler Ottokar«. Obwohl alle das Buch kannten, konnten sie nicht genug davon bekommen. Es war wie ein guter Film, den man immer wieder ansehen kann.

      »Also gut«, lächelte Frau Breitling und begann zu lesen:

       »Über die Schönheit unserer Namen … Für Knaben ist es schon schwerer, solch einen klingenden Namen zu finden, worunter es sehr seltene gibt. Zum Beispiel bekam der Sohn einer Mutter, welche manchmal in unserer Heimatzeitung dichtet, den seltenen Namen RainerMaria Senf. Warum er einen Mädchennamen angehängt kriegte, weiß ich nicht. Vielleicht ist bei der Geburt etwas verpatzt worden. Es wird sich später in der Schule herausstellen, auf welche Toilette er geht, und man muß das testen.«

      Die Klasse bog sich vor Lachen. Auch Franziska mochte das Buch und lachte über den herrlichen Wortwitz. Doch bei den nächsten Kapiteln hörte sie schon nicht mehr richtig zu. Sie dachte über die Veränderungen nach, die sie nicht aufhalten konnte, und die doch kommen würden. Ihre alte Schule wurde geschlossen. Die Kinder wurden ab dem nächsten Schuljahr in andere Schulen aufgeteilt. Selbst auf Geschwister hatte das Amt keine Rück-

      sicht genommen. Nach den Ferien musste Alexander in eine andere Schule als Franziska gehen, genau wie viele ihrer Mitschüler. Franzi schüttelte sich innerlich, sie hasste Veränderungen, und sie hasste Trennungen.

      Das laute Lachen der Mitschüler riss Franzi aus den Gedanken. Und nun klingelte es auch schon zur Pause, die letzte hier, doch keiner außer ihr schien das zu bemerken.

      »Na Kinder, dann wollen wir mal!« Frau Breitling stand am Lehrertisch, vor sich den Stapel mit den Zeugnissen. »Ihr habt alle fleißig gelernt in diesem Schuljahr. Und so muss keiner Angst haben, alle sind in die 7. Klasse versetzt.« Von einigen war ein deutliches Aufatmen zu vernehmen.

      Frau Breitling nahm nacheinander die Zeugnisse vom Tisch und rief die Kinder nach vorne. Für jeden hatte sie noch ein nettes Wort, eine freundliche Geste. Sie hatte diese muntere Schar in den vergangenen zwei Jahren richtig lieb gewonnen und die Jungs und Mädchen mochten sie auch.

      Nun lag nur noch ein Zeugnis auf dem Tisch.

      »Und das beste Zeugnis bekommt auch dieses Jahr wieder unsere Franziska Zandler. Daran könnt ihr sehen, auch kleine Leute können ganz schön viel Grips haben!« Die anderen klatschten und Frau

      Breitling beugte sich zu Franzi herunter und übereichte ihr noch ein Buch als Anerkennung.

      Franziska ging zu ihrem Platz und setzte sich neben Verena, während Frau Breitling vorne tief durchatmete.

      »Nun müssen wir uns voneinander verabschieden. Ich wünsche euch alles Gute in der neuen Schule! Ihr werdet das schon schaffen! Aber erst einmal sind Ferien, draußen lacht die Sonne. Ihr könnt heute noch ins Schwimmbad gehen. Viele von euch werden mit den Eltern verreisen oder ins Ferienlager fahren. Habt viel Spaß in den Ferien und kommt gut erholt zurück. Und noch was, zeigt ruhig, dass ihr was gelernt habt und blamiert mich nicht!«

      Ein leises Kichern ging durch die Reihen, ehe die Kinder aufstanden, um sich nach und nach von ihrer Klassenlehrerin zu verabschieden und nach draußen zu gehen.

      »Kommst du mit ins Bad?«, wollte Verena von Franziska wissen.

      »Nein, ich werde nachher noch der Mutti beim Packen helfen, wir fahren ja morgen zu den Großeltern nach Halle. Ich bleibe noch zwei Wochen dort.«

      »Das ist schade, wenn du wieder kommst, bin ich bei meinen Großeltern. Aber wir können uns ja Briefe schreiben.«

      Die Freundinnen verabschiedeten sich mit einer langen Umarmung und gingen in verschiedene Richtungen heimwärts.

      Auf dem Heimweg trafen Franziska und Alexander wieder zusammen. »Und«, fragte Franzi ihren Bruder, »wie sieht dein Zeugnis aus?« »Na ja, es geht so. Aber wenigstens sagt im nächsten Schuljahr kein Lehrer mehr zu mir, ich soll mir an dir ein Beispiel nehmen. Die kennen dich dann nämlich gar nicht!« Alexanders Erleichterung war nachvollziehbar und linderte ihren eigenen Schmerz ein wenig.

      Zu Hause liefen die Geschwister gleich in die Küche, wo ihre Mutter schon bei den Vorbereitungen für das Mittagessen war.

      »Na, zeigt mal her!«, forderte sie die Kinder auf.

      »Hier Mutti, ich bin wieder Klassenbeste! Und ein Buch habe ich auch noch bekommen!« Voller Freude hielt Franzi ihr Zeugnis in die Höhe.

      »Ich hatte nichts anderes erwartet, leg es zum Unterschreiben in die Stube.« Franziska schluckte heftig, als sie sah, wie die Mutti ihren Bruder in den Arm nahm. »Und du, mein Süßer, zeig doch mal,

      wie es geworden ist. Na super, ich bin stolz auf dich!«

      Mit ihrem Zeugnis lief Franziska aus der Wohnung. Sie musste erst mal hier weg. Nebenan wohnte ihre Oma Klara, die Mutter ihres Vaters. Ohne zu klopfen stürmte sie in die gute Stube der Großmutter. »Oma, ich bin wieder die Beste! Aber Mutti hat sich gar nicht richtig gefreut. Den Alex hat sie gedrückt, mich gar nicht.« Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben.

      »Ach Franzi, du weißt doch, der Kronsohn geht ihr über alles, nimm es nicht so schwer. Warte nur, bis dein Vati kommt, der freut sich bestimmt ganz doll, und ich auch! Hier, meine Große, kauf dir was Schönes!« »Danke, Oma!« Franziska umarmte ihre Oma. Die 10 Mark waren schon gut, aber Omas liebe Worte waren mehr wert.

      Beim Mittagessen hatte sich Franzi wieder beruhigt. Es war ja nichts Neues, die Zuneigung war in der Familie gleichmäßig verteilt, Mutti liebte besonderes ihren Sohn und Franziska war eben das Papakind.

      Am Nachmittag half sie der Mutter beim Sachen packen. Franzi sollte ja zwei Wochen in Halle bleiben, da wollte alles gut durchdacht sein. Ihr wäre ja lieber gewesen, wenn Alex auch mit bei den Großeltern geblieben wäre, aber so viel Platz gab es dort nicht. Es gab eigentlich schon genug Platz, aber er war eben blöd verteilt. Wieso brauchten aber auch