Название | Hölle auf zwei Rädern |
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Автор произведения | Kerrie Droban |
Жанр | Зарубежная психология |
Серия | |
Издательство | Зарубежная психология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783854453727 |
Das Haus meiner Großeltern lag in der Nähe der Gallagher Elementary, meiner dritten Schule in drei Jahren. Die Verwaltung verpasste mir den Stempel Sonderschüler. Eigentlich hätte man mich auch gleich als geistig zurückgeblieben brandmarken können. Die „Sonderschüler“ wurden in Anhänger verfrachtet, drückend heiße Blechcontainer, die in der Nähe des Campus standen, als wären sie Mülltonnen. Ich hatte Legasthenie und – inoffiziell – ADHD, obwohl die Ärzte das damals noch als Hyperaktivität klassifizierten und so ein Verhalten einem „schlechten Elternhaus“ zuschrieben. Ohne offizielle Diagnose gab es keine Medikamente, nur den Ratschlag der „liebevollen, aber nachdrücklichen“ Erziehung. Die Schule vermittelte mir das Gefühl, ein Aussätziger, ein „böses Kind“, ein „verrückter und wilder“ Nachkömmling der Pagans zu sein. Ja, und genau dazu hatte mich das Leben gemacht.
Manchmal machte es mir Spaß, wenn sich das Gesicht der Schulleiterin verzog, als hätte sie Verdauungsbeschwerden, denn diese Reaktion auf mein Verhalten konnte ich kontrollieren. Mir fiel es viel leichter, einfach dem Stempel zu entsprechen, den sie mir aufdrückten, als zu erklären, was mit mir geschehen war. Und mehr brachte die Schule auch nicht zustande – sie beschrieben mein Verhalten, als wäre ich ein Virus, mit dem sie sich angesteckt hatten, den sie aber nicht ausmerzen konnten. Es gab einfach keine Förderprogramme.
„Anthony erscheint leicht hyperaktiv und manchmal verdunkelt sich seine Persönlichkeit.“ Das berichtete die Schulschwester meiner Mutter, nachdem ich wegen unkontrollierbaren Schreiens zu ihr geschickt worden war. „Wir machen uns Sorgen. Hat er ihnen schon mal von imaginären Freunden erzählt?“
„Er ist nun mal kein Überflieger“, lautete Mums lapidare Erklärung, als würde das alles erklären.
„Weißt du, warum du hier bist?“ An einem bedeckten Nachmittag saß ich bei der Direktorin und verschwand fast in der weichen Ledercouch, während sie bedrohlich über mir thronte. Ihr Schreibtisch wirkte wie ein riesiges Portal aus Eichenholz, das in der Mitte des Raums schwebte, und ich fühlte mich kaputt, als würde ich keinen Halt mehr finden. Sie war aufgedunsen, hatte große Zähne und dicke Wurstfinger, die sich an den Spitzen bläulich verfärbten. Auf dem Tisch lagen überall kleine Papierkügelchen.
„Sollen das hier Anschauungsobjekte sein?“
Sie zog die Augenbrauen hoch und zermalmte eins der Kügelchen. „Und wie nennst du das?“
„Das kleinste Papierstück der Welt!“
„Willst du hier den Neunmalklugen spielen?“ Sie faltete einen der kleinen Bälle und las die Beschriftung laut vor. „Zig-Zag Zigarettenpapier?“
Dann eine Pause. Ich hörte die rauen, kurzen und schnellen Atemzüge. Sie hielt wieder die Luft an. Der Regen hämmerte gegen das Fenster. Ich starrte in meine Spiegelung, lang und unförmig, als würde mein Gesicht schmelzen. Meine Augen richteten sich auf den Rasen und Mum, die auf das Gebäude zu stolperte, ihr blondes, nasses Haar wie ein Tuch an ihr klebend. Ihre Arme waren wieder mal mit Mullbinden umwickelt. Ich sprang vom Sofa und flitzte in den prasselnden Regen, um ihr zu helfen. Sie stank nach Alkohol. Die weiten, blutunterlaufenen Augen waren mit Tränen gefüllt.
„Wegen dir musste ich hierher latschen“, giftete sie.
„Es ist alles in Ordnung, Mum.“ Ich legte einen Arm um sie, stützte ihren zerbrechlichen Körper und hielt sie fest an mich gedrückt, während wir zum Haus ihres Freundes, eines Dachdeckers, gingen. Mir tat es leid, dass die Schule sie angerufen hatte. Vielleicht hätten sie sich lieber an meine Großeltern wenden sollen. Doch die Leitung war wegen meiner Lebensumstände ziemlich verwirrt. Auch ich hatte Probleme mit der Frage, wie viel Raum ich in Anspruch nahm und warum meine Mutter keinen Platz für mich hatte.
Am nächsten Tag wurde ich gefragt, ob meine Mum oft trinkt. Die Direktorin nahm ihre Brille ab und putzte sie mit dem unteren Teil des Pullovers. Ich saß wieder in ihrem Büro, diesmal wegen einer „Obszönität“. Unbehaglich rutschte ich auf dem Stuhl hin und her. Ich studierte aufmerksam die Frau, als wäre sie ein Teil meiner Wespensammlung, eine Kuriosität hinter Glas. Ich befand mich auf der sicheren Seite, wenn ich von außen nach innen schaute. Doch noch wichtiger empfand ich es, dass Mutter in Sicherheit war. Vor dem geistigen Auge sah ich sie auf der Kante meines Bettes sitzen. Sie trank die letzte Dose Bier aus dem Kühlschrank, pausierte nur kurz, um den Rauch der Zigarette gierig zu inhalieren. Mum neigte den Kopf, streichelte mir durchs Haar und meinte mit einem angedeuteten Lächeln: „Ich hätte dich auffressen sollen.“
Obwohl sie den Spruch oft im Spaß wiederholte, versetzten mir die Worte einen Stich, denn in ihren Augen sah ich die altbekannte Gewalt auflodern. An manchen Morgen betrachtete ich mein Spiegelbild, und mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich erkannte die eisige Kälte, einen explosiven Ausdruck, der dem Inneren einer Bombe glich. Ich ballte die Fäuste, ließ los, ballte sie wieder und verteilte Hiebe in der Luft, sprach mit mir selbst und fühlte mich manchmal, als würde ich überschnappen.
Wie zum Beispiel in diesem Moment, in dem ich meine schlafende Mutter beobachtete. Das Licht fiel schräg in das Zimmer und die Bettdecke wurde durch den Luftzug des Deckenventilators leicht gekräuselt. Ich lauschte angestrengt ihrem Atem. Ich dachte, sie wäre tot und verkroch mich panisch in eine Ecke im Wohnzimmer, steckte mein Gesicht in ein Kissen und weinte drauf los.
Den Lehrern erzählte ich, ich wäre von einem Insekt gestochen worden und deshalb sei mein Gesicht so rot und aufgedunsen. Ich versteckte mich in dunklen Winkeln, hinter den aufgehängten Mänteln, die aussahen als wären sie kopflose Kinder. Ich konnte nicht mit meiner Verletzlichkeit umgehen und wurde deshalb ein knallharter Typ. Noch bevor ich zehn war, zerrte ich kleine Mädchen in Wandschränke und hatte Sex mit ihnen. Ich verletzte sie, weil ich verletzt worden war und mich diese Schmerzen in einen schäbigen Menschen verwandelt hatten. Plötzlich stand mein Leben auf dem Kopf, ohne jegliche klare Linie, nur auf die primitivsten menschlichen Emotionen wie Gier und Lust beschränkt. Ich dachte nicht mehr nach. Ich empfand nichts mehr. Ich bedauerte nichts. Ich entwickelte mich nicht mehr.
Manchmal stellte ich mir vor, eine andere Mutter zu haben, eine, die wenigstens einer Hilfsarbeit nachgeht, deren Namen ich ohne Scham aussprechen konnte, die mir bei den Hausaufgaben half, die mich nach der Schule abholte, wie die anderen puppenhaften Frauen mit den aufgespritzten Lippen, die passende Kleidung trugen und große Einkaufstaschen schwenkten. Sie dufteten nach Blumen. Mutter beschwerte sich dagegen, dass die Sonne zu grell schien und sie von ihr geblendet wurde.
„Wir können dir helfen“, unterbrach die Direktorin meinen Gedankenfluss. Mir helfen? „Erzähl mir doch was über dein Zuhause.“
Ich erinnerte mich an den Morgen, an dem ich völlig aufgeregt aufwachte. Meine Klasse hatte einen Schulausflug zur Freiheitsglocke nach Philadelphia geplant. Bisher war ich nie über die Grenzen von Delaware County hinaus gekommen. Helle Sonnenstrahlen fielen ins Zimmer, und Eiszapfen hatten sich kristallähnlich an der Oberseite des Fensters gebildet. Auf dem Tisch in der Küche lag Angel Dust verstreut. Eine Art weißer Schleier zog über die schlafenden Körper. Ich trat versehentlich auf Mums verknotetes Haar, und sie regte sich, gähnte und warf meine Gummistiefel weg.
„Ich werde heute die Freiheitsglocke sehen“, sprudelte es aus mir heraus. Sie zog sich ein Kissen über den Kopf. Mir war schon kalt, aber nun begann ich zu zittern. Cheese, ein Freund meiner Mutter von den Pagans, lag alle viere von sich gestreckt und halb nackt auf der Couch neben ihr, setzte