Lorettoberg. Volkmar Braunbehrens

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Название Lorettoberg
Автор произведения Volkmar Braunbehrens
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839241462



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Gesellschaft. Mal sah man ihn tanzen, dann stand er wieder entspannt unter einer Gruppe, ein gut gelaunter Gastgeber, der jeden willkommen hieß und mit Komplimenten nicht geizte. Mal hier, mal dort, man hatte den Eindruck, dass er gerne mit jedem ins Gespräch gekommen wäre. Gleichwohl vermied er jede Förmlichkeit, die den Eindruck erwecken konnte, er fühle sich nur einer Gastgeberrolle verpflichtet. So bemühte er sich keineswegs darum, Gäste miteinander bekannt zu machen, er wäre damit auch sicher überfordert gewesen, da er von vielen nicht einmal die Namen gekannt hätte. Aber wo er hinzutrat, beförderte er jene zwanglose Stimmung, die es jedem ermöglichte, sich ins Geplauder zu mischen. Wenn es ihm gefiel, fing er mitten im Small Talk an zu tanzen, blinkerte einer Schönen aufmunternd zu und hatte sie schon gewonnen, aber es gelang ihm ebenso, den Tanz wieder zu beenden, seine kurzzeitige Partnerin in die Runde zurückzuführen, ohne dass sie sich verlassen fühlen konnte, und sich einer anderen Traube zuzugesellen.

      Das Gewirr der Stimmen, die mal näher, mal entfernter durcheinanderwuselten und sich der Musik als ein farbig brummendes Grundregister hinzumischten, war nur selten zu verstehen, höchstens ein paar Satzfetzen, wenn man sich einem Gegenüber direkt zuwandte. Erhellendes war nicht zu erwarten.

      »Ach, Sie sind auch hier?«

      »Nun ja, die üblichen Verdächtigen eben.«

      Legrand hatte sich inzwischen in die Nebenräume begeben und suchte etwas zu trinken. An der Getränkebar ließ er sich die Rotweinflaschen zeigen und wählte dann einen französischen Wein. Zu dem Pulk von Leuten, die dort mit Gläsern in der Hand herumstanden, sagte er:

      »An den badischen Roten muss ich mich erst noch gewöhnen. Der ist mir oft zu fruchtig und ein bisschen direkt.«

      Der Galerist Albert Baumgarten, der das hörte und schon längst mit Legrand in Kontakt treten wollte, widersprach heftig und nannte eine Reihe von Winzern der hiesigen Gegend, die tiefgründige und in ihrer Eigenart hervorragende Rotweine kreieren könnten. Da mischte sich Franz Armin Morat, der bekannte Kunstsammler mit dem weißen Rauschebart, ein und meinte zu Legrand, er müsse ihm insofern recht geben, als er unter den Weinen hier an der Bar auch den französischen bevorzuge. Mit den übrigen Umstehenden schloss sich ein kleines Weinseminar an, ohne dass Baumgarten die Gelegenheit fand, das Thema auf die Legrandsche Kunstsammlung zu lenken. Denn Legrand war längst weitergezogen und suchte nach einem Häppchen zu essen.

      Mittlerweile kam zum dämpfenden Lärmpegel auch noch der Brodem der Ausdünstungen der eng Beieinanderstehenden.

      »Ich muss mich einmal ein bisschen frisch machen.«

      »Näschen pudern?«

      »Pffh. Kommst du mit?«

      Schließlich hatte sich Legrand in das Obergeschoss begeben, wo weitere Gäste auf ihn warteten.

      VI.

      Dort oben reihten sich eine Reihe von Gemächern aneinander, die wohl alle nur für diesen Abend mit Klubmöbeln ausgestattet waren, Sitzgarnituren der bequemen Art in größerem Kreis arrangiert, jedoch nur ausgeliehen von einer Firma, die für solche Events oder Filmsets die nötige Ausstattung bereithielt. Von persönlichen Möbeln oder Einrichtungsgegenständen war nichts zu sehen, alles nur zweckmäßige Dekoration – mit Ausnahme der Bilder, die zwar sehr verschiedene Kunstrichtungen repräsentierten, aber kaum unter Gesichtspunkten allgemeiner Gefälligkeit ausgewählt waren. Es war ein Teil von Legrands Sammlung, die hier einen neuen Ort gefunden hatte. Und sie zeigte Vorlieben sehr individueller Art, war nicht nach repräsentativen Gesichtspunkten zusammengestellt und orientierte sich auch nicht an den Highlights des Kunstmarktes. Nicht, dass nicht auch einiges darunter gewesen wäre, um das ihn manches Museum zeitgenössischer Kunst beneidet hätte, aber es waren keine hochpreisigen Sensationsbilder darunter, die von den internationalen Auktionshäusern hochgepuscht wurden. Kein Polke, kein Baselitz oder Richter, obschon Legrand sich vielleicht einiges davon hätte leisten können, und was er von der heutigen Preisavantgarde besaß, hatte er sicher schon vor 20, 30 Jahren gekauft. Aber davon war hier nichts zu sehen, wahrscheinlich hingen solche Bilder noch in seiner Hamburger Villa.

      In einem der Räume saß eine Runde zusammen, die vorwiegend aus Medizinern bestand, die sich gerade über das letzte Masur-Konzert beim Baden-Badener Festival unterhielten.

      »Einfach Weltklasse.«

      »Dieser Brahms, geradezu überwältigend.« Beim Gielen-Konzert in Freiburg mit Schreker, Bartok, Berg und Schönberg würde man sicher keinen dieser Begeisterten sehen können.

      »Das ist mir einfach zu anstrengend. Nach einer Sectio ist mir nicht nach Schönberg.« Wieherndes Gelächter.

      In diesem Moment kam Rolf Böhme herein und wurde respektvoll nachsichtig begrüßt. Man rückte zusammen, ein leerer Sessel wurde herbeigeschoben und bald hatte Böhme einen Zuhörer für sein Lieblingsthema gefunden, wie die Freiburger in der Nazizeit mit den Juden umgegangen waren. Die beiden setzten sich etwas abseits, direkt unter ein Gemälde von Peter Herrmann, aber sie beachteten es nicht. Im sehr schmalen Hochformat sah man vor türkisfarbenem Hintergrund, mit grobem Pinsel gemalt und doch äußerst effektvoll, ein Mädchen im schwarzen Kleid, die Träger verrutscht, mit breitem Grinsen. Der Clou war, dass nur der lachende Mund mit hässlichen Zähnen zu sehen war, schon in der Höhe der Nase war das Bild abgeschnitten, das nur Kleid, Dekolleté und die untere Gesichtshälfte zeigte.

      Die anderen waren bald bei Themen aus der letzten Fakultätssitzung angelangt, opferten dies aber bald der sich ausbreitenden Fröhlichkeit. Einer, der vielleicht schon etwas angeschickert war, trällerte vor sich hin: »Pfingsten das liebliche Fest ist gekommen …« und wurde sogleich unterbrochen:

      »Pfingsten noch nicht. Wir hatten ja gerade erst Ostern.«

      »Aber mir ist so pfingstlich wohl bei diesem – wie nennen wir ihn? Eduard?«

      »Legrand heißt er.«

      »Ich nenne ihn Eduard.«

      »Wovon redet der eigentlich?«

      »Von Goethe. Heute ist doch Walpurgisnacht.« Und jetzt stimmten einige in die wiegende Melodie ein: »Wal-purgis-nacht, Wal-purgis-nacht«, die ihnen noch vom letzten Bayreuth-Besuch im Ohr war.

      Es dauerte nicht lange, als Dieter Salomon in die Tür schaute, sich aber gleich abwandte, als er seinen Vorgänger im Amt entdeckte, und weiterzog. Dass die beiden sich nicht viel zu sagen hatten – und wenn, dann zu viel zu sagen gehabt hätten –, war allgemein bekannt. Sie gingen sich besser aus dem Weg. Aber unbemerkt blieb es nicht. Ein gutaussehender, verschmitzter jüngerer Mann machte ihm eine lange Nase nach und einige lachten. Vor der Tür kamen jetzt junge Leute vorbei, ein reges Kommen und Gehen. Eine langbeinige Schönheit hatte die Verspottung des Bürgermeisters mitbekommen und erwiderte unwillkürlich mit einer ausgestreckten Hand vor ihrer Nase die Geste, wobei sie den Schalkhaften verführerisch anlächelte. Wenig später standen die beiden im Flur und turtelten miteinander.

      Im nächsten Raum hing ein Bild in blau-beigen und rosa-hautfarbenen Tönen von Alexa Rudolph, das einen Engel im applizierten Kunststoff-Nachthemd zeigte, der nach einem bereits zerfetzten Regenschirm am Himmel griff, ein echter Schirm mit zerstörtem Gestänge war flach auf die Leinwand aufmontiert. Hier saß eine gänzlich andere Gesellschaft und der Oberbürgermeister war hochwillkommen. Es waren Unternehmer, Geschäftsleute, Vertreter der Industrie- und Handelskammer. Man flachste herum und fragte sich, warum denn der Unmüßig nicht da sei, ein allseits bekannter Bauunternehmer und Projektemacher, ob der etwa nicht eingeladen worden sei. Allerlei Spekulationen schlossen sich an, die bald bis zu ausgelassenen Vermutungen gingen. Salomon amüsierte sich köstlich, sagte aber nichts. Mit unbestimmbarem Interesse sah er schließlich auf andere Bilder an der Wand, lauter Original-Plakate von Jörg Immendorff aus der Mitte der 70er-Jahre. ›Sofortiger und bedingungsloser Abzug aller USA- und Marionettentruppen aus Indochina‹, las man da auf rotem Grund und ein ausgestrecktes Bein ragte ins Bild, das einen grünen kleinen Soldaten im Kampfanzug, der wie eine Kakerlake aussah, einfach wegkickte. Und auf einem anderen stand lediglich in gelben Lettern auf rotem Grund: ›Das tun, was zu tun ist.‹

      Währenddessen