Zum ersten Mal wirkte der berühmte Koch ein wenig menschlicher, nicht mehr so glatt und perfekt. Er strich sich mit der Hand über die Augen. Eine gewisse Müdigkeit schimmerte durch.
»Sind Sie fertig mit der Aufzeichnung?«
»Mit der zweiten heute meinen Sie? Leider noch nicht. Wir mussten unterbrechen, weil unser Kandidat aus der Endrunde sich beim Gemüseschneiden verletzt hat.«
»Oh, so schlimm?«
»Nicht so dramatisch. Es hat halt geblutet, und jetzt muss er erst einmal verarztet werden. Mal sehen, wie wir das hinkriegen, wo die Zuschauer doch glauben sollen, die Sendung wäre live. Na ja, das soll nicht mein Problem sein. Das muss die Regie reparieren.«
»Ihre Sendung ist sehr beliebt«, stellte Angermüller fest.
»Ja, ›Voilà Lebouton!‹ ist auch nach sieben Jahren immer noch sehr erfolgreich.«
Lebouton straffte sich und setzte sein Profilächeln auf.
»Aber man muss auch was dafür tun, dass die Quote stimmt. Von allein läuft da gar nichts, glauben Sie mir. Der Erfolg ist ein zweischneidiges Schwert …«
»Sagen Sie, Herr Lebouton, ich muss noch einmal auf meine Frage von vorhin zurückkommen, die geschäftliche Lage Ihres Unternehmens … Wir haben gehört, Sie hätten mit Ihrem Partner von Güldenbrook in letzter Zeit häufiger Auseinandersetzungen gehabt, wobei es immer um die Finanzen gegangen sein soll. Gibt es Schwierigkeiten?«, formulierte Angermüller sorgfältig.
Die Miene des Starkochs wurde eisig.
»Wer kolportiert solche Dinge? Na ja, ich kann mir schon denken, aus welcher Ecke das kommt. Die Leute haben keine Ahnung. Die Marke Lebouton ist fest im Markt etabliert, und unsere Firmen entwickeln sich für heutige Verhältnisse prächtig.«
»Und Ihr häufiger Streit mit Christian von Güldenbrook in den letzten Wochen?«
»Was heißt hier in den letzten Wochen?«, Lebouton ließ ein trockenes Lachen hören. »Wir haben uns immer heftig auseinandergesetzt! Nur das Wort Streit ist völlig fehl am Platze. Mit Christian konnte man nicht streiten, dazu war er viel zu beherrscht, zu wenig emotional. Ihm ging es nur um die Sache. Christian war ein Buchhalter, ein äußerst korrekter, ein sehr sparsamer! Seiner norddeutschen Puritanerseele war aller Überfluss zuwider, und das mit einer Gourmetküche in Einklang zu bringen, die nur von besten Zutaten lebt und aus dem Vollen schöpft, war ein äußerst schwieriger Prozess. Immer wieder! Er konnte um jedes Stück Butter kämpfen. Und wissen Sie, was ich glaube?«, Pierre Lebouton hielt einen Moment inne und sah zum ersten Mal eindringlich von Angermüller zu Jansen. »Ich glaube, das war das Geheimnis unserer erfolgreichen Zusammenarbeit, dass jeder wieder und wieder seine Argumente überprüfen musste, denn am Schluss haben wir uns ja doch immer geeinigt.«
»Es läuft also alles bestens, und alles war wie immer, nach Ihrer Meinung, und was uns von den verschiedenen Zeugen gesagt wurde …«
»Sind alles aus der Luft gegriffene Gerüchte. Erfolg produziert Neid, besonders bei den Erfolglosen. Es ist verlorene Zeit, darüber zu reden.«
Lebouton sah auf seine Armbanduhr.
»Ich muss jetzt wieder ins Studio. Sie entschuldigen mich …«
Er fragte nicht, ob er gehen könne. Es war klar, dass er bestimmte, wann er wie lange den Beamten Rede und Antwort stand. Schon hatte er die Hand am Türgriff.
»Sind Sie manchmal etwas unbeherrscht, Herr Lebouton?«, fragte Angermüller. Der andere ließ den Türgriff wieder los.
»Wie meinen Sie das?«
»So wie ich es sage: Können Sie aufbrausend sein, sehr wütend werden, vielleicht auch einmal lauter in Auseinandersetzungen oder wenn Sie sich ärgern? Werden Sie handgreiflich oder schmeißen Sie mit Gegenständen?«
»Was soll das? Meinen Sie, ich gehe mit einem Messer auf andere los?«
»Wir haben gehört, dass Sie manchmal etwas impulsiv reagieren.«
»Lehrjahre sind keine Herrenjahre, wenn Sie das meinen. Ich habe noch nie jemandem körperlichen Schaden zugefügt.«
»Na gut, dann wollen wir Sie nicht länger aufhalten. Sind Sie so nett und schicken uns kurz den Regisseur, den Herrn Prantl, herein?«
»Aber wirklich nur kurz, meine Herren! In einer Viertelstunde wollen wir weiterarbeiten.«
Angermüller nickte.
»Ach, Herr Lebouton, eine allerletzte Frage noch …«
Dem Kommissar war plötzlich etwas eingefallen.
»Sagt Ihnen der Name Carola Dohse etwas?«
»Nicht, dass ich wüsste«, sagte Lebouton ungehalten. »Wer soll das sein?«
»Das ist eine Dame, die Restaurantkritiken schreibt und über alle möglichen Gourmetthemen berichtet, für die Lübecker Zeitung und noch so ein paar Lokalmedien. Ihr Kürzel ist CD.«
Das Gesicht des Meisterkochs drückte Gleichgültigkeit aus.
»Den Namen der Dame habe ich noch nie gehört, und abgesehen davon: Dieses Journalistengeschmiere interessiert mich sowieso nicht. Guten Tag, meine Herren!«
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