The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart

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Название The Who - Maximum Rock I
Автор произведения Christoph Geisselhart
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия The Who Triologie
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854454151



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befindlichen Sänger Lee Stuart alias Tony Marsh gewesen sein könnten. Ich halte das für unwahrscheinlich; eher kommen The Altones in Frage, über die man bis heute nicht viel mehr weiß, als dass sie aus „Schulkameraden“ von Keith bestanden. Wie auch immer: Es gelang Peter Tree und Michael Evans recht schnell, Keith abzuwerben. Seine Wembley-Band war sich anscheinend unschlüssig, ob sie überhaupt weitermachen sollte, und Keith hatte wie Peter und Mike ehrgeizige Pläne. Mit den Escorts war er nicht richtig vorangekommen, auch weil sein Freund Gerry, der Schlagzeugverkäufer, als offizieller Drummer der Band galt und Keith sich in der Rolle des heimlichen Statthalters gar nicht wohl fühlte. Gerry Evans und Mike Evans, waren übrigens nicht miteinander verwandt, sondern hatten nur zufällig den gleichen Nachnamen.

      Die offensichtliche Abweichung in der Bewertung von Keiths Fähigkeiten am Schlagzeug – Gerry fällte bekanntlich ein vernichtendes Urteil, während der Rest der Escorts und nun auch Peter und Mike von Keiths Spielweise begeistert waren – spricht dafür, dass es zumindest halb verdeckte Spannungen zwischen den beiden­ Drummern gab. Mit den ersten Lehrstunden von Carlo Little im Sommer 1962, als Keith Gerry im Urlaub vertrat, war Keith auf jeden Fall eine ernsthafte Konkurrenz geworden.

      Die „Promotionfotos“, die Peter Trees Vater im Garten seines Hauses in Sussex­ von der Gruppe machte, beweisen, dass Keith damals in beiden Formationen aktiv war – offenbar ohne dass die eine Band von der anderen wussten; weder Escorts noch Strangers erwähnten je in Interviews eine Doppelbeschäftigung von Keith.

      Mike und Peter fanden im Gitarristen Barry Foskett bald den vierten Mann für ihr Quartett. Sie nannten sich ganz literarisch Mark Twain & The Strangers, was vermuten lässt, dass die älteren drei Bandmitglieder eine etwas umfassendere­ Bildung genossen hatten als der zwar vor Ehrgeiz, nicht aber vor bibliophilem Wissen sprühende Marvel Comic-Leser Keith Moon.

      Wieder war er der jüngste in der Gruppe, ihr Mittelpunkt und ihr heimlicher Antreiber. Seine Fähigkeit, andere Menschen mit Witz, Mut und Tatkraft zu erobern und sie im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel über trennende Unter­schiede­ wie Alter, Status oder Bildung hinweg zusammenzuhalten, zeigte sich auch im Fall der Strangers.

      Keith gab den Takt vor, im Leben wie im Spiel, schwankend, oft ungenau und unreif zwar, aber unbestreitbar vital; er zeigte den anderen, wo es seiner Meinung nach lang ging, zum Beispiel indem er in seinem Goldlamé-Anzug auftauchte, den er inzwischen erworben hatte – für weit mehr Geld, als er verdiente, weswegen Vater Moon sicher mal wieder eingesprungen war. Gerry jedenfalls erzählt, dass allein die Anzahlung für den Anzug weit höher war als der gesamte Kaufpreis des Schlagzeugs, das er Keith vermittelt hatte. Innerhalb kurzer Zeit waren Peter, Mike und Barry bereit, sich ebenfalls solche­ glitzernden Anzüge schneidern zu lassen. The Strangers dürften damit ihrem Gruppennamen optisch ziemlich gerecht geworden­ sein; jedenfalls berichtet Keiths Schwester Linda, dass ihr Bruder den Verkehr in der Chaplin Road zum Erliegen brachte, als er ­seinen Bühnendress einem Freund aus der Nachbarschaft vorführte.

      Während Keith im Norden von London lebte, wohnten Peter und Mike im Zentrum; Barry hingegen lebte im Südwesten, in East Hill, wo auch der Proberaum zu finden war, in dem sich alle zweimal in der Woche zum Üben trafen. Als Drummer naturgemäß mit dem größten Gepäck bestraft, ließ Keith sein Schlagzeug oft bei einem seiner Kollegen und übernachtete dort auch gleich. Manchmal half Mike, das Schlagzeug mit der U-Bahn nach Wembley zu transportieren und blieb dann seinerseits die Nacht über bei Keith; oder Alf Moon fuhr die Musiker mit seinem Transporter nach Hause.

      Keith, der furchtlose Witzbold und enthusiastische Kumpel, schweißte die Strangers zu einer verschworenen Truppe zusammen, die auch abseits der Musik vieles gemeinsam erlebte. Nach wie vor führte Keith seine Possen gern im öffentlichen Raum auf – vor allem in der U-Bahn, wo er einmal zwischen zeitungslesenden Geschäftsleuten krähend wie eine Elster ins Gepäcknetz kletterte, um eine Reaktion zu provozieren. Oder er täuschte einen Ohnmachtsanfall mitten auf der überfüllten Oxford Street vor, bis besorgte Passanten den Notarzt riefen, woraufhin der Scherzbold blitzartig aufsprang und in der Menge verschwand.

      Bei seinen Bandkollegen, die allesamt wenigstens drei Jahre älter waren, erntete­ der Fünfzehnjährige für solche unerschrockene Einlagen, bei denen sie staunende­ Beobachter waren, Respekt – und vor allem Aufmerksamkeit. Immer und überall der Mittelpunkt zu sein, gleich wo, wofür oder wogegen, das blieb Keiths Lebenselixier, sein Treibstoff für den unerhörten Aktionismus, den er seit seiner Kindheit an den Tag legte.

      Peter arbeitete in der Druckerei von einer dem Erziehungsministerium unterstellten Behörde am Bedford Square. Als Keith wieder einmal ohne Job dastand, vermittelte ihm Peter eine Stelle in der gleichen Abteilung, und somit wurden sie sogar noch Arbeitskollegen. Mike und Barry jobbten ebenfalls in der Nähe. Die Werbeagentur, in der Barry beschäftigt war, hatte eine eigene Kantine. Keith wusste­ das bald zu nutzen und zeigte den anderen, dass man sich einfach nur einreihen musste, um zu einem kostenlosen Mittagessen zu kommen: „Macht’s wie beim Militär: Mitmarschieren und in Reih und Glied bleiben.“ Das war seine Devise für die zunächst verunsicherten Freunde, die ihrem Spaßmacher dann aber folgten und ungestraft satt wurden.

      Drogen, Alkohol oder Sex, die klassischen Zutaten des Rockmusikerlebens, waren für Keith dagegen noch vollkommen unwichtig. Keiner seiner Gefährten, weder von den Escorts noch von den Strangers, hatte ihn je mit einem Glas Bier in der Hand gesehen, geschweige denn mit etwas Hochprozentigem, und über Mädchen wurde höchstens gesprochen. Alles, was Keith zu jener Zeit inter­essierte,­­ hing mit dem Schlagzeugspielen zusammen, mit der Band oder mit einem ­Practical­ Joke.

      Depressive, traurige Momente will keiner seiner damaligen Freunde bemerkt haben, und das klingt auch durchaus plausibel. Denn Keith hatte ja noch alles vor sich und anscheinend niemals Zweifel daran, dass er Erfolg haben würde, nachdem er alles andere diesem Ziel untergeordnet hatte. Er übte wie ein Verrückter – allein in seinem Zimmer, womit er Nachbarn und Familie fast zum Wahnsinn brachte; bei Carlo, der ihm jede Woche neue Aufgaben stellte; mit Peter, Mike und Barry, wo er das Erlernte sofort in der Praxis erproben konnte. In seiner ­Mittagspause besuchte er Gerry. In dessen Schlagzeuggeschäft gingen erfahrene Drummer ein und aus, die Keith augenblicklich mit Fragen, Späßen und einem nie endenden Redefluss in Beschlag nahm. So kam er der großen professionellen Szene mit jedem Schritt ein Stückchen näher.

      Nach Feierabend, selbst nach einer Probe, zog Keith auf der Suche nach ­Kontakten und Anregungen durch die Klubs – sofern man ihn einließ. Erste Adresse­ war für ihn das Oldfield Hotel in der Greenford Road, das keine zwei Kilometer Luft­linie vom Haus der Moons entfernt lag. Fast jede Nacht gab es dort Live­musik. Das Oldfield galt sogar als ein ausgewiesener „Music Club“ mit eigener­ Mitgliedskarte und strenger Alterskontrolle. Wer noch keine achtzehn war, musste ­draußen bleiben.

      Keith war fünfzehn, als er das erste Mal dort aufkreuzte. Lou Hunt, so ziemlich für alles im Oldfield Hotel verantwortlich, einem Klub, der zum Tourzirkus des Promoters Bob Druce gehörte, war sozusagen Barkeeper, Anheizer und Manager­ in Personalunion. Er war Ende dreißig, hatte stets eine Krawatte umgebunden und erzählt bis heute voller Erstaunen, wie Keith es ­schaffte,­ am Tür­steher­ vorbei bis zu ihm vorzudringen und seinen Wunsch nach einer vorzeitigen ­Mitgliedschaft persönlich vorzutragen.

      Hunt hielt das Bürschlein für dreizehn, aber Keith trat dergestalt höflich, ­respektvoll und wohlerzogen auf, dass der Manager ihn nicht gleich wieder rauswarf, sondern fragte, weswegen er unbedingt dem Klub beitreten wollte. Keith erklärte, dass ihm seine Eltern ein Schlagzeug gekauft hätten und er den Profis auf der Bühne zuschauen und von ihnen lernen wollte. „Was sollte ich machen?“ sagt Hunt, der nach all den Jahren immer noch verblüfft wirkt über die eigene Großzügigkeit. „Er war so ein netter Junge. Ich erlaubte es ihm.“

      Keith, eigentlich drei Jahre zu jung für das Oldfield, erhielt also die gewünschte­ Mitgliedschaft – unter der strengen Auflage, dass er sich nicht vom Bühnenrand entfernen dürfe. Er durfte sogar, wann immer er wollte, bei freiem Eintritt wieder­kommen. So war Keith oft im Oldfield zu Gast, studierte die Bands aus dem Stall von Bob Druce: die Bel-Airs, Federals, Corvettes, Beachcombers und später natürlich auch The Detours. Einige Musiker erinnern sich noch an den neugierigen mondgesichtigen Knaben am Bühnenrand. Sänger Dave