Название | Lou Reed - Transformer |
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Автор произведения | Victor Bockris |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783854454649 |
„Stimmt genau“, erwiderte Lou. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich mit diesen Idioten nicht klarkomme. Wie kannst du es da bloß aushalten?“
Beim Aufnahmezeremoniell des Reserve Officer’s Training Corps fiel Lou ebenfalls durch. Als Neuzugang am College musste er bestimmte Kurse belegen, darunter auch entweder Leibeserziehung oder R. O. T. C. (in der Zeit wählte man im Allgemeinen das R. O. T. C., um später der Armee als Offizier und Gentleman beitreten zu können). Lou versuchte, beidem aus dem Weg zu gehen, indem er behauptete, er würde sich beim Turnen den Hals brechen und in R. O. T. C. jemanden umlegen, aber am Ende schrieb er sich widerwillig für R. O. T. C. ein. Die Aktivitäten dieses Korps bestanden aus zwei wöchentlichen Unterrichtsstunden, in denen es darum ging, wie man ein guter Soldat oder sogar eine Führungspersönlichkeit wurde. Lous militärische Laufbahn war jedoch fast genauso kurz wie sein Auftritt bei der Bruderschaft. Nur wenige Wochen nach Semesterbeginn wurde er auch schon wieder ohne größeres Aufhebens vor die Tür gesetzt, als er sich weigerte, einem Befehl des Offiziers Folge zu leisten.
Er schaffte es jedoch auf anderem Weg, in seinem ersten Jahr einigen Eindruck zu machen. Mit seinem jungenhaften Charme gelang es Lou, die ernsten Bedenken der Programmdirektorin Katharine Griffin zu zerstreuen, und so drängelte er sich in die Syracuse University Radio Station WAER FM mit einer Jazzsendung hinein, die er Excursions On A Wobbly Rail (Ausflüge auf verzogenen Schienen) nannte – nach dem Titel eines verrückten Cecil-Taylor-Stücks, das auch gleichzeitig als musikalisches Intro diente.
Der klassisch orientierte, konservative Radiosender befand sich in einer Art Hütte, die noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammte und versteckt hinter der Carnegie-Bücherei lag. Hier saß Lou dreimal die Woche zwei Stunden lang und fror sich an eiskalten Abenden den Hintern ab, während er zusammengekauert über seiner altmodischen technischen Ausstattung hing wie ein Widerstandskämpfer hinter der Front; von hier aus sendete er eine bunte Mischung der Musik seiner Lieblingsmusiker, die allesamt der Avantgarde des Freejazz angehörten, Ornette Coleman und Don Cherry, den Doo-Wop-Sänger Dion und den sexuell anrüchigen Hank Ballard ebenso wie James Brown und The Marvelettes. Diese Mischung enthielt Lous Quintessenz. „Ich war ein großer Fan von Ornette Coleman, Cecil Taylor und Archie Shepp“, erinnert er sich. „Dann kamen James Brown, die Doo-Wop-Gruppen und Rockabilly. Pack alles zusammen, und du hast mich.“
Unglücklicherweise traf Lous Musikgeschmack nicht auf die Gegenliebe der anderen Mitarbeiter des Senders; zahlreiche Mitglieder der Fakultät, darunter auch der Dekan der Studentenschaft, beschwerten sich über die – ihrer Ansicht nach – entsetzliche und unzumutbare Kakophonie, die ihnen während Reeds Sendungen entgegendröhnte. Die negative Reaktion der Universitätsleitung war keineswegs Lous einziges Problem. Allen Hyman rief Lou häufig mit verstellter Stimme an und belästigte ihn mit lächerlichen Musikwünschen. Einmal, so erinnert sich Allen, „wollte ich ein Musikstück hören, von dem ich wusste, dass er es nicht ausstehen konnte und niemals spielen würde. Er sagte: ‚Nein, das spiele ich nicht, vergiss es.‘ Und ich sagte: ‚Hör mal, wenn du das jetzt nicht spielst, dann bring ich dich verdammt noch mal einfach um. Ich warte auf dich, und ich bring dich um!‘ Lou bekam es mit der Angst zu tun; er dachte, ich sei irgendein Wahnsinniger. Später habe ich ihn dann angerufen und gesagt, dass ich es war. Er hat mich angeschrien und gesagt, wenn ich das noch einmal machen würde, dann würde er nie wieder mit mir reden.“
Wie sich herausstellte, hatte Allen jedoch nicht lange genug Zeit, um durch solche Scherze seine Freundschaft mit Lou aufs Spiel zu setzen; bereits nach kurzer Zeit kam Katharine Griffin, die wachsame Programmdirektorin, zu dem Schluss, dass „Excursions On A Wobbly Rail eine völlig verrückte Jazzsendung war, die sich mehr nach einer Art neuem Lärm als nach Musik anhörte. Es war einfach zu exzentrisch und überschritt eine bestimmte Grenze.“ Noch vor Semesterende wurde es ohne viel Federlesens aus dem Programm gestrichen, was Lou natürlich sehr ärgerte.
Im Rückblick stellten Griffin und ihre Zeitgenossen fest, dass Reed seiner Zeit einfach voraus war. „Die meisten von uns, die auf dem Campus den Ton angaben, waren ganz normale Kinder ihrer Zeit, der Fünfziger“, erklärt sie. „Damals trugen die Jugendlichen Karohemden und Chinos, korrekt geschnitten. Lou sah eher so aus wie die Rockmusiker später in den Sechzigern. Er nahm schon die Sechziger- und Siebzigerjahre vorweg, aber wir waren noch nicht reif dafür. Er befand sich genau am Scheidepunkt zwischen zwei Generationen. Und er war schon ein bisschen zu weit weg, um noch in den Fünfzigern bewundert zu werden.“
In seinem ersten Jahr in Syracuse, so schließt die strebsame Griffin, hieß es „Lou gegen den Rest der Welt“.
Lou stilisierte sich selbst als merkwürdigen Einzelgänger. Er ging allen studentischen Organisationen aus dem Weg und war damit beschäftigt, ein Image von sich aufzubauen, das schon bald als die Essenz des angesagten New-Yorker Szenegängers bekannt werden sollte. Lou war ein Jahr älter als die anderen Erstsemester und voll ausgewachsen. Er war 1,70 Meter groß (obwohl er behauptete, es seien 1,74 Meter), ein bisschen dicklich und noch einige Schritte von dem späteren Lou Reed von „Heroin“ entfernt. Er trug Mokassins, Jeans und T-Shirts und war meistens etwas schlampiger angezogen als die Mehrzahl der anderen Studenten, die die Bruderschaftsuniform, bestehend aus Anzug und Krawatte, trugen. Sein Haar war ebenfalls eine Spur länger als das seiner Kommilitonen. Ohne diese Accessoires wäre er in der Menge nicht aufgefallen. Sein Aussehen tendierte zum Niedlichen, Jungenhaften, Lockenköpfigen, Schüchternen, Kaugummi Kauenden hin. Unter seinem rechten Auge hatte er eine kleine Narbe. Am ungewöhnlichsten an ihm waren seine Finger. Kurz und kräftig, verbreiterten sie sich zu fast quadratischen Fingerkuppen hin, ideal zum Gitarrespielen.
Die Syracuse University verfügte über ein ausgezeichnetes Lehrangebot. Obwohl Lou durch große Teile davon einfach schlafwandelte, stürzte er sich doch in die Philosophie-, Musik- und Literaturkurse und tat sich dort auch hervor. In Musikinterpretation, Theorie und Komposition saugte er alles wie ein Schwamm auf und machte sogar vor Oper nicht Halt. Zuerst versuchte er, im Journalismus einzusteigen, ließ aber die Finger davon, als sein Lehrer ihm mitteilte, seine persönliche Meinung sei ohne Bedeutung. Dann vertiefte er sich in Philosophie. Er verschlang alles über die Existenzialisten, war besessen von Hegels quälender Dialektik und fühlte sich innig mit Furcht und Zittern von Kierkegaard verbunden. „Ich beschäftigte mich sehr mit Hegel, Sartre und Kierkegaard“, erinnert sich Reed. „Wenn man Kierkegaard ausgelesen hatte, fühlte man sich, als sei etwas Schreckliches geschehen – Furcht und Zittern. Genau da kam ich her.“ Er liebte auch Krafft-Ebing und die Dichter der Beat Generation, besonders Kerouac, Burroughs und Ginsberg. Um seinen Eindruck als Erstsemester abzurunden, ließ er sich stilistisch durch die draufgängerischen, gequälten Vorbilder eines James Dean, Marlon Brando und vor allem Lenny Bruce inspirieren.
Lou war sich bereits darüber im Klaren, dass er Rockmusiker und Schriftsteller werden wollte. Die reichhaltige Musikszene der Universität bestand aus einem vielfältigen Gemisch aus Talenten wie Garland Jeffreys, einem zukünftigen Songschreiber und Weggefährten Reeds, der zwei Jahre jünger war als Lou; Nelson Slater, für den Lou später ein Album produzieren sollte; Felix Cavaliere, dem zukünftigen Bandleader der Young Rascals; Mike Esposito, der die Blues Magoos und Blues Project formieren sollte; und Peter Stampfel, einem frühen Mitglied der Holy Modal Rounders, der ein Pionier der Folkmusik werden sollte. Während die Colleges in New York und Boston Folksänger in der Art von Bob Dylan hervorbrachten, kamen aus Syracuse eher die Vorläufer der Punkrocker.
Musikalisch entscheidend für Lou war, dass er in Syracuse auf einen anderen Gitarristen namens Sterling Morrison stieß; er kam aus Bayport, Long Island, und hatte einen ähnlichen (sozialen) Hintergrund wie Lou. Kurz nachdem Lou aus dem R. O. T. C. hinausflog, besuchte Sterling, der niemals in Syracuse immatrikuliert war, sondern nur ab und zu dort herumhing, Jim Tucker,