Krawattennazis. Peter Langer

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Название Krawattennazis
Автор произведения Peter Langer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783942672870



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Panoramafotos von Bohrinseln in stürmischer See, Grubenarbeitern mit rußgeschwärzten, verschwitzten Gesichtern, die im fahlen Licht der Helmbeleuchtung Kohle abschürften, einem Park mit Windkraftanlagen in einer Wüste und von einer Ölförderanlage, in deren Vordergrund ein Mann mit rot-weißer Kufiya auf dem Kopf und strahlend weißem ­Dischdasch zu sehen war. Genau nach Proporz ausgewählt und sehr beeindruckend, dachte Emde. See, Erde, Wind, Öl. Nordsee, Amerika und Persischer Golf, alles dabei. Döhrenbach griff nach einer Fernsteuerung. Lautlos schlossen sich die Lamellen der Jalousie vor der bodentiefen Glasfront, während sich die Raumbeleuchtung an der Decke langsam aufblendete. Weichfließendes, angenehmes indirektes Licht flutete aufwärts und füllte den Raum. Sie nahmen Platz. „Also …“, begann der Pressesprecher und faltete die Hände, als wolle er eine Beichte ablegen. „Über die Fakten wissen wir natürlich bereits, was in der Presse stand. Was also können wir für Sie tun und was können Sie uns sagen, wie Herr Lieberknecht verstorben ist?“ Täuschte Emde sich da oder nahm er gerade den Anflug von Nervosität wahr? Nein, er täuschte sich nicht, denn Nofri hatte es ebenfalls bemerkt und preschte bereits vor: „Herr Döhrenbach, was macht Sie denn gerade so nervös?“ Richtige Frage, denn der Pressesprecher zuckte kurz zusammen, fing sich dann aber mit einem Lächeln, das jede unverbindliche Kinderschokolade-Freundlichkeit verloren hatte. „Nervös? Ach was, das täuscht. Wer ist denn hier nervös?“ Er zögerte, war sich offenbar bewusst, dass er im Begriff war, auf ganz kurzen Beinen zu lügen, fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Dann entschied er sich für Offenheit. Zumindest für etwas, was er für den Augenblick dafür hielt. „Wissen Sie, Nervosität kann man das nicht nennen. Aber seitdem wir die Nachricht bekommen haben, dass Herr Lieberknecht einem, nun ja, kann man das so sagen? Mord?“ Emde nickte. Diese Tatsache war geklärt und konnte ruhig das Licht der Welt erblicken. „Nun … einem Mord zum Opfer gefallen ist, herrscht hier schon eine gewisse Unruhe. Wie Sie ja sicher bereits wissen, weil es eben im Internet ohne Probleme zu recherchieren ist, war Herr Lieberknecht sehr involviert in das Projekt der Wiederinbetriebnahme der Grube Christiane.“

      Döhrenbach stoppte, blätterte in einigen Papieren und gab einen kurzen Überblick über das Projekt. Emde fiel auf, dass er die Streitigkeiten, die sich seit der ersten Erwähnung des Vorhabens in der lokalen Presse am Diemelsee abspielten, mit keinem Wort erwähnte. Auch nicht, dass es bereits zum Austausch verbaler Freundlichkeiten mit einigen Einheimischen gekommen war. „Tja, und auch dieser Standort hier in Kassel ist sehr eng mit dem Erfolg des Projekts verbunden.“ Emde machte sich Notizen, dann stoppte sein Kugelschreiber. „Heißt: Geht das Ding in die Hose, können Sie einpacken?“ Döhrenbach zögerte, nickte dann aber beinahe unmerklich. „Wie viele Jobs hängen da dran?“, fragte Emdes Kollegin. Der Pressesprecher überlegte kurz. „Wir sind hier knapp 25 Personen, hinzu kommen noch derzeit 13 Freelancer, die nicht fest zum Unternehmen gehören.“ Emde stutzte. Womit waren 38 Personen beschäftigt, wenn es nur um die Projektierung eines Vorhabens ging? Nora Freese hatte den gleichen Gedanken zur selben Zeit und stellte die Frage laut. Doch der Sprecher schien darauf vorbereitet. Er lächelte, als würde er eine Weihnachtsüberraschung bereithalten und zauberte aus einer bereitliegenden eleganten Ledermappe einen Organisationsplan des Unternehmens.

      Was folgte, war eine Kurzeinführung in die Geschichte und Struktur von Prospersoil. Und wieder, dachte Emde, verkauft er uns das Unternehmen als absoluten Heilsbringer für die gesamte Menschheit. Sein Job, sein Territorium, dafür wird er bezahlt und verdient wahrscheinlich ein Gehalt, von dem er, Emde, als Hauptkommissar nur träumen konnte. „Und hier …“, Döhrenbachs Finger deutete auf ein kleines blaues Rechteck am Rande der Grafik, „hier befindet sich der Standort Kassel, gleichzeitig auch Sitz der hundertprozentigen deutschen Tochter von Prospersoil, der Prospersoil-Germany.“ Die beiden Ermittler beugten sich über die Darstellung und versuchten, einen nachhaltigen Überblick über das Unternehmen zu gewinnen. Was ihnen nicht gelang. Was Freese und Emde dagegen sahen: Niederlassungen, nicht nur, wie sie bereits wussten, an exotischen Orten, in denen man es mit der Steuererhebung nicht allzu genau nahm, sondern auch auf nahezu jedem Kontinent. Zu den Projekten zählte die Erschließung oder auch Rückerschließung von Gold- und Diamantminen in Südafrika, Gasfeldern in der Nordsee und in Sibirien. Es hatte eine Anfrage für Projektbetreuung bei der Erschließung eines Gasfeldes vor Zypern durch die Türkei gegeben. Richtig, darüber hatte Kleine mal etwas erzählt. Offenbar ein nicht ganz unstrittiges Thema dort unten, da das entsprechende Seegebiet weit vor der Küste verschiedener Staaten, unter anderem Israels und Libyens, lag. Diese Länder waren eben auch bereit, das Gebiet ihren Festlandsockeln anzuschließen, und die Sicherheit der Erdgasförderung dort draußen auf See und damit die Staatseinnahmen mit entsprechend ausgestatteten Marineeinheiten zu sichern und im schlimmsten Fall zu verteidigen. „Wir sind hier natürlich in der Hauptsache mit der Erzgrube am Diemelsee beschäftigt“, nahm Döhrenbach den Faden wieder auf. „Aber wann immer es um rechtliche Angelegenheiten anderer Projekte geht, die die Bundesrepublik Deutschland oder deren Interessen betreffen, kommen wir auch ins Spiel.“ Nofri sah auf. „Das heißt, Sie betreiben so eine Art Lobbyismus für diese Projekte?“ Döhrenbach nickte mit einem milden Lächeln, das jeder Buddhastatue Ehre gemacht hätte. „Ganz genau. Hier geht es mitunter um sehr, sehr große Summen und Projekte, die den langen Atem vieler Jahre brauchen.“

      Emde räusperte sich. „Nun, Herr Döhrenbach. Ich hätte jetzt eine Frage an Sie, die Sie sicher aus den meisten Fernsehkrimis kennen: Was glauben Sie, wer hätte ein Motiv, Carl Lieberknecht tot sehen zu wollen? Und wem könnte es recht sein, wenn das Ganze auch wie ein Mord aussieht? Immerhin wurde ihm zuvor schon mal Gewalt angedroht.“ Emde spürte, wie Nofri neben ihm begann, leicht mit dem feuerverzinkten Stahlrahmen des edlen Mies van der Rohe-Stuhls zu wippen. Der Pressesprecher überlegte und schürzte die Lippen, schüttelte zunächst den Kopf, schien sich dann aber an etwas zu erinnern und etwas sagen zu wollen. Doch noch hielt er damit zurück. Emde wurde ungeduldig. Baute sich der Mann eine Antwort zurecht? „Nun?“, hakte der Ermittler nach. „Wissen Sie …“ Der Pressesprecher holte tief Luft, bevor er weitersprach. „Diese Bedrohungsgeschichte damals, die Sie angesprochen haben, die hat Herrn Lieberknecht schon sehr zugesetzt. Wenn das eigene Leben so unmittelbar bedroht wird.“ Emde nickte. Er hatte diese Geschichte damals aus zweiter Hand von Kleine gehört, der mit in der Ratssitzung gesessen hatte. Grimmelmann. Grimmelmann der Öko. Grimmelmann, der große Friedensfürst, der kein Leben auf der Welt vernichten wollte. Niemals. Aber auch: Grimmelmann, der Vater eines schwerbehinderten Sohnes. Grimmelmann, der Familienchef, der niemals etwas im Leben tun würde, was seine Familie alleine im Regen stehen lassen würde. Nun, in dieser Situation sind ihm allerdings die Nerven durchgegangen. Grimmelmann hatte Lieberknecht angeschrien und schien sich kaum noch fangen zu können. Die Sitzung, die bis dahin eher unspektakulär verlaufen war, musste abgebrochen werden. Grimmelmann wurde beiseite genommen, seine gesamte Fraktion hatte auf ihn eingeredet und versucht, ihn zu beruhigen. Emde konnte sich die Szene kaum vorstellen. Wahrscheinlich war neben den vielen Worten der ausgestreckte Zeigefinger das Bedrohlichste gewesen, was Grimmelmann zu bieten hatte. „Was meinen Sie mit schon sehr zugesetzt?“, fragte Freese. Döhrenbach sah sie verständnislos an. „Wieso fragen Sie das? Sie waren vielleicht noch nie in einer vergleichbaren Situation, Frau Freese.“ Er lehnte sich zurück, schnaubte und schüttelte – Verständnislosigkeit signalisierend – den Kopf. „Mein Chef sah sich unmittelbarer Waffengewalt ausgesetzt. So etwas bleibt hängen. Da wacht man nachts auf, geplagt von Albträumen.“ Döhrenbachs Stimme nahm leicht an Lautstärke zu. „Sind Sie schon einmal mit einer Waffe bedroht worden?“ Emde stutzte und sah überrascht von seinen Notizen auf. Unmittelbare Waffengewalt? Mit einer Waffe bedroht worden? Da stimmte doch etwas nicht. Wer so von einer Waffe sprach, meinte damit sicherlich kein Küchenmesser. Grimmelmanns Zeigefinger war gewiss auch keine Waffe. Und was war mit unmittelbarer Waffengewalt gemeint? Grimmelmann übt doch keine unmittelbare Waffengewalt aus! Freese schüttelte ebenfalls unmerklich mit dem Kopf, während Emde sich auf seinem Stuhl aufrichtete. Er warf seiner Kollegin einen schnellen Blick zu, der sie ermahnen sollte, zu schweigen. „Herr Döhrenbach. Hören Sie mir jetzt gut zu.“ Seine Stimme war ganz ruhig und klar, er sah dem Pressesprecher fest in die Augen. „Sprechen wir hier von derselben Situation? Der Ratssitzung und dem verbalen Angriff durch den Fraktionschef der Grünen am Diemelsee, Herrn André Grimmelmann?“ Er wartete kurz ab. „Oder ist Herr Lieberknecht zu einem anderen Zeitpunkt ein weiteres Mal bedroht worden. Vielleicht sogar mit einer Schusswaffe?“