Das großartige Leben des Little Richard. Mark Ribowsky

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Название Das großartige Leben des Little Richard
Автор произведения Mark Ribowsky
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854457084



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Feuerwaffe und drückte ab. Bud brach mit einer Kugel in der Brust auf dem Betonboden zusammen. Die Polizei traf im Gemenge ein und nahm Tanner fest. Ein Krankenwagen wurde gerufen, aber die Ärzte erkärten Bud Penniman noch vor Ort für tot.

      Sein Sohn war zu der Zeit mit Percy Welch unterwegs und erfuhr erst am nächsten Morgen, als er nach Hause zurückkehrte, vom Tod seines Vaters. Beim Eintreten sah er Buds blutbefleckten Regenmantel auf der Veranda liegen. Drinnen stieß er auf Leva Mae, die ein weiteres Kind erwartete und bitterlich weinte.

      „Richard“, hob sie an. „Dein Daddy ist tot. Wir haben keinen Daddy mehr.“

      Er bekam auf den ersten Schock hin weiche Knie, ehe er sich fasste und wissen wollte, was passiert war. Als sie antwortete, Bud sei vor dem Tip In Inn erschossen worden, fragte er wutentbrannt nach dem Täter. Sie weigerte sich, den Namen zu nennen, weil sie Angst hatte, ihr Junge würde losstürzen, um den Mörder zu suchen, und selbst ums Leben kommen. Seine Schwester Peggie befürchtete nichts dergleichen. Sie war am Abend zuvor früher im Club gewesen – zum Tanzen mit Freunden zu Liedern von Richard aus der Jukebox, die möglicherweise noch gelaufen waren, während ihr Vater sterbend vor dem Eingang gelegen hatte. Sie war kurz vor der Tat aufgebrochen. Als jemand mit der Hiobsbotschaft zum Haus kam, lief sie außer sich vor Zorn zum Tip In Inn zurück. Tanner hatte mittlerweile ausgesagt, es sei Notwehr gewesen, und war wieder auf freiem Fuß. Die Hinterbliebenen akzeptierten diese Behauptung niemals. Obwohl Bud nie darüber gesprochen hatte, war seine Familie nicht naiv. Sie wussten, dass er mit ein paar Widerlingen zu tun hatte, die nicht lange fackelten, falls man ihnen Geld schuldete. Einige davon, so vermutete man, trugen Uniformen.

      „Wir gehen davon aus, dass jemand Daddy ermorden ließ“, gab Richard nach Jahren an und fuhr recht schwammig fort: „Für einen Anwalt zum Klagen fehlte uns Geld. Wir glauben, die Polizei mochte meinen Vater nicht, weil … mehr kann ich nicht dazu sagen.“

      Die Totenmesse für Bud wurde am 20. Februar in der Kapelle des Bestattungsinstituts Hutchings gehalten. Anschließend fand die Beisetzung auf dem Linwood Cemetery statt, in Anwesenheit seiner Witwe, ihren elf Kindern sowie Dutzenden Freunden, Angehörigen und eventuell auch Feinden. Hinterher kehrten die Hinterbliebenen, nun auf sich allein gestellt, zum Haus zurück. Leva Mae legte eine Stärke und stoischen Gleichmut an den Tag, die Richard an seinem Lebensabend ausgiebig in Interviews lobte – dieselben Tugenden, die er ziemlich vorausschauend in einem Song verewigt hatte, der zum Zeitpunkt der Beerdigung schon veröffentlicht war: die traurige Ballade „Thinkinʼ ʼBout My Mother“, in deren erster Zeile es heißt: „Wenn ich an meine Mutter denke, kann ich nur weinen.“

      Buds Erschießung wurde nie gründlich untersucht, geschweige denn aufgeklärt. Sie geriet schlicht in Vergessenheit, als der Fall irgendeines Mannes mit dubiosen Seilschaften, der sich zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Das Nachspiel beschränkte sich darauf, dass Frank Tanner im Juni 1955 des Mordes angeklagt werden sollte, doch der Bezirksanwalt wies die Klage im Oktober ab.

      Das Leben der Pennimans ging weiter, ohne dass sie damit rechnete, jemand von ihnen würde einmal reich oder berühmt. Richard rückte zum Versorger auf, als sein Bruder Charles den Marines beitrat und zum Dienst im Koreakrieg beordert wurde. Das Tip In Inn, das nie viel Umsatz gemacht hatte, schloss seine Pforten, da Leva Mae es nicht mehr unterhalten konnte. Zum Leben blieben ihr Buds Ersparnisse – rund 500 Dollar, die sie verwendete, um das Haus abzubezahlen sowie Lebensmittel und Kleidung für die Kinder zu kaufen. Später heiratete sie einen anderen Mann namens Enotris Johnson, zog weitere Kinder groß und hielt die Familie zusammen. Richard zeigte sich Frank Tanner gegenüber ausgesprochen versöhnlich. Ungefähr zehn Jahre später, nachdem er tatsächlich ein strahlender Stern, reich und berühmt geworden war, stattete er seinen Verwandten daheim einen Besuch ab. An diesem Tag stand Tanner plötzlich vor der Tür, um „uns um Vergebung zu bitten.“

      Und das, so Richard, „haben wir getan.“

      * * *

      Ob verziehen oder nicht, Richard musste mit dem Umstand leben, dass Gott ihm auf grausame Weise den Vater genommen hatte, dessen Zuspruch er brauchte und der zu der Einsicht gelangt war, an ihn zu glauben. Am Morgen nach seinem Tod hätte ihm Bud sogar ein Auto gekauft, damit er stilvoll zu seinen Auftritten anreisen konnte. Das brutale Schicksal, das sein Leben beendet hatte, drang tief in die Seele und das Unterbewusstsein seines Sohnes, wodurch ihm Zweifel an Gottes Gnade kamen. War er mit seinem frevelhaften Lebenswandel irgendwie schuld an Buds Tod? Dennoch machte er unter emotionalem Druck weiter; er musste es schaffen, unbedingt. 1953 waren die Aussichten dafür allenfalls vage. Der Flop von „Get Rich Quick“ gereichte ihm bloß zum Spott, zumal RCA ihre verbliebenen Little-Richard-Titel in Form zweier weiterer Veröffentlichungen im Mai und November ausschlachtete: Die Titel der A-Seiten waren genauso vielsagend, „Ainʼt Nothinʼ Happening“ und „Please Have Mercy On Me“ (erst 1958 erschien der letzte der acht Titel über das Billiglabel RCA Camden). Keine der Platten wurde mit Begeisterung beworben oder verkauft, und Little Richard schien selbst für Zenas Sears passé zu sein.

      Vor Neujahr endete die Zusammenarbeit des aufstrebenden Künstlers mit RCA; sein Vertrag wurde nicht verlängert. Richard beschönigte sein Scheitern nicht, suhlte sich aber nicht in Selbstmitleid. Auch wenn ihn alle anderen hängen ließen, gab er sich nicht selbst auf. Er war sogar so optimistisch, den Herrn auf seiner Seite zu wähnen, der ihn als Botschafter, Musikfreund und Prediger ansah. Obwohl er wiederholt in Erwägung zog, ein geistliches Amt anzunehmen, schob er den Entschluss auf, während er in den Clubs weitersang und Schnipsel für Songs sammelte, die er zu vollenden gedachte.

      Seine Zuversicht grenzte an Realitätsverlust. Anfang 1953 arbeitete Richard am Greyhound-Busbahnhof in Macon als Tellerwäscher – nicht notgedrungen, wie er betonte, sondern weil er in seinen Pausen gern im Warteraum saß, um die Reisenden im Vorbeigehen zu beobachten und sich anzuhören, was sie zu erzählen hatten. Eine seiner immerzu changierenden Geschichten zur Entstehung von „Tutti Frutti“ besagte, das unvergessliche Intro, das zum Gegenstand weitreichender akademischer Debatten mehrerer Generationen wurde, sei ihm dort zugeflogen.

      „Zu der Zeit spülte ich an der Haltestelle Geschirr“, rekapitulierte er. „Ich konnte nicht gegen meinen Chef aufmucken. Er stellte mir all die Töpfe zum Abwaschen hin, weshalb ich mir eines Tages sagte: „Ich muss etwas unternehmen, sonst hört das nie auf – Awap bop a lup bop a wop bam boom, raus damit!“ Das meinte ich in der Situation. So schrieb ich „Tutti Frutti“ in der Küche, wo auch ‚Good Golly, Miss Molly‘ und ‚Long Tall Sally‘ entstanden.“

      Ob er diese Story nicht vielleicht erfunden hatte, lässt sich nicht eruieren, doch eines ist sicher: Er hörte die Musik, zu der er singen wollte. Darüber hinaus hatte er Schneid und ein Selbstwertgefühl, womit er sich Menschen aufdrängte, die ihn seinem Ziel näherbringen konnten. Nachdem er jedem auf den Zahn gefühlt hatte, der mit der Musikszene in Verbindung stand, sprach er wiederholt diesen oder jenen an und wurde in der Regel abgewiesen, bis er sich irgendwann Clint Brantley anbiederte, einem großtuerischen Schwarzen. Der hatte etwas aus sich gemacht und besaß einen Club an der Fifth Street, das Two Spot. Des Weiteren promotete er Konzerte im Macon City Auditorium und managte viele der Acts, die in seinem Lokal auftraten. Obzwar er nicht viel von farbigen Sängern zu halten schien – er nannte sie „kleine Nigger“ –, förderte er ihre Karrieren im Musikgeschäft, indem er ihnen eine Bühne gab und sie managte, falls er sich etwas von ihnen versprach – gegen 50 Prozent Provision. Er konnte auch spendabel sein und sowohl Vorschüsse für Darbietungen als auch Spesen zahlen, wofür er gleichwohl unter Androhung körperlicher Gewalt saftige Zinsen erhob.

      Brantleys übte eine so starke Anziehung aus, dass er bestimmen durfte, wie die allmählich fortschreitende Integration in Macon vonstattenging. In seinem Club und dem Auditorium gab es grob festgelegte Bereiche für „Weiß“ und „Farbig“ – doch er kehrte die Gepflogenheiten des Südens um, sodass es die Weißen waren, die weiter hinten saßen. Im Auditorium durften sie auch nur im hinteren Teil auf dem Balkon sitzen, den man symbolisch durch ein Seil abtrennte. Keine Frage, kaum jemand liebte diesen Mann, und erst recht nicht wollte man ihn auf dem falschen Fuß erwischen. Dennoch war die Person, die ihn am wenigsten ertragen konnte, der Auslöser für die Entwicklung der Soulmusik: Little Richard, der Brantley bereitwillig zu seinem Manager machte, obwohl er über