Название | Der Serienmörder von Paris |
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Автор произведения | David King |
Жанр | Зарубежная психология |
Серия | |
Издательство | Зарубежная психология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783854454366 |
Massu befragte sie als Nächstes zum Fahrrad und zu dem Anhänger. Georgette Petiot behauptete, sich nicht genau an den Kauf zu erinnern, glaubte aber, dass Petiot die beiden Dinge gleichzeitig gekauft hatte. Ihr Mann benutzte das Fahrrad zur Fahrt zu Auktionshäusern, wo er seinem Hobby, dem Ankauf „alter Bücher und Antiquitäten“ frönte. Generell reagierte Georgette auf Massus forschende Fragen mit einer Verteidigung ihres Ehegatten, den sie als einen „sehr sanftmütigen Mann“ beschrieb, der sich liebevoll um die Familie kümmerte. Seine Patienten vergötterten ihn regelrecht, und wenn sie zu den Armen zählten oder sich die Behandlungskosten nicht leisten konnten, nahm Petiot keinen einzigen Sou, wie sie hervorhob.
Doch Georgette musste eingestehen, dass es vor acht Jahren ein Problem gegeben hatte. Ihr Mann musste vorübergehend eine Psychiatrie aufsuchen, „denn ihn plagten Beschwerden nach dem unerwarteten Tod einer Patientin“. Georgette bezog sich damit auf die 33-jährige Raymonde Hanss, die das Bewusstsein verlor, nachdem Petiot einen Zahnabszess behandelt hatte. Hanss’ Mutter machte den Arzt für den Tod ihrer Tochter verantwortlich, doch eine gründliche Untersuchung des Falls wurde niemals eingeleitet.
Massu befragte Georgette danach zu den Ereignissen am 11. März 1944. Laut ihrer Aussage hatte ihr Mann den Morgen mit Hausbesuchen verbracht, wonach sie in ihrem Appartement gemeinsam zu Mittag aßen. Petiot hatte die Wohnung um ungefähr 15 Uhr oder 15.30 Uhr verlassen, „ohne mir zu sagen, wohin er geht“. Marcel weigerte sich stets, sie auf dem Laufenden zu halten. Darin bestand ihr einziger Kritikpunkt an der Ehe.
Er kehrte, so die Ehefrau, um ca. 18 Uhr zurück und behandelte weitere Patienten. Eineinhalb Stunden später, also um 19.30 Uhr, nahmen sie gemeinsam das Abendbrot ein, wobei sie ein Anruf der Polizei unterbrach, die sie wegen des vermeintlichen Kaminbrandes verständigte. Als sich Massu nach Einzelheiten erkundigte und wissen wollte, wie die beiden unmittelbar auf die Nachricht reagierten, beobachtete er, wie die Frage Georgette aus der Fassung brachte. Sie sackte im Stuhl zusammen, hob die Hand vor die Augen und begann zu weinen. Später erzählte Massu, dass Georgette kurz vor einer Ohnmacht gestanden habe.
„Bitte nehmen Sie sich zusammen. Wir wollen Ihnen doch nichts Böses. Wir sind nur an der Wahrheit interessiert. Was hat Ihr Ehegatte gesagt?“
„Ich hörte das Wort Polizei. Marcel schnappte schnell seinen Hut und ging.“
„Sagte er nicht, wohin er wollte?“
„Nein, er gab mir keine Erklärung.“
„Verließ er die Wohnung oft, ohne zu sagen, wohin er ging?“
„Manchmal. Ich habe ihn nie gefragt.“
Georgette gab lediglich zu, dass sie ihm die Treppe hinab folgte, um zu sehen, in welche Richtung er fuhr. Später ergänzte sie die Aussage und meinte, ihm bis zur Ecke Rue Saint-Lazare gefolgt zu sein. Zu einem möglichen Gespräch auf dem kurzen Weg machte sie keine Aussage.
Massu fragte Georgette, was sie direkt danach getan habe. Angeblich hatte sie „die ganze Nacht in einem Sessel auf ihn gewartet“. Machte sie das immer, wenn ihr Mann verschwand, ohne sie über sein Ziel zu informieren? Nein, in dieser Nacht war es anders. „Das Wort ‚Polizei‘ hatte mich beunruhigt.“
„Aber dieses Wort hätte Sie doch gar nicht beunruhigen dürfen, da Sie ja wussten, dass Ihr Mann – wie Sie sagten – niemals etwas Böses hätte tun können. Gab es da noch etwas anderes, das Sie beunruhigte?“
„Heutzutage weiß man ja nie, was mit einem Mann geschieht, der in die Fänge der Polizei gerät.“
In dem Punkt hatte Georgette vollkommen recht. Die Besatzung der Nazis erschwerte kriminalistische Ermittlungen und verringerte den Respekt vor dem Gesetz und dessen Vertretern. Wie Massu Jahre später zugab, beeindruckte ihn die aufrichtige Bemerkung, die sie trotz möglicher negativer Konsequenzen für sich selbst äußerte. Dennoch ließ er nicht locker und befragte die Frau, was sie gemacht habe, unmittelbar, nachdem man die menschlichen Überreste in dem Stadthaus gefunden hatte.
„Dachten Sie an dem Morgen daran, in die Rue Le Sueur zu gehen, um Ihren Mann zu suchen?“
„Nein, ich entschied mich zur Rückkehr nach Auxerre“, antwortete Georgette, da sie mit ihrem Sohn zusammen sein wollte, der in der Stadt seine Ausbildung machte und bei Petiots Bruder Maurice lebte. Sie ging zum Gare de Lyon, um die Verbindung um 19 oder 20 Uhr zu nehmen, erfuhr aber, dass der nächste Zug erst am Montagabend fahre. „Daraufhin kehrte ich in die Rue Caumartin zurück, ging jedoch nicht in meine Wohnung.“
„Warum nicht?“
„Ich weiß es nicht … ich hatte das Gefühl, dass es dort für uns gefährlich ist.“
„Ihre Absicht, umzukehren, steht also in keinem Zusammenhang mit den beiden Polizisten, die Sie direkt vor der Tür gesehen haben?“
„Ich weiß es nicht. Möglicherweise doch.“ Danach meinte Georgette, trotz aller widrigen Umstände gehofft zu haben, ihren Mann irgendwo auf der Straße anzutreffen.
Georgette Petiot ging danach in die Kirche, blieb mehrere Messen lang dort und verbrachte den Rest des Nachmittags an der geschäftigen Bushaltestelle des Bahnhofs Saint-Lazare. Wie sie dem Kommissar erzählte, wartete sie dort auf niemanden. Sie suchte den Ort auch nicht auf, um unerkannt zu bleiben. „Ich hatte einfach Angst und fühlte mich inmitten der Menschen wohler.“
Auf die Frage, wovor sie genau Angst gehabt habe, antwortete Petiot, dass die Abendzeitungen am Bahnhofskiosk ab etwa 18 Uhr auslagen. Sie habe Panik bekommen, als sie das Bild ihres Mannes auf der Titelseite des Paris-Soir entdeckte. In dieser Nacht suchte sie eines der Gebäude ihres Gatten auf, das in der Rue de Reuilly lag, in der Hoffnung, er würde dorthin kommen und eine Erklärung liefern. Er tauchte aber nicht auf. Da sie dort niemanden kannte, verbrachte Georgette die Nacht auf einem Treppenabsatz vor dem Dachboden und kauerte sich in einer Ecke zusammen, wenn sich irgendwo im Haus eine Tür öffnete. Zeitweise flüchtete sie in den Hof des benachbarten Gebäudes, das ebenfalls ihrem Mann gehörte. Wegen der ständigen Angst, entdeckt zu werden, machte sie kaum ein Auge zu.
Am Montagmorgen ging sie dann erneut zum Gare de Lyon und studierte die Abfahrtszeiten. Da der nächste Zug erst um 17.20 Uhr fuhr, verbrachte Georgette einen Großteil des Tages in dem kleinen Restaurant des Hôtel Alicot in der Rue de Bercy 207. Sie kaufte sich die Fahrkarte im letzten Moment und stieg in den Zug nach Auxerre. Nach der dortigen Ankunft um 21 Uhr suchte sie unverzüglich das Appartement ihres Schwagers Maurice in der Rue du Pont auf. Dort hoffte sie, ihren Mann anzutreffen, doch das Haus war zu dem Zeitpunkt leer. Georgette wartete, verängstigt und unschlüssig, und wusste nicht, was sie jetzt unternehmen sollte.
„Vielleicht in die Rue des Lombards gehen?“, hakte Massu nach.
Der Hinweis erschütterte Georgette. Auch schien sie die Erwähnung der Adresse auf dem Zettel zu verstören, den die Beamten in der Rue Le Sueur fanden. Was danach geschah, beschrieb Massu mit Liebe zum Detail: Petiots Hand öffnete sich, das Taschentuch fiel zu Boden, und sie verlor das Bewusstsein. Es sollte nicht ihre letzte – möglicherweise vorgetäuschte – Ohnmacht mitten in einem Verhör sein.
Frauen von Kriminellen waren – wie Massu später reflektierte – schon eine ganz spezielle „Gattung“:
Es gibt Frauen, die wie ein wildgewordener Panther ihre Männer mit ausgefahrenen Klauen verteidigen, Frauen, die sich kalt und unsensibel geben, denen man jede Information abringen und mit denen man jedes Argument diskutieren muss. Sie beantworten Fragen mit Gegenfragen. Aber es gibt auch Frauen, die die ganze Nacht über kein Wort sagen, obwohl sie vom grellen Licht einer Lampe geblendet werden. Gelegentlich begegnet man Frauen, die zutiefst erschüttert sind und voller Widerwillen erkennen, jahrelang neben einem Monster gelebt zu haben …
In welche Kategorie konnte man Georgette Petiot einordnen? Und wie stand es um Maurice? Massu setzte alles daran, das herauszufinden.
Der