Название | Mein großes Geheimnis |
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Автор произведения | Buzz Bissinger |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | Fernsehen |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783854456377 |
„Hi.“
Das ist ein bisschen kurz, aber egal - mir liegt etwas auf dem Herzen.
„Wenn ich die Treppe zur Bühne hinaufgehe, musst du mir helfen. Ich darf nicht stolpern. Bitte sorg dafür, dass ich das problemlos schaffe.“
„Okay, ich werde dich schon die Treppe hochbringen.“
„Ich brauche Unterstützung.“
Abby trägt einen Smoking, ich mein Abendkleid. Das ist eine ganz schlichte Symbolik und natürlich ein unwiderstehliches Fotomotiv – schöner könnte man nicht zeigen, wie viel Diversität es im Sport inzwischen gibt (auch wenn noch immer eine lange Strecke zurückzulegen ist).
„Wenn wir auf die Bühne kommen, immer vorausgesetzt, dass wir das ohne Panne schaffen, dann will ich, dass wir uns umdrehen, uns an die Hand nehmen und leicht verbeugen.“
Ja, ich denke immer klar, auch unter Druck.
Man führt mich zum Bühnenrand. Durch einen kleinen Spalt kann ich in den Saal schauen; er ist ziemlich gut besetzt.
Jetzt geht es los …
Ich suche Augenkontakt mit einer Frau im Publikum. Sie lächelt mich breit an und hebt den Daumen.
Vielleicht werden sie alle gut reagieren.
Während der Werbepause herrscht ein Kommen und Gehen im Zuschauerraum; einige Gäste verlassen kurz den Saal und Platzhalter nehmen ihre Stelle ein. Ich mische mich unter das Publikum und entdecke Diane Sawyer. Wenn ihr Interview nicht so akkurat dargestellt hätte, wie mein Leben bis zur Transition aussah, wäre ich jetzt vermutlich in der Antarktis und würde meine Geschichte von Täuschung und Selbstzerstörung den Pinguinen erzählen.
„Das ist alles Ihre Schuld“, raune ich ihr zu und fasse nach ihrer Hand.
Natürlich weiß ich, dass das alles hier eine ganz ernste Angelegenheit ist. Aber ich kann nicht ernst bleiben. Das war noch nie mein Stil. Humor ist immer die beste Ablenkung.
Etwas später sitze ich im Publikum und über die Videoleinwand flimmert ein Film über meinen Lebensweg. Ich habe ihn schon vor zwei Tagen gesehen – er ist schön und wertschätzend gemacht, und ich musste weinen, als ich ihn sah. Die Gegenüberstellung von Bruce und Caitlyn ist selbst für mich schockierend. Wie konnte der eine zur anderen werden, und der andere zu der einen? Ich weiß, dass Caitlyn seit Geburt meine Gender-Identität gewesen ist und nur auf den richtigen Moment gewartet hat, um Bruce in sich aufzunehmen. Aber manchmal bieten Antworten nicht wirklich eine Erklärung. Wie ich schon so oft zu mir selbst gesagt habe: Ich hatte ein absolut faszinierendes Leben.
Jetzt kann ich mir das nicht noch einmal ansehen. Es würde mir wieder fürchterlich nahe gehen, und dann könnte ich meine Rede nicht halten.
Abby ruft meinen Namen, ruft mich auf die Bühne. Neben mir im Publikum sitzt meine Mutter. Sie war die letzte, der ich von meiner Transition erzählt habe, weil ich wusste, dass es mir bei ihr am schwersten fallen würde. Sie ist neunundachtzig, und mir ist klar, dass es für sie nicht einfach gewesen sein kann – da glaubt man, es würde ein ganz normaler Tag in Lewiston, Idaho, und dann ruft der Sohn plötzlich an und erklärt: „Bevor ich es vergesse, Mom, ich wollte nur noch kurz Bescheid sagen, ich werde eine Frau.“
Ganz so war es natürlich nicht. Aber es hatte dieselbe Wirkung. Es gibt einfach keinen vernünftigen Weg, um so ein Gespräch zu beginnen. Meine Mutter war bemerkenswert verständnisvoll und unterstützend, obwohl sie gern zugibt, dass sie die ganze Geschichte mit meiner Weiblichkeit leichter verkraften kann, wenn sie sich einen kleinen Schluck gönnt.
Ich stehe auf. Auf dem Weg zu der kleinen Treppe gehe ich rechts an den Reihen vorüber, in denen meine Kinder sitzen. Zum ersten Mal seit etwa zwanzig Jahren sind sie wieder einmal alle auf einem Fleck. Das war zum letzten Mal 1990 der Fall, als Kris und ich geheiratet haben; damals waren sie noch Kinder, die sich gegenseitig alle genauso großartig fanden, wie Kris und ich uns liebten. Es gibt viele Gründe dafür, wieso unsere Großfamilie auseinanderbrach, aber der Hauptgrund war wohl mein Versagen als Vater. Bei zu vielen Gelegenheiten habe ich meine Beziehung zu den sogenannten Jenner-Kindern aus meinen ersten beiden Ehen – Burt und Cassandra sowie Brandon und Brody – vernachlässigt. Und daher ist es jetzt einerseits wunderschön, die ganze Familie vereint zu sehen, andererseits hat das aber auch etwas Bittersüßes. Ich weiß, dass es nur ein kurzer Augenblick sein wird, der nicht einmal bis zur Afterparty hält.
Wie versprochen hilft mir Abby beim Hinaufsteigen. Ich stolpere nicht.
Die Kameras fangen es begeistert ein, als wir unsere kleine Pirouette vor der Kamera drehen.
Jetzt steht mir nur noch die Rede meines Lebens bevor.
Ich versuche, nicht ins Publikum zu gucken. Dutzende von Sportlegenden sitzen da unten. Meine Zeitgenossen. Der Basketballer LeBron James und der Footballer Brett Favre haben Plätze in der ersten Reihe; sie kann ich nicht übersehen. Was mögen sie gerade denken? Ich frage mich das immer, wenn Menschen mir gegenüber vordergründig nett sind. Wollen sie mir nur nach dem Mund reden, denken aber insgeheim etwas ganz anderes? Lügen sie? Manchmal wünschte ich mir, es gäbe jemanden, der sie privat interviewen könnte, um ihre wahren Gedanken aufzudecken, und nicht das Promi-Partygeschwätz mit Küsschen-Küsschen-Faktor. Finden sie es wirklich toll? Oder halten sie die ganze Sache einfach nur für sehr, sehr seltsam?
Ist das Kleid übertrieben, auch wenn es so perfekt geschneidert wurde? Hätte ich lieber in meinem Olympia-Trainingsanzug erscheinen sollen? LeBron legt immer viel Wert auf sein Äußeres, aber Brett Favre sieht manchmal so aus, als käme er gerade direkt aus einer Scheune. Von daher denke ich, dass ich bei LeBron bessere Chancen habe. Ich könnte mir vorstellen, dass ihm Versace gefällt, wenn auch vielleicht nicht in dieser Ausführung. Außerdem ist er sogar noch größer als ich und wesentlich muskulöser.
Zwar habe ich schon viele hundert Male vor vielen Menschen gesprochen, aber noch nie einen fertig vorbereiteten Text vorgetragen. Gewöhnlich schreibe ich höchstens ein paar Stichworte mit den wichtigsten Punkten auf. Das Ablesen einer Rede finde ich furchtbar, weil es unweigerlich auch immer wie abgelesen klingt. Aber dieses Mal ist alles anders. Für diese Ansprache habe ich mich mit einem professionellen Autor zusammengesetzt, mit Aaron Cohen. Wir haben uns mehrmals getroffen, und ich habe ihm gesagt, worüber ich gern reden möchte; er hat diese Ideen weiter ausgearbeitet. Am Schluss haben wir alles aufgeschrieben. Dieses Mal muss ich ganz genau wissen, was ich sagen werde. Ich kann nicht improvisieren wie sonst (oder vielmehr, wie meistens) und plötzlich in eine Sackgasse geraten.
Außerdem werde ich mit einem Teleprompter arbeiten. Die habe ich allerdings schon gehasst, als ich in den Siebziger- und Achtzigerjahren als Sportmoderator für ABC und NBC gearbeitet habe, weil ich so langsam im Lesen bin. So etwas muss ich üben, aber glücklicherweise habe ich eine App auf meinem iPad entdeckt, die einen Teleprompter simuliert, mit der gleichen Schriftgröße und der gleichen Geschwindigkeit. Also habe ich mir den iPad auf einem hohen Hocker an meiner Breakfast Bar gegen ein Kissen gelehnt und laut abgelesen, während die Worte automatisch herunterscrollten. Nach ein paar Dutzend Malen hatte ich es bestens drauf.
Aber jetzt, da der Augenblick gekommen ist …
Plötzlich fühle ich mich wieder wie in der vierten Klasse in Tarrytown, als ich mit schweißnassen Handflächen dasaß, während der Lehrer den Mittelgang zwischen den Bänken entlangging wie ein Gefängniswärter und nach dem nächsten Opfer suchte, das laut vorlesen sollte. Ich höre das Kichern meiner Klassenkameraden, als ich ins Stocken geriet, und ich finde mich zunehmend mit der Tatsache ab, dass das eben Bruce war, und Bruce war doof. Wenn in meiner Grundschulzeit die Mannschaften beim Völkerball gewählt wurden, war ich immer der erste. Wenn es darum ging, wer sich beim Buchstabierwettbewerb als Erster wieder hinsetzen musste, aber auch.
Es hilft nichts, jetzt muss ich mich durchbeißen, und das tue ich. Widrige Umstände zu überwinden, das liegt mir. Das habe ich mein ganzes Leben lang getan, wenn auch noch nie in einer solchen Situation.
Inzwischen sehe ich auch LeBron James oder Brett Favre nicht mehr. Oder meine Kinder oder meine Mutter. Ich