Zinnobertod. Reinhard Lehmann

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Название Zinnobertod
Автор произведения Reinhard Lehmann
Жанр Ужасы и Мистика
Серия
Издательство Ужасы и Мистика
Год выпуска 0
isbn 9783969010174



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betrifft. Bitte, ich fange bei Ihnen an. Zeigen Sie mir Ihre Schuhe«, sagte er breit lächelnd.

      Stumm zählte Lorenz die Sekunden. Eins. Zwei. Drei ... da traf ihn eine schnippisch-ernüchternde Antwort.

      »Na hoffentlich halten Sie im Gepäck brauchbare Wanderschuhe bereit. Die Fundstelle ist mit PKW nicht erreichbar. Zu Fuß ist angesagt. Leider auf einem spärlich ausgebauten Wanderweg. Nix von Gefahr, dagegen Aufmerksamkeit einfordernd. Der führt auf der rechten Seite des Bodeufers entlang. Endstation ist der Bodekessel nahe der Teufelsbrücke. Von Interesse ist das erst, wenn Sie bei Ihrer Version bleiben: tragischer Unfalltod oder Selbstmord. Scheidet beides aus, haben wir ein echtes Problem. Angenommen, dem Erich Feist saß einer der Getreuen im Nacken, spitzt sich die Lage zu. Ein Glaubensstreit ist der einzige Grund für eine interne Auseinandersetzung.«

      »Weil?«

      »Ist ja den meisten ansässigen Personen in der Region bekannt. Der Erich war über Jahrzehnte Chef der ortsansässigen Glaubensgemeinschaft. Er hat die Menschen missioniert, um sie auf die Gottergebenheit der Sekte einzuschwören. Erst der grausige Selbstmord seines Sohnes im Stahlwerk hat ihn gebrochen. Der Junge war dort Ingenieur.«

      Lorenz stand kurz davor zu explodieren. Ungläubig fragte er: »Wieso, in Gottes Namen, leiern Sie das emotionslos herunter?« Seine Augen blitzten gefährlich auf. »Was stimmt nicht mit dem Herrn? Ist es richtig, dass er den Job eines religiösen Anführers mit dem des Harzer Wanderführers eingetauscht hat? Trägt diese Überlegung ebenfalls seine Enkelin?«

      Abrupt endete er. Für Sekunden herrschte Schweigen. Lorenz unterbrach die Stille und fuhr gelassen fort.

      »Das ist alles, verehrte Herren? Ich bin auf die drei Kilometer vom Ortskern bis an den Fundort vorbereitet. Schauen Sie«, reagierte er aus der Lage heraus. Er hob ein Bein an. »Da, festes Schuhwerk, reicht das?«, entwickelte sich sein Grinsen zu einem lauthalsen Lachen. »Es gibt ausreichend Urlaubslektüre, um den Harz zu erwandern. Wenn ich mich nicht täusche, ist das ein durchgehend befestigter Weg.«

      Das Feixen der Teilnehmer überstieg auf Anhieb alle anderen Geräusche. »Angeschmiert, Jürgen«, hob Pressesprecher Steiner an. »Sagte ich ja, du wirst dich blamieren. Reize den Beamten nicht.«

      Der Bürgermeister erhob sich zwischenzeitlich. Lorenz sah darin einen taktischen Zug, um die Lage zu entspannen.

      »Kommen Sie bitte hierher ans Fenster. Den Herren ist es nicht gelungen, Sie einzuschüchtern. Freut mich. Das verzapfen die hauptsächlich, wenn Fremde in unser Reich eindringen.« Er nickte spielend mit dem Kopf in Richtung des Brunnens. »Sehen Sie, Wotan beschützt uns. Wir vertrauen auf seinen imposanten Speer in der Hand. Diesen Anspruch übertragen wir ebenfalls auf Sie und Ihre Kollegen. In diesem Sinne. Trinken wir Kaffee, einverstanden?«, fragte er. Im selben Moment griff er zum Telefonhörer der Haussprechanlage, um den bei der Sekretärin anzufordern. »Ach bitte, die rote Keramikdose mit den Keksen nicht vergessen«, folgte im Nachsatz.

      Lorenz nutzte die Chance, um die Stille zu durchbrechen. »Ich beabsichtige keinerlei Schuldzuweisung, verehrte Herren, denn ich habe einen Ruf zu verlieren. Der verbindet sich logischerweise mit dem LKA. Legen wir die Fakten auf den Tisch. Ihr sagenumwobener Landstrich verdient das«, traf auf verblüffende Gesichter. »Fragen Sie mich, was ich sehe. Die Antwort lautet: Ein Flussbett, wo das Wasser zu kochen scheint. Die in die Tiefe gerissene Luft schäumt perlend wieder auf. Über der Bode reflektieren kleinste Wassertröpfchen. Das sind die Edelsteine im Harz, antworten Sie mir gleich verklärend. Dem halte ich nichts entgegen. Wenngleich mittendrin der Tod lauert. Die Frage ist, wie kam der an diesen Ort?«

      Ein Raunen war deutlich hörbar. Die Anwesenden saßen konzentriert am Konferenztisch. Niemand schien die Ruhe durchbrechen zu wollen. Bis sie der Weckruf des Beamten traf.

      »Was sieht der erfahrene Ranger? Massen an Touristen. Die spazieren vom Gasthaus Königsruhe zur Teufelsbrücke, den Bodekessel, bis tief in die Felsschlucht des Harzgebirges hinein. Ich frage Sie allen Ernstes: Einhundert Kilometer Harzer Hexenstieg, was vermitteln die uns? Sind die Augen und Ohren der Mitglieder in den Verbänden der Harzregion verschlossen? Nein, sagen Sie? Das glaube ich nicht. Da badet kein Mensch bei der sommerlichen Hitze in den Fluten der Bode? Ist ja ein Witz. Verbotene Kletterei und Abstürze in den Felsschluchten der Region sind ebenfalls nicht bekannt. Hmm, was ist mit dem vermissten Wanderführer? Wann hat ihn letztmalig jemand gesehen? Wer und wo? Sieht sich die Stadt in der Pflicht?«

      »Moralisch betrachtet, ja! Weil das Team hier am Tisch den Erich bestens kennt«, kam halbwegs gehemmt über die Lippen des Chefs der Bergwacht. Er richtete den Blick auf den Nebenmann aus. »Bitte Wilhelm, erkläre du das.«

      »Gern, wenn das jemand wünscht«, sagte er auf eine Antwort wartend. »Ja«, schob Holger Steiner dazwischen. »Ich rate, zügele deinen Eifer für den Herrgott. Der Kriminalbeamte dankt es dir. Ah, Entschuldigung, das ist unfair von mir.«

      »Meine Herren. Rumfrotzeln bringt nichts. Das haben wir nicht nötig. Gebt euer Wissen weiter. Die Lage ist heikel. Erich Feist war ein hochbetagter Mensch. Dass die sterblichen Überreste einen Hinweis auf ihn liefern, ist im Moment Spekulation. Keine Ahnung, ob die Galionsfigur im Sagenharz einem Verbrechen zum Opfer fiel. Ich versichere, die Ratsmannschaft trägt zur umfassenden Aufklärung bei. Versprochen!«

      »Ja«, fuhr Lorenz geistesgegenwärtig fort. »Das ist der einzig brauchbare Ansatz. Hand in Hand mit der Polizei vorzugehen. Die Lage zwingt uns zur Ordnung. Kommen wir alle wieder runter auf den Teppich. Bürgermeister, bitte übernehmen Sie das.«

      »Entschuldigung, wir sind abgedriftet. Emotionen, Sie übersehen das besser. Unser friedvolles Städtchen zu schützen, ist heilig. Zeit für den Profi«, wandte der sich an den KOK.

      »Üben Sie Nachsicht«, schob Wilhelm Feist, ohne abzuwarten, in die Tischrunde hinein. »Ich hätte eine Frage an den Kriminalisten. Wie stelle ich mir heute eine Identifizierung vor? Technisch betrachtet, meine ich.«

      »Das zu erklären erfordert einen langen Atem. Ich versuch`s. Zuerst danke ich für den unbeabsichtigten Hinweis. Sie haben mich da auf eine Fährte gebracht.«

      »Oberkommissar, auf welche? Bitte lassen Sie uns teilhaben.«

      »Okay. Aus meiner Sicht ist es notwendig, beide Vorgänge zusammenzuführen. Erich Feist, Ihr hochgelobter Wanderführer, hatte jeden Grund zu leben. Leider liegt keine Spurenlage vor, die auf ein Gewaltverbrechen hinweist.«

      »Was passiert da, Herr Lorenz? Dass ich nicht lache«, kam es von Steiner zurück. In seine Stimme hatte er angestaute Wut hineingezwängt. »Das ist der ganze Kommentar? Wenn die paar Knochen eine Identität erhalten haben, war’s das?«

      »Nein! Der Reihe nach, bitte. Meine Herren, Sie baten um eine Aussage zur technischen Betrachtung des Vorgangs. Zum Verständnis, ich spreche von einem hochkomplexen Verfahren. Es liefert dem LKA Anhaltspunkte zum möglichen Tathergang. Das Ganze nennt sich Fingerabdruck-Identifizierungs-System. Kurz: AFIS.«

      »Oha, das klingt nach einem hochfliegenden Begriff«, mischte sich der Pressesprecher ein.

      »Ihre Antwort zeugt von Skepsis, Herr Steiner. Von mir aus nennen Sie es so. Geben Sie mir die Chance, Sie vom Gegenteil zu überzeugen. Schauen Sie, Wissenschaft, Erfahrung und Bauchgefühl treffen aufeinander. Hochleistungsdatenbanken erfassen die biometrischen Charakteristika einer Person. Es kommt zum Vergleich vorhandener und neuer Datensätze. Diese Methode stellt eine beträchtliche Erleichterung für die Strafverfolgung dar. Es ist kein Hexenzeug, auf dem die Harzlegenden aufbauen. Reicht meine Aussage?«

      »Nein, Herr Lorenz. Die Leichenteile unterlagen lange dem Einfluss der Naturgewalten. Wie funktioniert denn das mit der Druckerschwärze an den Fingerkuppen? Da sind keine Abdrücke mehr brauchbar«, reagierte Jürgen aufgeregt.

      »Bleiben Sie locker, bitte. Die Spurenlage ist momentan katastrophal. Das Wasser hat über Wochen an dem Körper gezehrt, ihn ausgelaugt. Die Frage ist berechtigt. Die Natur zerstört die organische Struktur allmählich. Das schließt alles Mögliche ein.«

      »Ist die Kripo da nicht außer sich vor Wut?«, schob Wilhelm Feist fragend hinterher.

      Lorenz