Reformierte Theologie weltweit. Группа авторов

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Название Reformierte Theologie weltweit
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783290177355



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wie es andererseits von einer grundsätzlichen Vorbehaltlichkeit ge­prägt sein sollte. Es gibt keinen theologischen Satz, der nicht auch in missbräuchlicher Weise benutzt werden kann – auch nicht das «Soli Deo glo­ria»65 –, und so gilt es, immer auf den Zusammenhang und das Gefälle zu achten, damit am Ende nicht ein vielleicht systematisch stimmiges, tat­sächlich aber lebloses und darin gottloses theologisches Konstrukt an die Stelle eines pünktlichen Denkens im Dienst eines lebendigen Zeugnisses tritt. Es geht um die theologische Entsprechung zu der die Welt verän­dernden Dynamik des Wortes Gottes. In diesem Sinne bestand Barths freies Reformiertsein in dieser Gleichzeitigkeit von klarer Entschiedenheit und prinzipieller Vorläufigkeit, die ihn immer wieder vor allem auf die Bitte um den Heiligen Geist geführt hat.

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      Akke van der Kooi

      1. Einleitung

      In der Einleitung dieses Buches haben die Herausgeber das Problem skiz­ziert, dass heutzutage viele Men­schen aus reformiertem Hause über­haupt nicht mehr wissen, warum sie reformiert sind bzw. was es eigent­lich bedeutet, reformiert zu sein. Das ist in meinem Land, den Nieder­landen, kaum an­ders, auch wenn sich die Din­­­ge in kon­ser­vativeren Kreisen der re­for­mierten Familie (der «Refos,» im Volksmund) etwas nuan­cierter dar­stellen. In vielen protestan­tischen Kir­chen nehmen Fragen zur Sinn­gebung oft den Platz des Interesses an Refor­ma­tionsgeschichte und Kir­chen­lehre ein. Sehr verschiedene Ent­wicklun­gen haben zur Unsicherheit vieler Men­schen beigetragen, was sie sich unter dem Wort «reformiert» vorzustellen haben. Ich kann nur einige davon erwähnen. Es kann in diesem dritten Millennium einerseits die Entfremdung von der eigenen Tradition durch Säkularisierung, Kirchen­austritte und die Begegnung mit anderen Religionen und Kulturen kon­statiert werden. Andererseits gibt es die Aufarbeitung der grossen Ereig­nisse von Krieg und Gewalt des vo­ri­­gen Jahrhunderts, die ihren Einfluss auf das Denken über Gott und Glaube gehabt haben. Weiter sind viele Leute unsicher, was «reformiert sein» bedeutet, da die­ser Terminus oft mit Kirchlichkeit oder Dog­ma­tis­mus assoziiert wird. Zudem gibt es die neue Medienkultur, die die tradi­tio­­nelle Tradierungs­form des Evange­liums als Wortverkün­di­gung, die ja |48| in der reformierten Theologie und Kir­che zentral ist, zu einer überwunde­nen Gestalt zu ma­chen scheint. Auch existieren Vorurteile, die «reformiert sein» mit patriarchaler und auto­ritärer Gewalt verbinden, um nur einige Punkte zu nennen. Es ist dar­um sinnvoll, in unserem Jahrhundert der Fra­ge nachzugehen, welche Akzente reformierte Theolo­ginnen und Theolo­gen des 20. Jahrhunderts im Kontext ihrer Zeit formuliert haben, und zu sehen, wo die Vitalität ihres Denkens in unseren heutigen Diskussio­nen relevant gemacht wer­den kann.

      Der Zukunftscharakter reformierter Identität

      Marco Hofheinz und Matthias Zeindler weisen in ihrer Einleitung darauf hin, dass die Reformierten bei der Identitätsfrage im Nachteil zu sein schei­nen, vergli­chen mit ihren Brüdern und Schwestern in den luthe­ri­schen Kirchen, die nur ins Konkordienbuch zu blicken brauchen, oder mit Geschwistern der katholischen Kirchen, die einfach auf die Stimme des Vatikans hören können. Die Reformierten haben zwar in ihrer Konfession auch eigene «Wegweiser», wie den Heidelberger Katechismus oder die Westminster Confession, aber diese Bekenntnisse definieren nicht welt­weit für alle reformierten Kirchen, wie man das Reformiertsein zu ver­stehen habe. Dennoch müssen die Reformierten hier nicht verzweifeln. In einem Arti­kel zum Thema «Was heisst reformierte Konfession?» schreibt Eberhard Busch, emeritierter Professor für systematische Theolo­gie in Göttingen, über die Reformierten: «Diese Verlegenheit gehört zu ihrer Konfession und unterscheidet sie von anderen Konfessionen.»1 Dieser Satz scheint mir ein schöner Auftakt für meine Aufgabe zu sein, im Kontext unseres Themas etwas über den niederländischen reformierten Theologen Oepke Noordmans (1871–1956) beizutragen. Denn wenn etwas für diesen Theo­logen charakteristisch ist, dann seine Betonung des semper |49| reformanda, das die ecclesia reformata zu kennzeichnen hat. Semper refor­manda, nicht als Hang zur immerwährenden Erneuerung an sich, son­dern – wie auch ur­sprünglich beabsichtigt – als permanente Rückbesin­nung auf das Wort Gottes: Jede historische Gestalt hat sich fortwährend am Evangelium zu prüfen. Dies gilt sowohl für die Gestalt der christ­lichen Lebensform an sich als auch für die Kirche und die Theologie. Ich erläu­tere kurz, was Noordmans damit meint. Zur Lebensform: Das semper re­formanda bringt laut Noordmans auch eine gewisse Entspannung mit sich, denn wer man als Reformierter ist, liegt in Wahrheit in der Zukunft. Mit Paulus geprochen: «Nicht dass ich es schon erlangt hätte oder schon voll­endet wäre! Ich jage ihm aber nach, und vielleicht ergreife ich es auch, da auch ich von Christus Jesus ergriffen worden bin.» (Phil 3,12). Identität entsteht in der Glaubensentscheidung, im Akt des Be­kennens, sie ist nicht gegeben mit dem Besitz von einigen Bekenntnissen. Ich werde darauf am Schluss meines Beitrages zurückkommen. Zur Kirche: Alle unsere Ge­meinschaftsformen sind nach Noordmans noch un­ter­wegs zu ihrem Ur­sprung, wie das in der Pfingstgeschichte dar­gestellt ist: zu Praktiken, die vom Heiligen Geist inspiriert sind. Hinsichtlich der Theologie verlangt das semper reformanda laut Noordmans nach einer personalistischen Erkennt­nislehre, die ihren Ausgangspunkt nicht bei einem abstrakten Begriff oder Prinzip nimmt, sondern – in der Sprache Noord­mans᾿ – bei der «Predigt, die Gott in Jesus der Welt hält», am eindringlichsten auf Golgota.2

      Diese Sicht des Reformiertseins im Sinne von Unterwegssein und als eine Beteiligung an einem permanenten Gespräch, in welchem von der eigenen Situation her immer eine Rückbesinnung auf das Christus­ge­schehen statt­findet, hat – so Eberhard Busch – eine lange Tradition. Sie ist schon in Zwinglis Thesen von 1523, dem ersten reformierten Bekenntnis, präsent. Und im «Berner Synodus» von 1532 wird im selben Geist gesagt: «Würde uns aber etwas von unseren Pfarrern oder anderen vorgebracht, das uns näher zu Christus führt und nach Vermögen zuträglicher ist als die jetzt aufgezeichnete Meinung, das wollen wir gern annehmen und dem heili­gen Geist seinen Lauf nicht sperren.»3

      Reformierte Identität ist also von Anfang an keine statische, sondern eine dynamische Wirklichkeit, die in der Dynamik des Wirkens des Geistes Christi verwurzelt ist. Sie hat mehr zu tun mit einer Geisteshal­tung, einer sogenannten habit of mind, als mit einer fixierten Reihe von Glaubenswahrheiten. Eine Haltung, die geformt wird durch das Wirken des Heiligen Geistes. Dieses Wirken geht, so Noordmans, gleichsam durch uns hindurch – durch das Herz sowie durch Hände und Füsse – |50| zur Welt (VW 2, 425). Reformierte Identität ist nach Noord­mans ein pneu­ma­tologisches Konzept.

      2. Die fünf Punkte der reformierten Geisteshaltung

      Die Frage, die uns nun weiter führt, lautet: Wie soll man unter Berück­sichtigung der erwähnten Dynamik das Profil Noordmans᾿ als refor­miertem Theologen beschreiben? Ich tue dies mit Hilfe der fünf Kennzei­chen der reformierten Geisteshaltung, die der amerikanische Theologe Brian Gerrish in einem Buch über die «Zukunft der Reformierten Theolo­gie» vorgestellt hat.4 Diese Kennzeichen lassen sich als Interpretations­hil­fe für Noordmans᾿ Theologie benutzen. Gerrish argumentiert, dass Cal­­vin in seiner Institutio keine vollständige Liste von reformierten Glau­bens­­­arti­keln erstellt habe, sondern nur einige erwähnt, die allerdings notwendig seien: «Es ist ein Gott, Christus ist Gott und Gottes Sohn, unser Heil be­steht in Gottes Barmherzigkeit.»5 In seinem Kommentar zu 1Kor 3,11 unterstreicht Calvin sogar, dass es nur eine elementare Lehre gebe, die nicht aufgegeben werden darf, nämlich dass wir Christus anhaften, da er das einzige Fundament der Kirche ist.6 Dies ist aber letztlich keine Lehre, sondern eine Geisteshaltung. Sollte man darum nicht sagen können, so fragt Gerrish, dass dies diejenige Geisteshaltung ist, worauf alle christli­che Lehre aufbaut?7 Gerrish arbeitet deshalb fünf Kennzeichen einer refor­mierten Geisteshaltung heraus, zu denen theo­logische Bildung in Seminarien oder Universitäten befähigen sollte, damit die Pastoren in den Kirchen diese Geisteshaltung wieder in den verschie­­de­nen Aspekten ihrer Arbeit weitervermitteln können. Ich stelle diese Geisteshaltung kurz vor und werde danach anhand ihrer Kennzeichen das Profil Noordmans᾿ skizzieren.