Gesundmacher Herz. Markus Peters

Читать онлайн.
Название Gesundmacher Herz
Автор произведения Markus Peters
Жанр Медицина
Серия
Издательство Медицина
Год выпуска 0
isbn 9783954841349



Скачать книгу

und Verhalten von Organismen. In dieser Organisation spielen Rhythmen, häufig von endogenen (inneren) biologischen Zeitgebern (Uhrsystemen) verursacht, eine große Rolle.“8

      Allerdings muss bedacht werden, dass diese Forschung sich noch in einem sehr frühen Stadium ihrer Entwicklung befindet – vergleichbar vielleicht dem Stand der anatomischen Wissenschaft zu Zeiten Leonardo da Vincis. Es sind auf diesem Gebiet also noch sehr viele neue und weiterreichende Erkenntnisse zu erwarten. Und manches, was man heute bereits zu wissen glaubt, wird sich noch als falsch herausstellen.

      In Deutschland begann die chronobiologische Forschung mit Prof. Dr. Gunther Hildebrandt, der später Direktor des Instituts für Arbeitsphysiologie und Rehabilitationsforschung der Universität Marburg wurde, und als einer der Väter der Chronobiologie weltweit gilt.

      Hildebrandt hatte sich bereits in den 1950er-Jahren, er war damals noch als junger Mediziner in einer Kurklinik tätig, von seinen Patienten die Erlaubnis geben lassen, nachts in ihre Zimmer kommen zu dürfen, um bei ihnen im Schlaf stündlich die Puls- und auch Atemfrequenzen zu messen. Selbstverständlich war er noch weit von den heutigen Möglichkeiten der Messtechnik und der computergestützten Auswertung großer Datenmengen entfernt. Dennoch konnte er bereits mit solch einfachen Mitteln feststellen, dass Puls- und Atemfrequenz in einem ganz bestimmten rhythmischen Verhältnis (im Schlaf etwa 4:1) zueinanderstehen.

      Damit hatte Gunter Hildebrandt etwas entdeckt, was in der Folge für die gesamte Chronobiologie bestimmend sein sollte. Denn dass sämtliche Vorgänge im menschlichen Körper rhythmisch durchorganisiert sind, diese Erkenntnis war schon damals nicht neu:

      – Einatmen und Ausatmen

      – Schlafen und Wachen

      – Nahrungsaufnahme, Verdauung und Ausscheidung

      – Regelblutung und Eisprung

      All das sind Rhythmen, die lange bekannt sind. Wirklich neu hingegen war die Erkenntnis Hildebrandts, dass wohl die meisten oder sogar alle diese Rhythmen (zumindest bei einem gesunden Menschen) in einem bestimmten Verhältnis zueinanderstehen, gleichsam miteinander gekoppelt sind. Hildebrandt war also der erste Wissenschaftler, der die diesen Rhythmen innewohnende Ordnung entdeckt und beschrieben hat.9

      Zum Verständnis dieser Ordnung hilft es, sich klarzumachen, dass die verschiedenen Rhythmen drei körperlichen Bereichen zugeordnet werden können:

      – Der Kopf ist der Sitz der Hauptsinne sowie des zentralen Nervensystems,

      – im Brustkorb befinden sich die (rhythmisch besonders intensiv spürbaren) Organe Herz und Lunge,

      – im „unteren Menschen“ mit Bauch und Beinen ist die Bewegungs- und Stoffwechselorganisation beheimatet.

      image © fotolia-corellio / [M] Fricke

      Dabei ist es so, dass die Nerven nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip funktionieren. Ein Nerv kennt also – wie ein Computer auch – nur zwei „Zustände“, zwischen denen er im Millisekundenabstand wechseln kann: aktiv oder inaktiv, ein oder aus.

      Die Rhythmen der Atmung oder auch des Herzschlags verlaufen demgegenüber in Wellenform – an- und abschwellend im Sekunden- oder Minutenbereich.

      Und die Rhythmen schließlich, die die Stoffwechselprozesse oder den Monatszyklus der Frau bestimmen, spielen sich in Tages-, Wochen- oder Monatszeiträumen ab – und sind darüber hinaus auch noch sehr komplex aufgebaut mit vielgestaltigen Wechselwirkungen.

      Auch Krankheitsverläufe sind in der Regel rhythmisch gegliedert. So ist seit Langem bekannt, dass im Fall einer Lungenentzündung die Körpertemperatur morgens unter Umständen ganz normal sein kann, während sie jeden Abend auf hohe Temperaturen ansteigt. Dieses Wissen erlaubt es dem Arzt nun umgekehrt, aus einem typischen Rhythmus der Temperaturkurve die Diagnose Lungenentzündung abzuleiten oder zu bestätigen. Ein besonders deutlicher Fall ist auch der charakteristisch-rhythmische Verlauf einer Malariaerkrankung, bei der sich die Fieberschübe alle zwei oder drei Tage wiederholen.

      Aus welcher Perspektive wir den Menschen also auch betrachten, er stellt sich dar als ein höchst komplexes, rhythmisches „System“. Dieses Gesamtsystem darf man sich alles in allem durchaus vorstellen wie ein sehr großes, kompliziertes Mobile, bei dem sich zahlreiche Elemente in einem labilen Gleichgewicht befinden. Wird auch nur eines dieser Elemente bewegt, so hat dies Auswirkungen auf den Zustand aller anderen Elemente, die ebenfalls in mehr oder weniger kräftige Schwingungen versetzt werden. Diese Schwingungen werden dann kontinuierlich schwächer, bis sich erneut ein Gleichgewicht eingestellt hat. In dieser zugleich geordneten und schwingenden Weise sind – beim gesunden Menschen – alle Rhythmen im Körper untereinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig.

      Das Bild vom Mobile macht auch deutlich, dass es bei organischen Rhythmen nicht etwa um einen maschinenartig starren, exakten Takt geht, sondern um ein flexibles Ein- und Ausschwingen – stets mit dem Ziel, Steuerungsprozesse harmonisch ablaufen zu lassen und ein umfassendes Gleichgewicht zu erreichen.

      Und das gilt selbstverständlich auch für die Herzfrequenz-Variabilität. In Kapitel 2 wurde bereits kurz erwähnt, dass ein exakt getakteter Puls (ein Puls also, der überhaupt keine Herzfrequenz-Variabilität aufweist), alles andere als ideal wäre. Das wussten sogar schon chinesische Ärzte vor mehr als 2000 Jahren, als sie sinngemäß die folgende medizinische Regel formulierten:

      Ist der Puls so regelmäßig wie der Specht im Wald klopft, oder wie die Regentropfen, die vom Dachrand fallen, dann stirbt der Patient innerhalb von drei Tagen.

      In unserer modernen Medizin hingegen geriet man in dieser Frage zunächst auf einen Irrweg. Vorherrschend war die Vorstellung, dass das menschliche Herz tunlichst so regelmäßig und exakt arbeiten sollte wie etwa ein Motor. Die in den 1970er-Jahren – mit der Entwicklung einer entsprechend genauen Messtechnik – mögliche Entdeckung der Herzfrequenz-Variabilität löste deshalb unter Internisten zunächst eher Beunruhigung aus. Insbesondere bei jungen Menschen, die entwicklungsbedingt eine ausgeprägtere Herzfrequenz-Variabilität aufweisen, wurde diese Unregelmäßigkeit sogar als eine ärztlich zu behandelnde Störung angesehen – man verschrieb den Betroffenen Betablocker um ihren „Puls zu stabilisieren“ …

      Dahinter stand die Idee der sogenannten Homöostase, die angehenden Ärzten übrigens bis heute im Studium nahegebracht wird. Diese Vorstellung geht davon aus, dass der menschliche Körper eine Art System sei, das nach dem „Hochfahren“ irgendeines Faktors (zum Beispiel des Blutdrucks) diesen einfach und direkt wieder auf den ursprünglichen Stand herunterregelt.

      Diese – in unserer technisch orientierten Zeit ja naheliegende – Idee eines sich gleichsam mechanisch regulierenden Systems erscheint heute im Licht der Chronobiologie jedoch als überholt. Die sich allmählich durchsetzende neue Grundidee ist, dass der menschliche Körper eben nicht versucht, irgendeinen starren Idealzustand beizubehalten und diesen nach jeder Störung umgehend wieder herbeizuregulieren. Der Körper ist vielmehr in hohem Maße „schwingungsfähig“ – und er muss es auch sein.

      Noch weit wichtiger aber ist die – im Bild des Mobiles anschaulich gemachte – Erkenntnis, dass alle Lebensprozesse und Lebensrhythmen voneinander abhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Bezogen auf das Thema Puls, heißt das beispielsweise: Eine Anstrengung oder eine aufregende Situation führt selbstverständlich zu einem plötzlich und kräftig erhöhten Puls und einem damit ebenfalls steigenden Blutdruck. Der Körper reagiert darauf aber nun nicht damit, allein den Faktor „Blutdruck“ wieder zurückzuregeln. Die Chronobiologie weist vielmehr nach, dass sich der Blutdruck nach einer Belastung zunächst in die Gegenrichtung reguliert und dann wieder zurückschwingt. Was sich, mit abnehmender Intensität, mehrfach wiederholt, bis der „Normalzustand“ wieder erreicht ist.

      Und das gilt auch nicht nur für einen Faktor (etwa den Puls), sondern für das komplette, vielgestaltige Mobile aller Lebensprozesse und -rhythmen. Wird irgendwo in diesem System auch nur ein einziger Faktor aus dem Gleichgewicht gebracht, kommt das Ganze in Unruhe und muss sich wieder neu „einschwingen“ oder einpendeln.