Название | Eigensinn und Bindung |
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Автор произведения | Daniel Hoffmann G. |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783766641168 |
Während dieser Zeit kam das „protestantische Erbe“ der Dichterin in ihren Werken stärker zum Vorschein. Wichtiger als dogmatische Konfessionalität schien ihr die Suche nach Wahrheit und Sinn in der säkularisierten Welt zu sein. Es lässt sich demnach eine Entwicklung in Gertrud von le Forts Denken verfolgen: Nach der Akzentuierung des Katholischen in ihrer Dichtung trat dieses zugunsten einer „Erkenntnis der universellen Wahrheit“ zurück. Festzustellen ist dabei, dass Christentum und Kirchlichkeit bei le Fort nicht mehr deckungsgleiche Größen sind, sondern die Letztere macht für sie nur einen Teil des Ersten aus in der Überzeugung, dass sich das Christentum nicht in der Kirchlichkeit erschöpft. Le Fort als Dichterin wurde zunehmend offener und befreite sich von Berührungsängsten und „Ghettomentalität“. Beispielhaft zeigt dies bereits die durchaus kontroverse Aufnahme ihres Nachkriegsromans „Der Kranz der Engel“ in der katholischen Leserschaft.13
Die unkonventionelle Haltung der Dichterin bewährte sich in ihrem Christentum stets aufs Neue und knüpfte an die Idee der ökumenischen Versöhnung der Christen an. Keineswegs bedeutet dies jedoch, dass die Grenzen der Katholizität bei Gertrud von le Fort während dieser Zeit verschwanden oder dass sie sich von der kirchenchristlichen Tradition abwandte. Es kann auch nicht vom Weg zu einer neuen Form der Religion im Leben und Spätwerk der Dichterin die Rede sein, wie dies etwa bei Luise Rinser, mit welcher le Fort in den Nachkriegsjahren korrespondierte, der Fall war. Zwischen der Neubelebung des christlichen Glaubens infolge des Zweiten Vatikanischen Konzils und der entsprechenden weltanschaulichen Entwicklung Gertrud von le Forts besteht ein enger Zusammenhang. Wohl kaum ein anderer deutscher Autor setzte sich so intensiv wie sie mit dem durch das Konzil ausgelösten Wandel in Theologie, Exegese, Verkündigung und Gemeindeleben auseinander. Was noch viel wichtiger ist: Noch vor der Wende des Vaticanum Secundum legte sie die Scheuklappen einer veralteten, rechthaberischen Orthodoxie ab. Davon berührt ist auch ein neues Verständnis der katholischen Liturgie, wie sie, getragen von der Frage nach dem Verhältnis zwischen objektiver Heilsgeschichte und individuellem Heilsgeschehen, zunächst innerhalb der Liturgischen Bewegung neu definiert wurde. Mit gemischten Gefühlen begrüßte Gertrud von le Fort jedoch das Verschwinden des Lateins in der katholischen Liturgie, weil „das Credo in ihr [= der lateinischen Sprache] eine in keiner [anderen] Sprache wiederzugebende Macht hat“ und dadurch „sogar in der Fremde ein Heimatgefühl“ geweckt wird.14 Mit ähnlicher Besorgnis begegnete sie dem Beschluss eines Münchener Kardinals, auf die Barockmusik im Gottesdienst zu verzichten.15
Dichtung als Antwort
Der dichterische Weg Gertrud von le Forts in die „religiös-metaphysische“ Existenz mit stark ausgeprägtem Geschichtsbewusstsein muss vor allem vor dem Hintergrund der christlichen Tradition gesehen werden. Die Katholische Bewegung des 19. Jahrhunderts zeigte ihr die Möglichkeit einer allegorisch-politischen Deutung und eine enge Verbindung zwischen tiefster Innerlichkeit und engagiertem Handeln in der Welt. Die christliche Autorin betrachtete die dichterische Tätigkeit als eine Art der Neubegründung der Humanität und die Dichtung selbst als eine „vermittelnde Aufgabe“. Sie betonte immer wieder die mannigfache Wechselbeziehung zwischen der deutschen Dichtung und der christlichen Religion in Form eines gegenseitigen Einflusses, der kontinuierlich vom Mittelalter bis zu der der Romantik gereicht habe. Auf diese Weise knüpfte sie auch an die Geschichtsauffassung Ernst Troeltschs an, der in seinen Schriften das Christentum mit allen Errungenschaften der Philosophie und Kultur zu vereinigen suchte, um dadurch unter anderem das neue Antlitz des Christentums mitzuformen. Bei der Dichterin war jedoch weder eine heimliche „Rückkehr zum Mittelalter“ beabsichtigt, noch eine geschichtsphilosophische Romantik, die darauf abzielte, die religiöse und kulturelle Entwicklung des Abendlandes einer bestimmten Epoche als absoluten Höhepunkt künstlich festzulegen. Im Geleitwort zum Essay „Vom Paradox des Christentums“ (1952) von Graham Greene legte Gertrud von le Fort ihr Verständnis von der wahren christlichen Dichtung dar. Diese ist von den Schablonen bürgerlicher Moral ebenso wie denen einer engherzigen Moraltheologie befreit, ist dem Staat und der Gesellschaft gegenüber nicht folgsam und sympathisiert mit menschlicher Schwäche, ja Fragwürdigkeit.16 In der Erfüllung dieser Aufgabe veröffentlichte Gertrud von le Fort u. a. auch ihre „Aufzeichnungen und Erinnerungen“ (1951) oder Essays wie „Die Frau und die Technik“ (1959) und „Woran ich glaube“ (1968). Darüber hinaus schuf sie in dieser Zeit eine Reihe von Werken, in denen sie tradierte religiöse Inhalte im Sinne einer schöpferischen Restauration bearbeitete. Zu ihnen gehören unter anderem die Novellen „Die Consolata“ (1947), „Der Turm der Beständigkeit“ (1957) und „Das fremde Kind“ (1961).
Gertrud von le Fort trat in ihrer Dichtung den säkularisierenden Tendenzen in der Lebenswelt und Kultur der Nachkriegszeit mit Bedenken entgegen. Die Säkularisierungswelle führte ihrer Meinung nach zum Verlust wesentlicher Inhalte, unter anderem zur Verweltlichung der christlich-kirchlichen Tradition, welche das europäische Selbstverständnis seit Jahrhunderten tief geprägt habe. Das Verständnis der Säkularisierung als problematische Transformation steht bei Gertrud von le Fort mit der Beobachtung von Verlusten im engen Zusammenhang. Vor dem Hintergrund einer kritische Einstellung gegenüber der eigenen Zeit drückte sie das Bemühen um christliche Selbstbesinnung und um eine christliche Durchdringung des Lebens aus, wobei sie sich eben hinsichtlich ihres Verhältnisses zur Kirche eigensinniger als in der Zwischenkriegszeit zeigte. Ihre Loyalität jedoch war ungebrochen. Mit der Legende „Das Schweigen“ verteidigte die bereits 91-jährige Autorin 1967 Papst Pius XII. gegen den Vorwurf des Versagens angesichts der Judenverfolgungen im Dritten Reich (wo sie übrigens selbst als Verfasserin unerwünschter Texte galt). Unmittelbarer Anlass für dieses Werk war das Drama „Der Stellvertreter“ (1963) von Rolf Hochhuth.
Gertrud von le Forts Anliegen blieb es nicht zuletzt, das biblische Zeugnis in die Sprache und Vorstellungswelt der Gegenwart zu übertragen, wobei sich in ihrem Werk zwei Hauptaspekte, der prophetische und der eschatologisch-verheißende, abzeichnen. Die literarische Rezeption der Bibeltexte bei ihr umfasst paraphrasierende Texte, aktualisierende Inhalte und transfigurierende Neuschöpfungen, wie etwa in der Novelle „Die Tochter Jephtas“ (1964), wo die biblischen Gestalten ihrer historischen Kostüme entkleidet werden.17 Ihre dichterische Aufgabe insgesamt begriff sie im Sinne dessen, was ihr protestantischer Kollege Jochen Klepper einmal stellvertretend für zahlreiche christliche Autoren formulierte: als „menschlichen Lobgesang in Antwort auf das göttliche Wort“.18
Wissenschaftliche Rezeption des Werkes
Die Pluralität der Perspektiven, Methoden und nicht zuletzt auch der persönlichen Voraussetzungen, mit welchen die Forschung den Werken Gertrud von le Forts begegnet, ist mittlerweile unüberschaubar geworden und lässt deshalb jede Darstellung des Forschungsstands19 und der Rezeption unvermeidlich als bruchstückhaft erscheinen. Neben Literaturwissenschaftlern beschäftigen sich vor allem Philosophen und Theologen mit der le Fortschen Dichtung, und dies schon längst über den deutschen Sprachraum hinaus.
Ein bedauernswerter Mangel ist zweifellos das Fehlen einer historisch-kritischen Ausgabe der Werke Gertrud von le Forts als unabdingbare Grundlage für die wissenschaftliche Beschäftigung. Größtenteils unerforscht blieb darüber hinaus der im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar aufbewahrte Nachlass der Dichterin, wobei jedoch mittlerweile ein zunehmendes Interesse an einer Auswertung der Korrespondenz Gertrud von le Forts zu beobachten ist. Erwähnenswert sind auch die Ausstellungen und die dazu veröffentlichten Kataloge, welche noch in enger Zusammenarbeit mit Eleonore von la Chevallerie, der letzten Sekretärin Gertrud von le Forts (1961 – 71), zusammengestellt wurden.20
Besonders zwischen 1945 und 1955, auf dem Höhepunkt des Ruhms der Autorin, entstanden zahlreiche Arbeiten zu ihrem Werk. In ihnen werden meist Bezüge zu den theologischen Quellen aufgezeigt sowie Parallelen zur dogmatischen Gestaltung ihrer Themen präsentiert. Ansätze zu einer Betrachtung unter konfessionellen Gesichtspunkten bleiben häufig an der Oberfläche einer statistischen Aufzählung und Gruppierung und begnügen sich mit äußerlicher Betrachtung christlicher Motive in einzelnen Werken. Bei der Durchsicht dieser Forschungsliteratur ist festzustellen, dass