Eigensinn und Bindung. Daniel Hoffmann G.

Читать онлайн.
Название Eigensinn und Bindung
Автор произведения Daniel Hoffmann G.
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783766641168



Скачать книгу

die nach dem Zweiten Weltkrieg Georges Bernanos zur Vorlage eines Film- und Bühnenszenariums sowie Francis Poulenc zu der eines Opernlibrettos diente –, eine frühe Gestaltung existenzieller Weltangst und ihrer christlichen Überwindung, verweist zugleich auf die Modernität dieser um die Transparenz „ewiger Ordnungen“ bemühten Kunst.

      Mit ihrer nach 1924 geschaffenen Prosa erweist sich Gertrud von le Fort als Repräsentantin eines deutschen Katholizismus, die selbstbewusst die kulturelle Anerkennung ihrer neuen Konfession verlangte, ohne diese jedoch über andere Bekenntnisse zu erhöhen. Dies wird insbesondere aus dem Roman „Die Magdeburgische Hochzeit“ (1938) ersichtlich, in dem die Dichterin unter anderem die Auseinandersetzung von Katholiken und Protestanten im 17. Jahrhundert thematisierte, oder aus dem Roman „Der Papst aus dem Ghetto“ (1930), in dem es um das Verhältnis von Judentum und Christentum geht. Zwar war die Dichterin in dieser Zeit noch unerbittlich in der Behauptung, dass nur die katholische Kirche die unverfälschte christliche Wahrheit besitze, trotzdem erkannte sie die Bemühungen anderer Konfessionen an, Leben und Moral der Gläubigen zu stärken.

      Von besonderem Einfluss auf ihren Schaffensweg sollte sich für Gertrud von le Fort die Bekanntschaft mit dem Jesuiten Erich Przywara (1889 – 1972) erweisen, den sie 1923 – nach anderer Quelle 19258 – kennenlernte. Przywara, der in seinen Schriften das Erbgut der Kirchenväter und der Mystiker neu durchdachte und in einer neuen Form darbot, verband spekulative Kraft, innig-mystische Frömmigkeit und romantische Lebendigkeit zu einer originalen Synthese. Unter anderem ihm verdankte die Dichterin, dass ihre Dichtung einen „betenden“ und „meditativen“ Charakter hat. Zudem trug er wesentlich zur Würdigung und Verbreitung ihrer Werke bei und unterstützte ihre thematische Auseinandersetzung mit dem Heiligen Römischen Reich. Dem Jesuiten verdankt Gertrud von le Fort auch die sich zu einer Freundschaft entwickelnde Bekanntschaft mit der Philosophin und späteren Karmelitin Edith Stein (1891 – 1942), welche für beide Frauen prägend gewesen zu sein scheint. Gertrud von le Fort erinnerte sich an ihre erste Begegnung mit ihr 1932 in München mit den folgenden Worten:

      „Ich lernte Edith Stein durch die Vermittlung des hochwürdigen Paters Erich Przywara kennen. (...) Wir trafen uns in München und diese Begegnung hinterließ bei mir den tiefsten Eindruck, der sowohl die Frömmigkeit, die bezaubernde Schlichtheit und Bescheidenheit als die hohe geistige Begabung der damaligen Dozentin von Münster betraf. Diese Eindrücke waren so tief, daß sie mein Buch ,Die Ewige Frau‘ wesentlich beeinflußt hat, d. h. nicht durch Mitarbeit vonseiten Edith Steins, sondern durch innerliche auf jene Begegnung zurückgehend. (...) Ich rief mir bei der Arbeit oftmals Edith Steins geistiges Bild zurück als solches, wie es nur bei meiner Darstellung einer wahrhaft christlichen Frau vorgeschwebt hatte.“9

      Die Bekanntschaft mit Gertrud von le Fort hat auch bei Edith Stein tiefe Spuren hinterlassen. Ein Jahr vor ihrem Eintritt ins Kloster schlug sie Sr. Callista Kopf vor, im Deutschunterricht unter anderem Werke von le Fort durchzunehmen: den historisch-legendenhaften Roman „Der Papst aus dem Ghetto“ und den in der Gegenwart spielenden Erziehungsroman „Das Schweißtuch der Veronika“.10 Die wohl größte geistige Gemeinsamkeit zwischen beiden Frauen bestand in der Tatsache, dass sie Richtschnur und Auftrag für ihre Arbeit aus der Bibel empfangen haben. Wilhelm Grenzmann hebt bei Gertrud von le Fort die drei Motivkreise Kirche, Reich (das sacrum imperium des Mittelalters) und Frau hervor.11 Diese sind auch Edith Stein sehr wichtig gewesen. Die Motivkreise sind bei Gertrud von le Fort nicht als chronologische Abfolge zu sehen, sondern bilden eine ineinander verschlungene Thematik, welche die Dichterin ihr Leben lang begleitete.

      Ihre Werke artikulieren einige wesentliche Aspekte des weiblichen Erfahrungsbereiches und geben eine klare Vorstellung dessen, was sie damit anstrebte. Das von ihr gezeichnete „neue“ Frauenbild war tatsächlich nicht radikal neu. Es ist eher als eine Neuakzentuierung zu interpretieren gegenüber dem Frauenbild der Moderne im Allgemeinen und dem Bild der „Neuen Frau“ der Weimarer Republik im Besonderen. Das Leben in den 1920er-Jahren wurde von dem Modell der Frau beherrscht, die ihre Selbstständigkeit anstrebte, das Recht auf freie Sexualität proklamierte und sich durch wissenschaftlichen Ehrgeiz auszeichnete.12 Auch wenn Gertrud von le Fort gewisse Veränderungen befürwortete, blieben ihre Auffassungen zum Wesen und zur Rolle der Frau dennoch traditionell geprägt. Die Situation zwischen Mann und Frau war bei ihr eine grundlegend andere als bei den modernen und gern gelesenen Autorinnen der Weimarer Republik. Nicht die einseitige Sehnsucht nach Emanzipation, sondern nach der Anerkennung der Gleichwertigkeit bestimmt hier das Verhältnis der Geschlechter. Sie beabsichtigte mit ihren Werken keine moralische Revolution. Sie betonte andere Kräfte, wie etwa die Liebesfähigkeit, und stellte diese in ihrem Frauenbild heraus. Diese im Vergleich zu dem Frauenbild der 1920er-Jahre auf den ersten Blick „regressive“ Festlegung der Frau auf ihre gefühlsmäßige und „liebende“ Natur schließt Fragen nach dem Wesen und Wert der Frau nicht aus. Ganz im Gegenteil: Die le Fortsche Suche nach einer wahren Menschlichkeit der Frau brachte im Endeffekt deren Darstellung als vollwertiges Wesen, dem mit seiner Kraft zur Verzeihung und zur Gewaltlosigkeit gleichsam eine Erlöserrolle zugeschrieben wird. Ihre Protagonistinnen sind meist starke Gestalten, die mit viel Energie ihre Selbstverwirklichung anstreben. Sie können jedoch trotz ihrer Fähigkeit, progressive und traditionelle Aspekte im Leben zu integrieren, nicht als „Superfrauen“ bezeichnet werden. Ganz gewiss jedoch kritisieren sie das Konzept einer aggressiven, „einseitigen und übersteigerten Männlichkeit“.

      Respektierung unterschiedlicher Glaubensformen

      Durch ein intensives Leben in und mit der Kirche sowie eindringliche Beschäftigung mit der christlichen Thematik gelangte Gertrud von le Fort in ihrem zwischen 1945 und 1968 entstandenen Spätwerk zu einer neuen Tiefenschau. Sie fasste Dichtung nun nicht nur als eine Art moralischen Engagements auf, wie dies insbesondere in der mittleren Schaffensperiode der Fall war, sondern grundlegend als metaphysische Betrachtung der Seins- und Gottesfrage bezüglich der Aktualität von Glaube und Religion. Dem veränderten Selbstverständnis der Nachkriegsgeneration entsprechend, entwickelte sie jenen theologisch-religiösen Personalismus weiter, der sich von Anfang an wie ein roter Faden durch ihr Gesamtwerk zieht. Ihre literarischen Arbeiten bejahen das Lebens in all seinen irdischen und geistigen Formen.

      Mit ihnen trat sie hervor als eine traditionsgebundene Repräsentantin der Moderne des 20. Jahrhunderts und dessen existenzieller und transzendentaler Sinnsuche im Zeitalter einer sich rasant entwickelnden Technologie. Die konfessionellen Aspekte verloren mit der Zeit an Bedeutung. Viel deutlicher ist in dieser Phase die Betonung der Liebe Christi und seiner Gnade für alle, welche in ihrem Leben nach Wahrheit suchen. Mit anderen Worten: Von Christus aus fällt Licht in Fülle auf alle Lebensbereiche und alle Menschen, wobei die Wirksamkeit dieser Ausstrahlung von deren Aufnahmebereitschaft abhängig ist. Dies ist unter anderem wiederum auch aus der le Fortschen Korrespondenz ersichtlich, die freilich mit sehr unterschiedlicher Intensität und Thematik geführt wurde. Im Vordergrund stand meist das Literarische in seinen praktischen Aspekten (Verlage, Übersetzungen). Bemerkbar ist hier jedoch auch die ständige Suche nach einer richtigen Aussage und dem Gehalt der Dichtung, wobei dieses „Tasten“ nun weniger auf die Sicherheit des Dogmas gerichtet war. In ihrer Dichtung suchte sie meist einen passenden Mittelweg zwischen einem allzu engen Konfessionalismus und völliger Offenheit.

      Nach Gertrud von le Fort vermeidet das Zentrum die gegensätzlichen Extreme bei der Entwicklung der eigenen Identität. Diese Identität wird von der Autorin in vertrauten Mustern und Formen des Christentums gesucht. Die Begriffe Umkehr und Identität verwendet sie sowohl in ekklesialer Hinsicht, das kirchliche Leben betreffend, als auch in ekklesiologischer Hinsicht, das heißt die Reflexion über das kirchliche Leben betreffend. Stets hebt sie die Notwendigkeit der ständigen Bekehrung der christlichen Gemeinschaft hervor. Mit ihren Spätwerken tritt sie für eine „evangelische Katholizität“ ein, welche die historisch und dem Wesen nach unterschiedlichen Lebens- und Glaubensformen respektiert. „Evangelische Katholizität“ drückte nach Gertrud von le Fort aus, dass den verschiedenen kirchlichen Gestalten eine christliche Einheit zugrunde liegt, wie sie dies insbesondere in den Novellen „Am Tor des Himmels“ (1954) – deren zentrales Thema die zerstörerische Kraft des Atomzeitalters ist – und „Der Dom“ (1968), ihrer letzten, veranschaulichte. Sie sah dabei mit Scharfblick die